Der Ford stand fertig in der Werkstatt. Neue Arbeit war nicht hereingekommen. Wir mussten etwas unternehmen. Köster und ich gingen auf eine Auktion. Wir wollten ein Taxi kaufen, das dort versteigert wurde. Taxis waren immer ziemlich gut weiterzuverkaufen.
Wir gingen zu dem Wagen, der in der Ecke des Hofes stand. Die Lackierung war abgewetzt und verbraucht, aber der Wagen war sauber, auch unter den Kotflügeln. Ein untersetzter Mann mit herabhängenden, breiten Händen stand in der Nähe und schaute uns stumpf an.
„Hast du die Maschine untersucht?” fragte ich Köster.
„Gestern”, sagte er. „Ziemlich ausgeleiert, aber tadellos gepflegt.”
Ich nickte. „Sieht auch so aus. Der Wagen ist heute morgen noch gewaschen worden, Otto. Das hat der Auktionsfritze sicher nicht getan.”
Köster schüttelte den Kopf und sah zu dem untersetzten Mann hinüber. „Es wird der Besitzer sein. Er stand gestern auch hier und putzte den Wagen.”
„Verdammt”, sagte ich, „der Mann sieht aus wie ein überfahrener Hund.”
Ein junger Mann kam quer über den Hof auf den Wagen zu. Er trug einen Mantel mit einem Gürtel und war unangenehm forsch. „Das ist ja wohl der Schlitten”, sagte er halb zu uns, halb zu dem Mann, und klopfte mit seinem Spazierstock auf die Kühlerhaube. Ich sah, wie es in den Augen des Mannes zuckte. „Macht nichts, macht nichts”, wehrte der Gürtelmann großzügig ab, „der Lack ist sowieso keine fünf Groschen mehr wert. Ehrwürdige Klamotte. Müsste eigentlich ins Museum, was?” Er lachte mächtig über seinen Witz und sah uns beifallsfreudig an. Wir lachten nicht mit. Er wandte sich an den Besitzer. „Was wollen Sie denn für den Großvater haben?”
Der Mann schluckte und schwieg.
„Wir sollten ihn nicht kaufen, Otto”, sagte ich.
„Dann kauft ihn dein Gürteltier Guido”, erwiderte Köster. „Wir können dem Mann nicht helfen.”
„Stimmt”, sagte ich. „Aber trotzdem – es hängt was dran.”
Der Auktionator kam.
Auf das Taxi boten drei Leute, – als erster Guido – dreihundert Mark. Ein Schandgebot. Der untersetzte Mann war herangekommen. Er bewegte lautlos die Lippen. Er sah aus, als wolle er mitbieten. Aber die Hand sank herab. Er trat zurück.
Das nächste Gebot war vierhundert Mark. Guido ging auf vierhundertfünfzig. Es entstand eine Pause. Der Auktionator bot herum – „keiner mehr – zum ersten – zum zweiten – ”
„Tausend”, sagte Köster. Ich sah ihn an. „Ist ja drei wert”, murmelte er. „Kann nicht sehen, wie der da abgeschlachtet wird.”
Guido machte uns verzweifelte Zeichen. „Elfhundert”, meckerte er und klapperte uns mit beiden Augenlidern zu.
„Fünfzehnhundert”, sagte Köster.
Der Auktionator geriet in Schwung.
„Fünfzehnhundertzehn” erklärte Guido schwitzend.
„Achtzehnhundert”, sagte Köster.
Der Auktionator schlug uns den Wagen zu. Köster bezahlte sofort.
Nachmittags kam der Bäckermeister, um seinen Ford abzuholen. Er sah grau und verbittert aus. Ich war allein auf dem Hof. „Gefällt Ihnen die Farbe?” fragte ich.
„Ja, schon”, sagte er und sah den Wagen unschlüssig an.
„Das Verdeck ist sehr schön geworden.”
„Gewiss – ”
Er stand herum und schien sich nicht entschließen zu können abzufahren. Ich erwartete, dass er noch irgendwas umsonst einzuhandeln versuchen würde, einen Wagenheber, einen Aschenbecher oder etwas Ähnliches.
Aber es kam anders. Er schnaufte eine Weile herum, sah mich dann aus seinen rotgeäderten Augen an und sagte: „Wenn man so denkt, – da hat sie nun vor ein paar Wochen noch gesund und munter drin gesessen – ”
Ich war etwas erstaunt, ihn so plötzlich weich zu sehen, und vermutete, dass ihm das flinke, schwarze Luder, das er zuletzt bei sich gehabt hatte, bereits auf die Nerven ging. Ärger macht ja die Leute leichter sentimental als Liebe.
Der Bäcker begann sich auszusprechen. Er erzählte mir, wie sparsam die Frau gewesen sei. Es war merkwürdig, wie gerührt die Erinnerung an gespartes Geld diesen versoffenen Kegelbruder machte. Nicht einmal richtig photographieren hätte sie sich lassen, es sei ihr zu teuer gewesen. So hätte er nur ein Bild von der Hochzeit und ein paar kleine Momentaufnahmen von ihr.
Das brachte mich auf einen Gedanken. „Sie sollten sich ein schönes Bild von Ihrer Frau malen lassen”, sagte ich. „Dann haben Sie für immer was. Photographien verbleichen mit der Zeit. Es gibt hier einen Künstler, der das macht.”
Ich erklärte ihm Ferdinand Graus Tätigkeit. Er wurde sofort misstrauisch und meinte, das sei wohl sehr teuer. Ich beruhigte ihn, – wenn ich mitginge, bekäme er einen Sonderpreis. Ich rief Ferdinand Grau an und sagte ihm Bescheid. Dann fuhr ich mit dem Bäckermeister los, um die Photographien der Frau abzuholen.
Der Bäcker holte aus einem grünen Plüschalbum ein paar Bilder hervor und zeigte sie mir.
„Das geht”, sagte ich. „Danach kann er alles machen.”
Ferdinand Grau empfing uns in einem Gehrock. Er sah würdig und feierlich aus. Das gehörte zu seinem Geschäft.
An den Wänden des Ateliers hingen einige stattliche Ölporträts in goldenen Rahmen; darunter die kleinen dazugehörigen Photographien. Jeder Kunde konnte dadurch sofort sehen, was selbst aus einer verwischten Momentaufnahme zu machen war.
Ferdinand führte den Bäckermeister herum und fragte ihn, welche Art ihm am besten gefiele. Der Bäcker fragte zurück, ob die Preise sich nach der Größe richteten. Ferdinand erklärte, es ginge nicht nach dem Quadratmeter, sondern nach der Ausführung.
Sie redeten noch eine Zeitlang hin und her, dann wurden sie einig und besprachen die Ausführung. Der Bäcker wollte eine Perlenkette und eine goldene Brosche mit Diamanten extra dazu gemalt haben. Sie waren auf den Photos nicht zu sehen.
„Selbstverständlich”, erklärte Ferdinand, „der Schmuck ihrer Gattin wird mitgemalt. Am besten ist, Sie bringen ihn mir einmal für eine Stunde her, damit er möglichst naturgetreu wird.”
Der Bäcker wurde rot. „Ich habe ihn nicht mehr da. Er ist – ich habe ihn bei Verwandten.”
„Ach so. Na, dann geht es auch so. Sah die Brosche ähnlich aus wie die auf dem Bilde drüben?”
Der Bäcker nickte. „Nicht ganz so groß.”
„Schön. Dann werden wir sie so machen. Die Kette brauchen wir ohnehin nicht. Perlen sehen ja alle ähnlich aus.”
Der Bäcker atmete auf. „Und wann ist das Bild fertig?”
„In sechs Wochen.”
„Gut.” Der Bäcker verabschiedete sich.
Ich ging. Unten kam der Schwall und Lärm der Straße mir entgegen wie ein warmes Bad.
Ich war unterwegs zu Pat. Es war das erstemal, dass ich sie besuchte. Bisher war sie immer nur bei mir gewesen oder ich hatte sie vor ihrem Hause abgeholt und wir waren irgendwo hingegangen. Aber das war stets so gewesen, als ob sie nur zu Besuch da war. Ich wollte mehr von ihr wissen. Ich wollte wissen, wie sie lebte.
Mir fiel ein, dass ich ihr Blumen mitbringen könnte. Das war leicht; die städtischen Anlagen hinter dem Rummelplatz standen in voller Blüte. Ich sprang über das Gitter und begann einen weißen Fliederbusch zu plündern.
„Was machen Sie da?” erscholl plötzlich eine markige Stimme. Ich sah auf. Ein Mann mit einem Burgundergesicht und aufgezwirbeltem weißem Schnurrbart starrte mich entrüstet an. Kein Polizist und kein Parkwächter. Höheres, pensioniertes Militär, das erkannte man sofort.
„Das ist doch nicht schwer festzustellen”, erwiderte ich höflich. „Ich breche hier Fliederzweige ab.”
Dem Mann verschlug es einen Moment die Sprache. „Wissen Sie nicht, dass das städtische Anlagen sind?” knurrte er dann empört.
Ich lachte. „Natürlich weiß ich das! Oder glaubten Sie, ich hielte das hier für die Kanarischen Inseln?”
Der Mann wurde blau. Ich fürchtete, der Schlag würde ihn treffen. „Sofort raus da, Kerl!” schrie er mit erstklassiger Kasernenhofstimme. Sie vergreifen sich an städtischem Gut! Ich lasse Sie abführen!”
Ich hatte inzwischen genug Flieder.
Vor dem Hause Pats musterte ich noch einmal meinen Anzug. Dann stieg ich die Treppen hinauf und sah mich um. Das Haus war neu und modern gebaut; – ein starker Gegensatz zu meiner verwohnten, pompösen Baracke. Die Treppen waren mit einem roten Läufer belegt; das gab es bei Mutter Zalewski auch nicht. Vom Fahrstuhl gar nicht zu reden.
Pat wohnte im zweiten Stock. An der Tür war ein selbstbewusstes Messingschild angebracht: Egbert von Hake, Oberstleutnant. Ich starrte es lange an. Unwillkürlich rückte ich dann meinen Schlips zurecht, bevor ich klingelte.
Ein Mädchen mit weißem Häubchen und blütenweißer Tändelschürze öffnete; – nicht in einem Atem zu nennen mit unserm schielenden Trampel Frida. „Herr Lohkamp?” fragte sie.
Ich nickte.
Sie führte mich über einen kleinen Vorplatz und öffnete dann eine Zimmertür. Ich wäre nicht besonders erstaunt gewesen, wenn dort zunächst einmal Oberstleutnant Egbert von Hake in voller Uniform gestanden und mich einem Verhör unterzogen hätte, – so seriös wirkten die Bilder von einer Anzahl Generälen, die, ordenbedeckt, grimmig von den Wänden des Vorzimmers mir Zivilisten nachsahen. Aber da kam Pat mir schon entgegen mit ihren schönen, langen Schritten und das Zimmer war plötzlich nichts als eine Insel von Wärme und Heiterkeit. Ich schloss die Tür und nahm sie zuerst einmal vorsichtig in die Arme. Dann übergab ich ihr den gestohlenen Flieder. „Hier”, sagte ich. „Mit einem Gruß von der Stadtverwaltung.”
Sie stellte die Zweige in eine große, helle Tonvase, die auf dem Boden vor dem Fenster stand. Ich sah mich unterdessen in ihrem Zimmer um. Weiche gedämpfte Farben, wenige, alte, schöne Möbel, ein mattblauer Teppich, pastellfarbene Vorhänge, bequeme kleine Sessel, mit verblichenem Samt gepolstert. – „Mein Gott, wie hast du nur so ein Zimmer gefunden, Pat?” sagte ich. „Die Leute stellen doch sonst nur ihre ausrangierten Brocken und die unbrauchbaren Geburtstagsgeschenke in Zimmer, die sie vermieten.”
„Es sind alles meine eigenen Sachen, Robby. Die Wohnung hat früher meiner Mutter gehört. Als sie starb, habe ich sie abgegeben und zwei Zimmer für mich behalten.”
„Dann gehört sie also dir?” fragte ich erleichtert. „Und der Oberstleutnant Egbert von Hake wohnt nur bei dir zur Miete?”
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht mehr. Ich konnte sie nicht behalten. Ich habe die übrigen Möbel verkauft und die Wohnung ganz abgegeben. Ich wohne jetzt hier zur Miete. Aber was hast du mit dem alten Egbert?”
„Nichts. Ich habe nur eine natürliche Scheu vor Polizisten und Stabsoffizieren. Das stammt noch aus meiner Militärzeit.”
Sie lachte. „Mein Vater war auch Major.”
„Major ist gerade die Grenze”, erwiderte ich.
„Kennst du denn den alten Hake?” fragte sie.
Ich wurde plötzlich von einer bösen Ahnung erfasst. „Ist es so ein Kleiner, Strammer, mit einem roten Gesicht, einem weißen Schnauzbart und einer mächtigen Stimme? Einer, der viel in den städtischen Anlagen spazieren geht?”
„Aha!” Sie blickte auf den Flieder und sah mich dann lachend an. „Nein, es ist ein Großer, Blasser mit einer Hornbrille!”
„Dann kenne ich ihn nicht.”
„Willst du ihn kennen lernen? Er ist sehr nett.”
„Da sei Gott vor! Ich gehöre einstweilen mehr auf die Monteur- und die Zalewskiseite.”
Es klopfte. Das Mädchen von vorhin schob einen niedrigen, fahrbaren Tisch herein. Dünnes, weißes Porzellan, eine Silberplatte mit Kuchen, eine andere mit belegten, unwahrscheinlich kleinen Brötchen, Servietten, Zigaretten und was weiß ich sonst noch – wie geblendet starrte ich darauf nieder. „Erbarme dich, Pat!” sagte ich dann. „Das ist ja wie im Film! Ich habe schon auf der Treppe gemerkt, dass wir auf verschiedenen sozialen Stufen stehen. Bedenke, dass ich gewöhnt bin, aus fettigem Papier auf der Zalewskischen Fensterbank zu essen, den braven Spirituskocher treu neben mir. Erbarme dich über den Bewohner liebloser Pensionen, wenn er in seiner Verwirrung vielleicht eine Tasse umschmeißt!”
Sie lachte. „Das darfst du nicht. Deine Ehre als Motorenfachmann erlaubt das nicht. Du musst geschickt sein.” Sie ergriff den Henkel einer Kanne. „Willst du Tee oder Kaffee?”
„Tee oder Kaffee? Gibt es denn beides?”
„Ja. Sieh hier!”
„Herrlich! Wie in den besten Lokalen! Jetzt fehlt nur noch Musik.”
Sie beugte sich zur Seite und knipste einen kleinen Kofferradio an, den ich gar nicht gesehen hatte. „Also, was willst du nun, Tee oder Kaffee?”
„Kaffee, einfach Kaffee, Pat. Ich bin vom Lande. Und du?”
„Ich trinke mit dir Kaffee.”
„Aber sonst trinkst du Tee?”
„Ja.”
„Da haben wir es.”
„Ich fange schon an, mich an Kaffee zu gewöhnen. Willst du Kuchen dazu? Oder Brötchen?”
„Beides, Pat. Man muss solche Gelegenheiten ausnützen. Ich werde nachher auch noch Tee trinken. Ich muss alles versuchen, was es hier bei dir gibt.”
Sie lachte und packte meinen Teller voll. Ich wehrte ab. „Genug, genug! Bedenke, dass wir in der Nähe eines Oberstleutnants sind! Das Militär liebt Mäßigkeit bei den niederen Chargen.”
„Nur im Trinken, Robby. Der alte Egbert isst selbst leidenschaftlich gern Kuchen mit Schlagsahne.”
Ich hatte mittags nur eine Tasse Bouillon in der Chauffeurkneipe getrunken. Es war deshalb nicht besonders schwer alles aufzuessen, was da war. Dazu trank ich, ermuntert von Pat, auch die ganze Kanne Kaffee leer.
Wir saßen am Fenster und rauchten. Der Abend stand rot über den Dächern. „Es ist schön bei dir, Pat”, sagte ich. „Ich könnte verstehen, dass man wochenlang keinen Schritt hinaustäte, – bis man den ganzen Kram da draußen vergessen hätte.” Sie lächelte. „Es gab eine Zeit, da konnte ich gar nicht erwarten, hier herauszukommen.”
„Wann denn?”
„Als ich krank war.”
„Das ist was anderes. Was hast du denn gehabt?”
„Nichts sehr Schlimmes. Ich musste nur liegen. Ich war wohl zu schnell gewachsen und hatte zu wenig zu essen bekommen. Im Krieg und nach dem Kriege gabs ja nicht viel.” Ich nickte. „Wie lange hast du denn gelegen?” Sie zögerte einen Augenblick. „Ungefähr ein Jahr.”
„Das ist aber sehr lange.” Ich sah sie aufmerksam an.
„Es ist jetzt längst vorbei. Aber damals erschien es mir wie ein ganzes Leben. Du hast mir in der Bar einmal von deinem Freunde Valentin erzählt. Dass er nie vergessen konnte nach dem Kriege, welch ein Glück es sei, zu leben. Und dass ihm alles andere gleichgültig wurde darüber.”
„Das hast du gut behalten”, sagte ich.
„Weil ich es gut verstehe. Ich kann mich seit damals auch so leicht freuen. Ich glaube, ich bin sehr oberflächlich.”
„Oberflächlich sind nur Leute, die glauben, dass sie es nicht sind.”
„Ich bin es aber bestimmt. Ich habe nicht viel Verständnis für die großen Dinge des Lebens. Nur für die schönen. Dieser Flieder hier macht mich schon glücklich.”
„Das ist keine Oberflächlichkeit; – das ist letzte Philosophie.”
„Bei mir nicht. Ich bin oberflächlich und leichtsinnig.”
„Ich auch.”
„Findest du auch, dass ich leichtsinnig war?”
„Nein, mutig.”
„Ach, Mut – ich bin nicht sehr mutig. Ich habe manchmal Angst genug dabei gehabt. So wie jemand, der im Theater auf dem falschen Platz sitzt und sich doch nicht wegrührt.”
Sie sah mich einen Augenblick an. „Gut, Robby”, sagte sie. Dann stand sie auf und ging zu einem Schränkchen. „Weißt du, was ich hier habe? Rum für dich. Guten Rum, glaube ich.”
Der Rum war, das sah ich schon an der Farbe, Verschnitt. Der Händler hatte Pat bestimmt betrogen. Ich trank das Glas aus. „Höchste Klasse”, sagte ich, „gib mir noch einen. Wo hast du ihn her?”
„Aus dem Geschäft an der Ecke.”
Aha, dachte ich, natürlich so ein verdammter Delikatessenladen. Ich nahm mir vor, gelegentlich mal reinzusehen und dem Mann Bescheid zu sagen.
„Jetzt muss ich wohl gehen, Pat, was?” fragte ich. Sie sah mich an. „Noch nicht – ”
Wir standen am Fenster. Unten flammten die Lichter auf. „Zeig mir einmal dein Schlafzimmer”, sagte ich.
Sie machte die Tür auf und knipste das Licht an. Ich blieb an der Tür stehen und sah hinein. Mir ging allerlei durch den Kopf. „Das ist also dein Bett, Pat” sagte ich schließlich.
Sie lächelte. „Wem soll es denn sonst gehören, Robby?”
„Wahrhaftig!” Ich blickte auf. „Und da ist ja auch das Telefon. Nun weiß ich das auch. Jetzt werde ich gehen. Leb wohl, Pat.”
Sie legte ihre Hände um meine Schläfen. Es wäre wunderbar gewesen, jetzt dazubleiben, im hereinbrechenden Abend, dicht beieinander, unter der weichen, blauen Decke im Schlafzimmer; – aber es war etwas da, was mich abhielt. – Es war keine Hemmung, auch keine Angst und keine Vorsicht, – es war einfach nur eine sehr große Zärtlichkeit, eine Zärtlichkeit, die das Begehren überschwemmte.
„Leb wohl, Pat”, sagte ich. „Es war schön bei dir. Viel schöner für mich, als du dir vielleicht denken kannst. Und das mit dem Rum – dass du daran gedacht hast – ”
„Aber das war doch so einfach – ”
„Für mich nicht. Bin es nicht so gewöhnt.”
Die Zalewskische Bude. Ich saß eine Weile herum.
Bis acht Uhr hielt ich es in meiner Bude noch aus, – dann hatte ich genug davon, allein herumzusitzen und ging in die Bar, um irgend jemand zu treffen.
Valentin war da. „Setz dich”, sagte er. „Was willst du trinken?”
„Rum”, erwiderte ich. „Habe zu Rum seit heute ein besonderes Verhältnis.”
„Rum ist die Milch des Soldaten”, sagte Valentin. „Siehst übrigens gut aus, Robby.”
„So?”
„Ja, jünger.”
„Auch was”, sagte ich. „Prost, Valentin.”
„Prost, Robby.”
Wir sagten es noch einige Male. Dann brach Valentin auf.
Ich blieb sitzen. Es war außer Fred niemand mehr da. Ich betrachtete die alten, beleuchteten Landkarten, die Schiffe mit ihren vergilbten Segeln und dachte an Pat. Ich hätte sie gern angerufen, aber ich zwang mich, es nicht zu tun. Ich wollte auch nicht so viel an sie denken. Ich wollte sie nehmen als ein unerwartetes, beglückendes Geschenk, das gekommen war und wieder gehen würde, – nicht mehr. Ich wollte nie dem Gedanken Raum geben dass es mehr sein könnte. Ich wusste zu sehr, dass alle Liebe den Wunsch nach Ewigkeit hatte und dass darin ihre ewige Qual lag. Es gab nichts, was blieb. Nichts.
„Bin ich besoffen oder donnert es draußen?” fragte ich.
Fred lauschte. „Es donnert tatsächlich. Das erste Gewitter in diesem Jahr.”
Wir gingen unter die Tür und sahen zum Himmel auf. Es war nichts zu sehen. Es war nur warm und ab und zu donnerte es.
,,Darauf könnten wir eigentlich noch einen nehmen”, schlug ich vor. Fred war auch dafür.
Es donnerte nur stärker. Ich gab ihm ein Glas Zitronensaft zu trinken und ging zum Telefon. Im letzten Augenblick besann ich mich, dass ich ja nicht telefonieren wollte. Ich winkte dem Apparat zu und wollte meinen Hut vor ihm ziehen. Aber dann merkte ich, dass ich ihn gar nicht auf hatte.
Als ich zurückkam, waren Köster und Lenz da. „Hauch mich mal an”, sagte Gottfried.
Ich hauchte. „Rum, Kirsch und Absinth”, sagte er. „Absinth, du Ferkel.”
„Wenn du meinst, ich wäre besoffen, irrst du dich”, sagte ich.
„Wo kommt ihr her?”
„Aus einer politischen Versammlung. Aber es war Otto zu blöd. Was trinkt Fred denn da?”
„Zitronensaft.”
„Trink auch mal ein Glas.”
„Morgen”, erwiderte ich. „Jetzt werde ich zunächst mal was essen.”
Köster hatte mich die ganze Zeit besorgt angesehen. „Sieh mich nicht so an, Otto”, sagte ich, „ich habe mich aus lauter Lebenslust etwas beschwipst. Nicht aus Kummer.”
„Dann ists gut”, sagte er. „Aber komm trotzdem mit, essen.”
Um elf Uhr war ich wieder nüchtern wie ein Knochen.
Ich ging zum Telefon und rief Pat an. Es war mir völlig gleichgültig, was ich vorher alles zusammengedacht hatte. Sie meldete sich. „In einer Viertelstunde bin ich vor der Haustür,” rief ich und hängte rasch ab. Ich fürchtete, sie könnte müde sein und wollte nichts davon hören. Ich wollte sie sehen.
Sie kam. Als sie die Haustür aufschloss, küsste ich das Glas da, wo ihr Kopf war. Sie wollte etwas sagen, aber ich ließ sie gar nicht zu Worte kommen. Ich küsste sie und wir liefen zusammen die Straße hinunter, bis wir ein Taxi fanden. Es donnerte und blitzte.
„Rasch, sonst gibts Regen”, rief ich.
Wir stiegen ein. Die ersten Tropfen klatschten auf das Dach der Droschke. Der Wagen rüttelte auf dem schlechten Pflaster. Es war alles wunderbar, denn bei jedem Rütteln spürte ich Pat. Es war alles wunderbar: der Regen, die Stadt, das Trinken, es war alles weit und herrlich.