Книга: Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке
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XIX

Ich stand am Parkplatz und wartete. Gustav kam mit seinem Wagen heran und stellte sich hinter mir auf. „Was macht der Köter, Robert?” fragte er.

„Dem gehts großartig”, sagte ich.

„Und dir?”

Ich winkte missmutig ab. „Mir würde es auch großartig gehen, wenn ich mehr verdiente. Stell dir vor, zwei ganze Fünfzigpfennigfuhren heute”

Er nickte. „Es wird immer schlechter. Alles wird immer schlechter. Was das bloß noch geben soll!”

„Dabei müsste ich so notwendig Geld verdienen!” sagte ich. „Gerade jetzt! Viel Geld.”

Gustav kratzte sich am Kinn. „Viel Geld!” Dann sah er mich an. „Reell ist nirgendwo viel Moos zu holen, Robert. Nur durch Spekulationen. Wie wäre es mit dem Toto? Heute sind Rennen. Ich weiß da einen erstklassigen Laden. Habe neulich mal achtundzwanzigfaches Geld gemacht auf Aida.”

„Was, ist mir egal. Hauptsache ist, dass eine Chance da ist.”

„Hast du schon mal getippt?”

„Nein.”

„Dann hast du die Kinderhand! Damit ist was zu machen.” Er sah nach der Uhr. „Wollen wir los? Schaffen es gerade noch.”

„Gut!” Seit dem Hund hatte ich Vertrauen zu Gustav.

Das Wettbüro war ein ziemlich großer Raum. Rechts war ein Zigarrenladen abgeteilt, links befand sich der Totalisator.

Zu meinem Erstaunen herrschte mächtiger Betrieb.

Gustav studierte bereits die Rennlisten. „Wann kommt Auteuil raus?” rief er zur Theke hinüber.

„Fünf Uhr”, quakte der Gehilfe.

Gustav studierte wieder. „Wir setzen als Anfang jeder zwei Eier auf Tristan, Sieg”, erklärte er mir.

„Hast du denn eine Ahnung davon?” fragte ich.

„Ahnung??” fragte Gustav zurück. „Ich kenne jeden Pferdehuf.”

Er rief unsere Sätze zu dem Mann am Pult hinüber. Wir erhielten einen Zettel und setzten uns vorn in das Lokal, wo ein paar Tische und Stühle standen.

Das Telefon schrillte. Alles spitzte die Ohren. Der Gehilfe rief die Namen aus. Von Tristan war weit und breit nichts zu hören. „Verdammt”, sagte Gustav und lief rot an, „Salomon hats gemacht. Wer hätte das gedacht, Sie etwa?” fragte er ärgerlich das Fleißige Lieschen.

Von Bieling erschien zwischen uns. „Meine Herrschaften, hätten Sie auf mich gehört – Salomon hätte ich Ihnen gesagt! Nur Salomon! Wollen Sie zum nächsten Rennen – ”

„Verstehen Sie was von Pferden?” fragte Bieling mich.

„Nichts”, sagte ich.

„Dann setzen Sie! Setzen Sie! Aber nur heute”, fügte er flüsternd hinzu, „und nie wieder. Hören Sie auf mich. Setzen Sie – es ist ganz egal – König Lear oder Silbermotte – vielleicht auch L’heure bleue. Ich will nichts verdienen. Geben Sie mir nur etwas, wenn Sie gewinnen.” Er zitterte mit dem Kinn vor Spielleidenschaft. Ich kannte die Regel vom Poker her: Anfänger gewannen oft. „Schön”, sagte ich, „worauf?”

„Was Sie wollen – was Sie wollen – ”

„L’heure bleue klingt nicht häßlich”, sagte ich, „also zehn Mark auf L’heure bleue.”

Bieling sah mich beschwörend an und machte mir Zeichen.

„Sieg”, sagte ich.

„Lass dir begraben”, grunzte das Fleißige Lieschen verächtlich.

„Mensch!” Auch Gustav sah mich an, als ob ich mich in einen Hottentotten verwandelt hätte.

„Ich bleibe bei meiner L’heure bleue”, erklärte ich. Es wäre gegen alle geheimen Glücksrittergesetze gewesen, jetzt noch zu wechseln.

Der Mann mit dem lila Hemd übergab mir meinen Zettel.

Das Telefon klingelte. „Das nennt die Welt Schwein!” hörte ich plötzlich Gustav schmettern. „Herrschaften, das ist schon mehr als Schwein, das ist eine Riesenmuttersau mit zwanzig Ferkeln!” Er schlug mir auf die Schulter. „Hundertachtzig Eier hast du getrudelt, Mann Gottes! Dein Hottehü mit dem komischen Namen hats gemacht!”

„Was, tatsächlich?” fragte ich.

Einen Augenblick entstand völlige Stille im ganzen Raum. Alles sah zu. Sogar der unentwegte Esser hob den Kopf.

Ich steckte die Scheine ein. „Aufhören!” flüsterte Bieling. „Aufhören!” Er hatte rote Flecke im Gesicht. Ich schob ihm zehn Mark in die Hand.

* * *

Um sieben Uhr fuhr ich in die Werkstatt zurück. Karl stand auf dem Hof und röhrte. „Gut, dass du kommst, Robby”, rief Köster, „wir wollen gerade raus und ihn ausprobieren! Steig ein.”

Die ganze Firma stand erwartungsvoll bereit. Otto hatte an Karl einiges verbessert und geändert, weil er in vierzehn Tagen mit ihm zu einem Bergrennen starten wollte. Jetzt sollte die erste Probefahrt erfolgen.

Wir stiegen ein. Jupp saß neben Köster, seine mächtige Rennbrille vor dem Gesicht. Ihm wäre das Herz gebrochen, wenn er nicht mitgekommen wäre. Lenz und ich setzten uns nach hinten.

Karl stob davon. Wir erreichten die lange Ausfallstraße und gingen auf hundertvierzig Kilometer. Lenz und ich bückten uns dicht auf die Lehnen der Vordersitze; es war ein Wind, dass man meinte, der Kopf würde einem weggerissen. Eine Viertelstunde später sahen wir vor uns einen schwarzen Punkt, der rasch größer wurde. Es war ein ziemlich schwerer Wagen, der eine Geschwindigkeit von ungefähr achtzig bis hundert Kilometern hatte. Er lag nicht besonders gut auf der Straße, sondern schwänzelte hin und her. Die Strecke war ziemlich schmal. Köster ging deshalb mit dem Tempo herunter. Als wir auf hundert Meter heran waren und hupen wollten, sahen wir plötzlich auf einem Seitenweg von rechts einen Motorradfahrer herankommen, der gleich darauf hinter einer Hecke vor der Kreuzung verschwand. „Verflucht! Das gibt was!” rief Lenz.

Im selben Augenblick sahen wir den Motorradfahrer auf der Straße auftauchen, zwanzig Meter vor dem Wagen. Er hatte wahrscheinlich dessen Tempo unterschätzt und versuchte deshalb jetzt im Bogen vorher noch vorbeizukommen. Der Wagen ruckte scharf nach links, um so auszuweichen, aber das Motorrad rutschte jetzt ebenfalls nach links herüber. Der Wagen wurde wieder nach rechts gerissen und streifte mit dem Kotflügel das Motorrad, das herumflog. Der Fahrer stürzte vornüber auf die Straße. Der Wagen schleuderte, kam nicht wieder in die Bahn, riss den Wegweiser um, knickte eine Laterne ab und prallte mit knatterndem Getöse gegen einen Baum.

Wir liefen zurück und rissen die Türen des Wagens auf.

Sämtliche Scheiben der schweren Limousine waren zersplittert. Im Halbdunkel des Innern sahen wir das blutüberströmte Gesicht einer Frau. Neben ihr war ein Mann zwischen Steuerrad und Sitz gequetscht. Wir hoben zuerst die Frau heraus und legten sie auf die Straße. Ihr Gesicht war voller Schnitte, ein paar Splitter steckten noch darin, aber das Blut lief regelmäßig. Schlimmer war der rechte Arm. Der Ärmel der weißen Kostümjacke war hellrot und tropfte stark. Lenz schnitt ihn auf. Ein Schwall Blut floss heraus, dann pulste es weiter. Die Ader war zerschnitten. Lenz drehte sein Taschentuch zu einem Knebel.

,,Macht den Mann frei, ich werde hier schon fertig”, sagte er. „Wir müssen rasch ins nächste Krankenhaus.”

Um den Mann loszubekommen, mussten wir die Sitzlehne abschrauben. Zum Glück hatten wir Werkzeug genug bei uns und es ging ziemlich schnell.

Köster fuhr Karl rückwärts bis dicht an die Unglücksstelle heran. Wir legten die Lehne eines der Vordersitze zurück und konnten so den Mann hinlegen. Die Frau setzten wir auf den Hintersitz. „Bleib hier und pass auf den Wagen, Jupp”, sagte Lenz.

„Wo ist eigentlich der Motorradfahrer geblieben?” fragte ich.

„Abgehauen, als wir am Arbeiten waren”, erklärte Jupp.

Wir fuhren langsam los. In der Nähe des nächsten Dorfes war ein kleines Sanatorium. Soviel wir wussten, war es eine Art Privatirrenanstalt für leichtkranke, reiche Patienten, – aber sicher war ein Arzt da und ein Verbandsraum.

Wir fuhren den Hügel hinauf und klingelten. Eine sehr hübsche Schwester kam heraus. Sie wurde blass, als sie das Blut sah, und lief zurück. Gleich darauf kam eine zweite, bedeutend ältere. ,,Bedaure”, sagte sie, „wir sind nicht auf Unfälle eingerichtet. Sie müssen zum Virchow-Krankenhaus fahren. Es ist nicht weit.”

„Es ist fast eine Stunde von hier”, erwiderte Köster.

Die Schwester sah ihn abweisend an. „Wir sind gar nicht auf so etwas eingerichtet. Es ist auch kein Arzt da – ”

„Dann verstoßen Sie gegen das Gesetz”, erklärte Lenz.

Wir gingen zum Wagen zurück und halfen der Frau heraus. Sie sagte nichts; sie blickte nur auf ihre Hände. Wir brachten sie in einen kleinen Ordinationsraum im Parterre. Dann kam die Tragbahre für den Mann. Wir hoben ihn hinauf. Er stöhnte. „Einen Augenblick – ”

Wir sahen ihn an. Er schloss die Augen. „Ich möchte, dass niemand etwas erfährt”, sagte er mühsam.

„Sie waren völlig ohne Schuld”, erwiderte Köster.

„Wir haben den Unfall genau gesehen und sind gern Zeugen für Sie.”

„Das ist es nicht”, sagte der Mann. „Ich möchte aus anderen Gründen, dass nichts bekannt wird. Sie verstehen – ” Er blickte nach der Tür, durch die die Frau gegangen war.

„Dann sind Sie hier am richtigen Platz”, erklärte Lenz. „Es ist ein Privathaus. Das einzige wäre nur noch, dass Ihr Wagen verschwindet, ehe die Polizei ihn sieht.”

Der Mann stützte sich auf. „Würden Sie das für mich noch machen? Eine Reparaturanstalt anrufen? Und geben Sie mir bitte Ihre Adresse! Ich möchte – ich bin Ihnen zu Dank – ”

Köster wehrte mit einer Handbewegung ab. „Doch”, sagte der Mann, „ich wüsste gern – ”

„Ganz einfach”, erwiderte Lenz. „Wir haben selbst eine Reparaturanstalt und sind Spezialisten für Wagen wie den Ihren. Wir werden ihn gleich mitnehmen, wenn Sie einverstanden sind, und ihn wieder in Ordnung bringen. Damit ist Ihnen geholfen und uns gewissermaßen auch.”

„Gern”, sagte der Mann. „Wollen Sie meine Adresse – ich komme dann selbst, den Wagen holen. Oder schicke jemand.”

Köster steckte die Visitenkarte in die Tasche und wir trugen ihn hinein.

* * *

Wir fuhren zum Dorf und fragten nach einer Werkstatt. Dort liehen wir uns bei einem Schmied eine Abschleppvorrichtung und ein Seil und versprachen dem Mann zwanzig Mark dafür. Doch der war misstrauisch und wollte den Wagen sehen. Wir nahmen ihn mit und fuhren zurück.

* * *

Wir bockten den Wagen auf und befestigten ihn mit dem Drahtseil hinter Karl. „Glaubst du, dass es ihm nicht schadet?” fragte ich Köster. „Karl ist schließlich ein Rennpferd und kein Packesel.”

Er schüttelte den Kopf. „Ist ja nicht weit. Und ebene Straße.” Lenz setzte sich in den Stutz und wir fuhren langsam los.

Wir fuhren auf unserm Hof ein. Lenz kletterte aus dem Stutz und nahm feierlich den Hut vor ihm ab. „Sei gegrüßt, Gesegneter! Du kommst aus traurigem Anlass hierher, aber uns wirst du, mit liebevollem Auge oberflächlich geschätzt, etwa drei bis dreieinhalbtausend Mark einbringen.”

Wir tranken alle ein Glas, dann gingen wir sofort daran, den Stutz möglichst weit auseinanderzunehmen. Es genügte nämlich nicht immer, dass der Besitzer allein den Auftrag zur Reparatur gab; – oft kam nachträglich noch die Versicherungsgesellschaft, um den Wagen anderswohin, in eine ihrer Vertragswerkstätten, zu geben. Je weiter wir deshalb kamen, um so besser war es. Es war dunkel, als wir aufhörten. „Fährst du heute abend noch Taxi?” fragte ich Lenz.

„Ausgeschlossen”, erwiderte Gottfried. „Man soll das Geldverdienen auf keinen Fall übertreiben. Der Stutz genügt mir für heute.”

„Mir nicht”, sagte ich. „Wenn du nicht fährst, werde ich von elf bis zwei die Nachtlokale abgrasen.”

* * *

Ich verabschiedete mich deshalb bald und ging nach Hause.

* * *

Pat hörte mich nicht kommen. Sie saß auf dem Boden vor dem Spiegel und probierte an einem Hut herum, einer kleinen schwarzen Kappe. Neben ihr auf dem Teppich stand die Lampe. Das Zimmer war voll von einer warmen, braungoldenen Dämmerung und nur ihr Gesicht war hell vom Licht bestrahlt. Sie hatte sich einen Stuhl herangerückt, von dem ein bisschen Seide herunterhing. Auf dem Sitz lag eine Schere und blitzte.

Ich blieb ruhig an der Tür stehen und sah zu, wie sie ernsthaft an der Kappe arbeitete. Sie liebte es, auf dem Boden zu sitzen, und ich hatte sie manchmal schon abends eingeschlafen in irgendeiner Zimmerecke auf dem Boden gefunden, neben sich ein Buch und den Hund.

Der Hund lag auch jetzt neben ihr und begann zu knurren. Pat blickte auf und sah mich im Spiegel. Sie lächelte und mir schien, als ob alles in der Welt heller dadurch würde. Ich ging durch das Zimmer, kniete hinter ihr nieder und legte meinen Mund nach all dem Dreck des Tages auf die warme, weiche Haut des Nackens vor mir.

Sie hob die schwarze Kappe hoch. „Ich habe sie geändert, Liebling. Gefällt sie dir so?”

„Es ist ein ganz herrlicher Hut”, sagte ich.

„Aber du siehst ja gar nicht hin! Ich habe hinten den Rand abgeschnitten und ihn vorn hochgeklappt.”

„Ich sehe ihn ganz genau”, sagte ich mit dem Gesicht in ihrem Haar, „es ist ein Hut, bei dem die Pariser Schneider vor Neid erbleichen würden, wenn sie ihn sähen.”

„Aber Robby!” Lachend schob sie mich zurück. „Du hast keine Ahnung davon. Siehst du überhaupt manchmal, was ich anhabe?”

„Ich sehe jede Kleinigkeit”, erklärte ich und hockte mich dicht neben sie auf den Boden, allerdings etwas in den Schatten.

„So? Was habe ich denn gestern abend angehabt?”

„Gestern?” Ich dachte nach. Ich wusste es tatsächlich nicht.

„Das habe ich erwartet, Liebling! Du weißt ja überhaupt fast gar nichts von mir.”

„Stimmt”, sagte ich, „aber das ist gerade das Schöne. Je mehr man voneinander weiß, desto mehr missversteht man sich. Und je näher man sich kennt, desto fremder wird man sich. Sieh mal die Familie Hasse an; – die wissen alles voneinander und sind sich mehr zuwider als die fremdesten Menschen.”

Sie setzte die kleine, schwarze Kappe auf und probierte sie vor dem Spiegel. „Was du da sagst, stimmt nur halb, Robby.”

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