Книга: Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке
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XVI

Ich saß am Strande und sah zu, wie die Sonne unterging. Pat war nicht mitgekommen. Sie hatte sich den Tag über nicht wohl gefühlt. Als es dunkel wurde, stand ich auf, um nach Hause zu gehen. Da sah ich hinter dem Walde das Dienstmädchen herankommen. Es winkte und rief etwas. Ich verstand es nicht; der Wind und das Meer waren zu laut. Ich winkte zurück, sie solle stehenbleiben, ich käme schon. Aber sie lief weiter und hob die Hände zum Mund. „Frau – ” verstand ich, – „rasch – ”

Ich lief. „Was ist los?”

Sie jappte nach Luft. „Rasch – Frau – Unglück – ”

Ich rannte den Sandweg entlang, durch den Wald, dem Hause zu. Das hölzerne Gartentor verhedderte sich, ich sprang hinüber und stürzte ins Zimmer. Da lag Pat auf dem Bett, mit blutiger Brust und gekrampften Händen und Blut lief ihr aus dem Munde. Neben ihr stand Fräulein Müller mit Tüchern und einer Schale Wasser.

„Was ist los?” rief ich und schob sie beiseite.

Sie sagte etwas. „Bringen Sie Verbandzeug!” rief ich. „Wo ist die Wunde?”

Sie sah mich mit zitternden Lippen an. „Es ist keine Wunde – ”

Ich richtete mich auf. „Ein Blutsturz”, sagte sie.

Mir war, als hätte ich einen Hammerschlag erhalten. „Ein Blutsturz?” Ich sprang auf und nahm ihr die Schüssel mit Wasser aus der Hand.

„Holen Sie Eis, holen Sie rasch etwas Eis.”

Ich tauchte das Handtuch in die Schüssel und legte es Pat auf die Brust. „Wir haben kein Eis im Hause”, sagte Fräulein Müller.

Ich drehte mich um. Sie wich zurück. „Holen Sie Eis. um Gotteswillen, schicken Sie zur nächsten Kneipe und telefonieren Sie sofort dem Arzt!”

„Wir haben doch kein Telefon – ”

„Verflucht! Wo ist das nächste Telefon?”

„Bei Maßmann.”

„Laufen Sie hin. Schnell. Telefonieren Sie sofort an den nächsten Arzt. Wie heißt er? Wo wohnt er?”

Ehe sie einen Namen nannte, schob ich sie hinaus.

„Schnell, schnell, laufen Sie rasch! Wie weit ist es?”

„Drei Minuten”, sagte die Frau und hastete los.

„Bringen Sie Eis mit!” rief ich ihr nach.

Sie nickte und lief.

Ich holte Wasser und tauchte das Handtuch wieder ein. Ich wagte Pat nicht anzurühren. Ich wusste nicht, ob sie richtig lag, ich war verzweifelt, weil ich es nicht wusste, das einzige, was ich wissen musste: ob ich ihr Kissen unter den Kopf schieben oder sie flach hinlegen sollte.

Sie röchelte, dann bäumte sie sich und ein Schuss Blut quoll aus ihrem Munde. Sie atmete hoch und jammernd ein, ihre Augen waren unmenschlich entsetzt, sie verschluckte sich und hustete und wieder spritzte das Blut, ich hielt sie fest und gab nach, die Hand unter ihrer Schulter, ich spürte die Erschütterungen ihres armen gequälten Rückens, es schien endlos zu dauern, dann fiel sie schlapp zurück —

Fräulein Müller trat ein. Sie sah mich an wie ein Gespenst.

„Was sollen wir machen?” rief ich.

„Der Arzt kommt sofort”, flüsterte sie, „Eis – auf die Brust und wenn sie kann, in den Mund – ”

„Tief oder hoch legen, so reden Sie doch himmelverflucht, rasch.”

„So lassen – er kommt sofort – ”

Ich packte Pat die Eisstücke auf die Brust, erlöst, dass ich etwas tun konnte, ich schlug Eis klein für Kompressen und legte sie auf und sah immer nur diesen süßen, geliebten, verzerrten Mund, diesen einzigen Mund, diesen blutenden Mund —

Da rasselte ein Fahrrad. Ich sprang hoch. Der Arzt. „Kann ich helfen?” fragte ich. Er schüttelte den Kopf und packte seine Tasche aus. Ich stand dicht bei ihm am Bett und umklammerte die Pfosten. Er sah auf. Ich ging einen Schritt zurück und behielt ihn fest im Auge. Er betrachtete die Rippen Pats. Pat stöhnte.

„Ist es gefährlich?” fragte ich.

„Wo war Ihre Frau in Behandlung?” fragte er zurück.

„Was? In Behandlung?” stotterte ich.

„Bei welchem Arzt?” fragte er ungeduldig.

„Ich weiß nicht – ” antwortete ich – „nein, ich weiß nichts – ich glaube nicht – ”

Er sah mich an. „Das müssen Sie doch wissen – ”

„Ich weiß es aber nicht. Sie hat mir nie etwas davon gesagt.”

Er beugte sich zu Pat herunter und fragte. Sie wollte antworten. Aber wieder brach der Husten rot durch. Der Arzt fing sie auf. Sie biss in die Luft und holte pfeifend Atem. „Jaffé”, stieß sie gurgelnd hervor.

„Felix Jaffé? Professor Felix Jaffé?” fragte der Arzt. Sie nickte mit den Augen. Er wendete sich zu mir. „Können Sie ihm telefonieren? Es ist besser, ihn zu fragen.”

„Ja, ja”, antwortete ich, „ich werde sofort. Ich hole Sie dann! Jaffé?”

„Felix Jaffé”, sagte der Arzt. „Verlangen Sie bei der Auskunft die Nummer.”

„Kommt sie durch?” fragte ich.

„Sie muss aufhören zu bluten”, sagte der Arzt.

Ich fasste das Mädchen und rannte los, den Weg entlang. Sie zeigte mir das Haus mit dem Telefon. Ich klingelte. Ich verlangte ein dringendes Gespräch und wartete am Apparat.

Endlich meldete sich die Nummer. Ich fragte nach dem Professor.

„Bedaure”, sagte die Schwester, „Professor Jaffé ist ausgegangen.”

Mein Herz hörte auf zu schlagen und haute dann wie ein Schmiedehammer los. „Wo ist er denn? Ich muss ihn sofort sprechen.”

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er noch einmal in die Klinik gegangen.”

„Bitte, rufen Sie die Klinik an. Ich warte hier. Sie haben doch noch einen zweiten Apparat.”

„Einen Moment.” Die Stimme der Schwester kam wieder. „Professor Jaffé ist aus der Klinik schon fortgegangen.”

„Wohin?”

„Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, mein Herr.”

Aus. Ich lehnte mich an die Wand. „Hallo!” sagte die Schwester, „sind Sie noch da?”

„Ja – hören Sie, Schwester, Sie wissen nicht, wann er zurückkommt?”

„Das ist ganz unbestimmt.”

„Hinterlässt er das denn nicht? Das muss er doch. Wenn mal was passiert, muss er doch zu erreichen sein.”

„Es ist ein Arzt in der Klinik.”

„Können Sie denn den” – nein, es hatte ja keinen Zweck, der wusste es ja nicht – „gut, Schwester”, sagte ich todmüde, „wenn Professor Jaffé kommt, bitten Sie ihn, sofort dringend hier anzurufen.” Ich sagte ihr die Nummer. „Aber bitte, dringend!”

„Sie können sich darauf verlassen, mein Herr.” Sie wiederholte die Nummer und hängte ab.

Ich stand da, allein. Und plötzlich hatte ich es. Ich hob den Hörer wieder ab und sagte Kösters Nummer hinein. Er musste da sein. Es ging einfach nicht anders.

Und da kam sie, aus dem Gebrodel der Nacht, die ruhige Stimme Kösters. Ich wurde sofort selbst ruhig und sagte ihm alles. Ich fühlte, er schrieb schon mit.

„Gut”, sagte er, „ich fahre sofort los ihn zu suchen. Ich rufe an. Sei ruhig. Ich finde ihn.”

Vorbei. Vorbei? Die Welt stand stille. Der Spuk war aus. Ich lief zurück.

„Nun?” fragte der Arzt, „haben Sie ihn erreicht?”

„Nein”, sagte ich, „aber ich habe Köster erreicht.”

„Köster? Kenne ich nicht! Was hat er gesagt? Wie hat er sie behandelt?”

„Behandelt? Behandelt hat er sie nicht. Köster sucht ihn.”

„Wen?”

„Jaffé.”

„Herrgott, wer ist denn dieser Köster?”

„Ach so – entschuldigen Sie. Köster ist mein Freund. Er sucht Professor Jaffé. Ich konnte ihn nicht erreichen.”

„Schade”, sagte der Arzt und wendete sich wieder Pat zu.

„Er wird ihn erreichen”, sagte ich. „Wenn er nicht tot ist, wird er ihn erreichen.”

Der Arzt sah mich an, als ob ich verrückt geworden wäre. Dann zuckte er die Achseln.

Plötzlich hörte ich rufen. „Telefon!”

Ich drehte mich um. „Telefon. Soll ich hingehen?” Der Arzt sprang auf. „Nein, ich. Ich kann ihn besser fragen. Bleiben Sie hier. Tun Sie nichts weiter. Ich komme sofort wieder.”

Ich setzte mich zu Pat an das Bett. „Pat”, sagte ich leise „Wir sind alle da. Wir passen auf. Es wird dir nichts passieren. Es darf dir nichts passieren. Der Professor spricht jetzt schon. Er sagt uns alles. Morgen kommt er sicher selbst. Er wird dir helfen. Du wirst gesund werden. Weshalb hast du mir denn nie etwas davon gesagt, dass du noch krank bist? Das bisschen Blut ist nicht schlimm, Pat. Wir geben es dir wieder. Köster hat den Professor geholt. Jetzt ist alles gut, Pat.”

Der Arzt kam zurück. „Es war nicht der Professor – ” Ich stand auf.

„Es war ein Freund von Ihnen, Lenz.”

„Köster hat ihn nicht gefunden?”

„Doch. Er hat ihm Anweisungen gegeben. Ihr Freund Lenz hat sie mir telefoniert. Ganz klar und richtig sogar. Ist Ihr Freund Lenz Arzt?”

„Nein. Er wollte es werden. Und Köster?” Der Arzt sah mich an. „Lenz hat telefoniert, Köster sei vor wenigen Minuten abgefahren. Mit dem Professor.” Ich musste mich anlehnen. „Otto”, sagte ich. „Ja”, fügte der Arzt hinzu, „das ist das einzige, was er falsch gesagt hat. Er hat gemeint, sie wären in zwei Stunden hier. Ich kenne die Strecke. Sie brauchen bei schärfster Fahrt über drei Stunden. Immerhin – ”

„Doktor”, erwiderte ich, „Sie können sich darauf verlassen. Wenn er sagt, zwei Stunden, dann ist er in zwei Stunden hier.”

„Es ist unmöglich. Die Strecke ist kurvig, und es ist Nacht.”

„Warten Sie ab”, sagte ich.

Ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich ging ins Freie.

Später hörte ich von Jaffé, wie es gewesen war.

Köster hatte sofort nach dem Anruf Lenz telefoniert, er solle sich bereit halten. Dann hatte er Karl geholt und war mit Lenz zur Klinik Jaffés gerast. Die Stationsschwester nahm an, der Professor sei zum Abendessen gegangen. Sie nannte Köster eine Anzahl Lokale, in denen er vielleicht zu treffen wäre. Köster fuhr los. Er überfuhr alle Verkehrszeichen; – er kümmerte sich nicht um die heranstürzenden Schupos. Im vierten Lokal fand er den Professor. Jaffé erinnerte sich sofort. Er ließ sein Essen stehen und kam gleich mit. Sie fuhren zu seiner Wohnung, um die notwendigen Sachen zu holen. Unterwegs fragte Jaffé, wo Pat liege. Köster nannte einen vierzig Kilometer entfernt liegenden Ort. Er wollte den Professor nur erst einmal im Wagen haben. Während Jaffé seine Tasche packte, gab er Lenz Anweisung, was zu telefonieren sei. Dann stieg er zu Köster ein.

„Ist es gefährlich?” fragte Köster.

„Ja”, sagte Jaffé.

In diesem Augenblick verwandelte sich Karl in ein weißes Gespenst. Er sprang mit einem Satz vom Start und fegte los. Er zwängte sich durch, er fuhr mit zwei Rädern über den Bürgersteig, er jagte in falscher Richtung durch Einbahnstraßen, er suchte den kürzesten Weg aus der Stadt heraus.

„Fahren Sie langsamer”, schrie der Arzt, „was nützt es Ihnen, wenn wir einen Unfall haben.”

„Wir werden keinen Unfall haben.”

„Wenn Sie so weiterfahren, in zwei Minuten.”

Köster riss den Wagen links an einer Elektrischen vorbei.

„Wir werden keinen Unfall haben.” Er hatte jetzt eine lange Straße zu fassen. Er sah den Arzt an. „Ich weiß selbst, dass ich Sie heil hinbringen muss. Verlassen Sie sich darauf, dass ich so fahre.”

„Aber was nützt Ihnen die Raserei schon! Sie holen ein paar Minuten heraus.”

„Nein”, sagte Köster und wich einem Lastwagen mit Steinen aus, „wir haben noch zweihundertvierzig Kilometer zu fahren.”

„Was?”

„Ja – “ Der Wagen drehte sich zwischen einem Postauto und einem Autobus durch – „Ich wollte es Ihnen vorhin nicht sagen.”

„Das wäre egal gewesen”, knurrte Jaffé, „ich richte meine Hilfe nicht nach Kilometern. Fahren Sie zum Bahnhof. Wir kommen mit der Eisenbahn schneller hin.”

„Nein.” Köster hatte die Vorstadt erreicht. Der Wind riss ihm die Worte vom Mund. „Schon erkundigt – Zug fährt zu spät – ” Er sah Jaffé noch einmal an und der Arzt musste wohl irgendwas in seinem Gesicht gesehen haben. „In Gottesnamen”, brummte er. „Ihre Freundin?”

Köster schüttelte den Kopf. Er antwortete nicht mehr.

Die Straße wurde feucht. Auf der lehmigen Straße schwänzelte der Wagen und schleuderte. Köster musste mit dem Tempo herunter. Dafür ging er nachher noch schärfer in die Kurven. Er fuhr nicht mehr mit dem Kopf; er fuhr nur noch mit dem Instinkt. Der Arzt schwieg. Plötzlich flirrte die Luft vor den Scheinwerfern, sie bekam Farbe, blasses Silber, wolkige Schleier. Es war der einzige Augenblick, wo Jaffé Köster fluchen hörte. Eine Minute später waren sie im dichten Nebel.

Köster blendete die Scheinwerfer ab. Sie schwammen in Watte.

Als sie nach zehn Minuten herauskamen, war Kösters Gesicht verfallen. Er sah Jaffé an und murmelte etwas. Dann ging er mit vollem Gas weiter, geduckt, kalt und wieder beherrscht —

* * *

Wie Blei brütete die klebrige Wärme in der Stube. „Hört es noch nicht auf?” fragte ich.

„Nein”, sagte der Arzt.

Pat sah mich an. Ich lächelte ihr zu. Es wurde eine Grimasse. „Noch eine halbe Stunde”, sagte ich.

Der Arzt blickte auf. „Noch anderthalb Stunden, wenn nicht zwei. Es regnet.”

Ein Käfer summte irgendwo – aber er kam nicht näher – er kam nicht näher. Er summte gleichmäßig leise; jetzt setzte er einmal aus – jetzt war er wieder da – jetzt noch einmal – ich zitterte plötzlich – das war kein Käfer, das war ein sehr weiter Wagen, der mit hohen Touren in die Kurve ging. „Sie kommen! Doktor, Pat, sie kommen. Ich höre sie schon!”

Der Arzt hatte mich schon den ganzen Abend für ziemlich verrückt gehalten. Er stand auf und horchte ebenfalls. „Es wird ein anderer Wagen sein”, sagte er schließlich.

„Nein, ich kenne den Motor.”

Ich blieb draußen. Ich zitterte vor Erregung. „Karl! Karl!” sagte ich.

Jetzt wurde das Heulen schwächer; er war hinter dem Wald – und jetzt schwoll es an, rasend, jubelnd, ein heller Strich wischte durch den Nebel, die Scheinwerfer, ein Donnern, der Arzt stand fassungslos neben mir, jäh blendete uns das voll heranschießende Licht und mit knirschendem Ruck hielt der Wagen vor der Gartentür. Ich rannte hin. Der Professor stieg gerade aus. Er beachtete mich nicht, sondern ging auf den Arzt zu. Hinter ihm kam Köster. „Wie geht es ihr?” sagte er. „Sie blutet noch.”

„Kommt vor”, sagte er, „brauchst dich noch nicht zu ängstigen.”

Ich schwieg und sah ihn an.

„Hast du eine Zigarette?” fragte er.

Ich gab sie ihm. „Gut, dass du gekommen bist, Otto.”

Er rauchte mit tiefen Zügen. „Dachte, es wäre besser so.”

„Du bist sehr schnell gefahren.”

„Es ging. Hatte bloß ein Stück Nebel.”

Wir saßen auf der Bank nebeneinander und warteten. „Denkst du, dass sie durchkommt?” fragte ich.

„Natürlich. Eine Blutung ist nicht gefährlich.”

„Sie hat mir nie etwas davon gesagt.”

Köster nickte. „Sie muss durchkommen, Otto”, sagte ich.

Er sah nicht auf. „Gib mir noch eine Zigarette”, sagte er, „ich habe vergessen, meine einzustecken.”

„Sie muss durchkommen”, sagte ich, „sonst ist alles Scheiße.”

Der Professor kam heraus. Ich stand auf. „Verdammt will ich sein, wenn ich noch einmal mit Ihnen fahre”, sagte er zu Köster.

„Entschuldigen Sie”, sagte Köster, „es ist die Frau meines Freundes.”

„So”, sagte Jaffé und sah mich an.

„Kommt sie durch?” fragte ich.

Er betrachtete mich aufmerksam. Ich blickte zur Seite. „Glauben Sie, dass ich so lange hier bei Ihnen stünde, wenn sie nicht durchkäme?” sagte er.

Ich biss die Zähne zusammen. Ich presste die Fäuste ineinander. Ich weinte. „Entschuldigen Sie”, sagte ich, „es geht etwas zu schnell.”

„Sowas kann gar nicht schnell genug gehen”, sagte Jaffé und lächelte.

„Nimms nicht übel, Otto”, sagte ich, „dass ich flenne.”

„War es richtig, dass Sie kamen?” fragte Köster.

„Ja”, sagte Jaffé, „es war besser.”

„Ich kann Sie morgen früh wieder mit zurücknehmen.”

„Lieber nicht”, sagte Jaffé.

„Ich werde vernünftig fahren.”

„Ich will noch einen Tag bleiben und die Sache beobachten. Ist Ihr Bett frei?” fragte er mich. Ich nickte.

* * *

Ich fuhr aus einem unruhigen Halbschlaf empor. Es war grau und kühl draußen. Köster war schon wach. „Hast du nicht geschlafen, Otto?”

„Doch.”

Ich kletterte aus dem Wagen und schlich über den Gartenweg zum Fenster. Die kleine Nachttischlampe brannte noch immer. Ich sah Pat mit geschlossenen Augen im Bett liegen. Einen Moment fürchtete ich, dass sie tot sein könnte. Aber dann bemerkte ich, wie ihre rechte Hand sich bewegte. Sie war sehr blass. Aber sie blutete nicht mehr. Jetzt machte sie wieder eine Bewegung. Im selben Moment öffnete Jaffé, der auf dem zweiten Bett schlief, die Augen. Ich trat rasch zurück. Ich war beruhigt; er passte auf.

„Ich denke, wir verschwinden hier”, sagte ich zu Köster, „damit er nicht sieht, dass wir ihn kontrolliert haben.”

„Wir könnten baden gehen”, sagte Köster. „Wunderbare Luft hier.” Er dehnte sich.

„Geh du”, sagte ich.

„Komm mit”, erwiderte er.

Wir sprangen ins Wasser und schwammen. Das Wasser leuchtete in Grau und Rot.

Dann gingen wir zurück.

Der kühle Morgen, der Wind, das helle meergepeitschte Leben in mir: Pat konnte nicht sterben. Sie konnte nur sterben, wenn ich den Mut verlor. Da stand Köster, mein Kamerad; – da stand ich, Pats Kamerad – erst mussten wir sterben. Solange wir lebten, würden wir sie herausholen. So war es immer. Solange Köster lebte, konnte ich nicht sterben. Und solange wir beide lebten, konnte Pat nicht sterben.

Wir strichen um das Haus herum. „Gut für jede Minute, die sie schläft”, sagte ich. Wir gingen wieder in den Garten. Fräulein Müller hatte ein Frühstück fertiggemacht. Wir tranken heißen schwarzen Kaffee. Die Sonne ging auf. Es wurde sofort warm. Die Blätter der Bäume funkelten von Licht und Nässe. Vom Meer hörte man das Schreien der Möwen. Fräulein Müller stellte einen Busch Rosen auf den Tisch. „Den wollen wir ihr nachher geben”, sagte sie. Die Rosen dufteten nach Gartenmauer und Kindheit. „Weißt du, Otto”, sagte ich, „ich habe ein Gefühl, als wäre ich selber krank gewesen. Man ist doch nicht mehr wie früher. Ich hätte ruhiger sein müssen. Überlegter. Je ruhiger man sich hält, um so besser kann man helfen.”

Da ging die Tür. Jaffé kam in Pyjama heraus. „Gut, gut”, winkte er ab, als er sah, dass ich fast den Kaffeetisch umwarf, „so gut es möglich ist.”

„Kann ich rein?”

„Noch nicht. Jetzt ist erst das Mädchen drin. Waschen und sowas.”

Ich schenkte ihm Kaffee ein. Er blinzelte in die Sonne und wendete sich an Köster. „Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein. So komme ich wenigstens einen Tag mal raus.”

* * *

Sie lag in den Kissen, ohne Kraft, wie hingeschlagen. Ihr Gesicht war verfärbt, blaue, tiefe Schatten lagerten unter den Augen und der Mund war blass. Nur die Augen waren groß und glänzend. Viel zu groß und zu glänzend.

Ich nahm ihre Hand auf. Sie war kühl und matt. „Pat, alter Bursche”, sagte ich verlegen und wollte mich zu ihr setzen, da entdeckte ich am Fenster das Teiggesicht des Dienstmädchens, das mich neugierig anstarrte. „Gehen Sie mal raus”, sagte ich ärgerlich.

„Ich soll doch die Gardinen zuziehen”, erwiderte sie.

„Hast du ihr das gesagt?” fragte ich Pat.

Sie nickte.

„Tut dir das Licht von draußen weh?” fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. „Besser, du siehst mich heute nicht so genau – ”

„Pat!” sagte ich erschreckt, „du darfst noch nicht sprechen! Aber wenn das der ganze Grund ist – ”

Ich setzte mich neben das Bett. „Pat”, sagte ich, „bald bist du wieder durch – ”

Sie bewegte den Mund. „Morgen schon – ”

„Morgen noch nicht, aber in ein paar Tagen. Dann darfst du aufstehen und wir fahren nach Hause. Wir hätten nicht hierher fahren sollen, die Luft ist viel zu rauh für dich – ”

„Doch”, flüsterte sie, „ich bin ja nicht krank, Robby. Es war nur ein Unfall – ”

Ich sah sie an. Wusste sie denn wirklich nicht, dass sie krank war? Oder wollte sie es nicht wissen? Ihre Augen gingen unruhig hin und her.

„Brauchst keine Angst zu haben – ”, flüsterte sie. Ich verstand nicht sofort, was sie meinte und weshalb es so wichtig war, dass gerade ich keine Angst haben sollte. Ich sah nur, dass sie erregt war, ihre Augen hatten einen eigentümlich gequälten, dringenden Ausdruck. Und plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich begriff, was sie dachte. Sie glaubte, ich hätte Angst vor ihr, weil sie krank war. „Lieber Gott, Pat”, sagte ich, „ist das vielleicht der Grund, dass du mir nie etwas Genaues gesagt hast?”

Sie antwortete nicht, aber ich sah, dass es das war.

„Verdammt”, sagte ich, „wofür hältst du mich eigentlich?”

Ich beugte mich über sie. „Lieg mal einen Augenblick ganz still, aber beweg dich nicht.” Ich küsste sie. Ihre Lippen waren trocken und heiß. Als ich mich aufrichtete, sah ich, dass sie weinte. Sie weinte lautlos, mit weit offenen Augen und ihr Gesicht bewegte sich nicht. Die Tränen stürzten nur so hervor.

„Um Gotteswillen, Pat – ”

„Ich bin ja glücklich”, sagte sie.

Ich hatte Frauen gekannt, aber immer waren es flüchtige Begegnungen gewesen, Abenteuer, eine bunte Stunde manchmal, ein einsamer Abend, Flucht vor sich selbst, vor der Verzweiflung, vor der Leere. Ich hatte es auch gar nicht anders gewollt, denn ich hatte gelernt, dass man sich auf nichts anderes verlassen konnte als auf sich selbst und höchstens noch auf einen Kameraden. Jetzt sah ich plötzlich, dass ich einem Menschen etwas sein konnte, einfach weil ich da war und dass er glücklich war, weil ich bei ihm war. Wenn man das so sagt, klingt es sehr einfach, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es eine ungeheure Sache, die überhaupt kein Ende hat. Es ist etwas, das einen ganz zerreißen und verändern kann. Es ist Liebe und doch etwas anderes. Etwas, wofür man leben kann. Für die Liebe kann ein Mann nicht leben. Für einen Menschen wohl.

Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte es nicht. Es ist schwer, Worte zu finden, wenn man wirklich etwas zu sagen hat.

„Pat”, sagte ich, „alter tapferer Bursche – ”

In diesem Augenblick trat Jaffé ein. Er überblickte sofort die Situation. „Fabelhafte Leistung”, knurrte er, „hab mir schon sowas Ähnliches gedacht.”

Ich wollte ihm etwas entgegnen, aber er warf mich kurzerhand raus.

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