Eine Woche später erschien unvermutet der Bäcker mit seinem Ford auf unserm Hof. „Geh mal raus, Robby”, sagte Lenz mit einem giftigen Blick durchs Fenster, „der Topfkuchen-Casanova will sicher was reklamieren.”
Der Bäcker sah ziemlich verdrossen aus. „Ist was an dem Wagen?” fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil. Er läuft großartig. Ist ja jetzt auch wieder so gut wie neu.”
„Das ist er”, bestätigte ich und sah ihn mit mehr Interesse an.
„Es ist – ” sagte er – „also – ich möchte einen anderen Wagen haben. Größer – ” Er blickte sich um. „Hatten Sie nicht damals einen Cadillac?”
Ich begriff im Augenblick, was los war. Die schwarze Person, mit der er zusammen lebte, hatte ihn mürbe gemacht. „Ja, der Cadillac”, sagte ich schwärmerisch, „da hätten Sie damals zufassen sollen! Das war ein Prachtstück! Für siebentausend Mark ist er weggegangen. Halb verschenkt!”
„Na, verschenkt – ”
„Verschenkt!” wiederholte ich nachdrücklich und überlegte, was zu machen wäre. „Ich kann mal nachfragen”, sagte ich dann, „vielleicht braucht der Mann, der ihn damals gekauft hat, Geld. Sowas geht ja schnell heutzutage. Einen Moment.”
Ich ging in die Werkstatt und erzählte rasch, was geschehen war.
Gottfried sprang auf. „Kinder, wo kriegen wir nur im Galopp einen alten Cadillac her?”
„Lass das meine Sorge sein”, sagte ich, „pass du lieber auf, dass der Bäcker inzwischen nicht wegläuft.”
„Gemacht!” Gottfried verschwand.
Ich rief Blumenthal an. Viel Hoffnung hatte ich nicht, aber man konnte es ja mal versuchen. Er war im Büro. „Wollen Sie Ihren Cadillac verkaufen?” fragte ich geradezu.
Blumenthal lachte.
„Ich habe jemand dafür”, fuhr ich fort, „mit Barzahlung auf den Tisch.”
„Barzahlung – ” erwiderte Blumenthal nach einer Weile Nachdenken, „das ist in diesen Zeiten ein Wort von reinster Poesie —
„Das meine ich auch”, sagte ich und wurde plötzlich munter. „Also wie ist es, können wir mal darüber reden?”
„Reden kann man immer”, meinte Blumenthal.
„Schön. Wann kann ich Sie treffen?”
„Heute mittag nach dem Essen habe ich Zeit. Sagen wir um zwei hier im Büro.”
„Gut.”
Ich hängte auf. „Otto”, sagte ich ziemlich aufgeregt zu Köster, „ich hätte es nie erwartet, aber ich glaube, unser Cadillac kehrt zurück!”
Köster ließ seine Papiere liegen. „Tatsächlich? Will er verkaufen?”
Ich nickte und blickte durchs Fenster, wo Lenz lebhaft auf den Bäcker einsprach. „Er macht das falsch”, sagte ich beunruhigt, er redet zu viel. Ich will Gottfried mal rasch wieder ablösen.”
Köster lachte. „Hals und Beinbruch, Robby.”
Ich blinzelte ihm zu und ging hinaus. Aber ich traute meinen Ohren nicht, – Gottfried dachte nicht daran, vorzeitige Hymnen auf den Cadillac zu singen, – er erklärte dem Bäcker lediglich mit großem Eifer, wie die Indianer in Südamerika ihr Maisbrot backen. Ich warf ihm einen anerkennenden Blick zu und wandte mich dann an den Bäcker. „Leider will der Mann nicht verkaufen – ”
„Das habe ich mir gedacht”, sagte Lenz prompt, als hätten wir es verabredet.
Ich zuckte die Achseln. „Schade – aber ich kann es verstehen – ”
Der Bäcker stand unschlüssig da. Ich sah Lenz an. „Kannst du es nicht doch noch mal versuchen?” fragte er sofort.
„Das auf jeden Fall”, erwiderte ich. „Ich habe ohnehin wenigstens abmachen können, dass wir uns heute mittag treffen. Wo kann ich Sie nachher erreichen?” fragte ich den Bäcker.
„Ich bin um vier in der Gegend hier. Da komme ich dann nochmal vorbei – ”
„Gut – dann weiß ich auch bestimmt Bescheid. Ich hoffe, dass die Sache doch noch klappt.”
Der Bäcker nickte. Dann bestieg er seinen Ford und dampfte ab.
„Du bist wohl ganz von Gott verlassen”, brach Lenz los, als er um die Ecke war. „Erst soll ich den Knaben mit Gewalt festhalten, und dann lässt du ihn ohne weiteres laufen!”
„Um vier Uhr kommt er wieder – ”
Gottfried sah mich mitleidig an. „Wetten?” fragte er.
„Gern”, erwiderte ich, „aber du fällst rein. Den Mann kenne ich besser als du! Der muss mehrmals aufs Feuer. Außerdem kann ich ihm doch nicht etwas verkaufen, was wir selbst noch nicht haben – ”
„Ach, du lieber Gott, wenn’s das nur ist”, sagte Gottfried kopfschüttelnd, „dann wird aus dir im Leben nichts, Baby! Das sind doch gerade erst die wahren Geschäfte! Komm, ich will dir einen Gratiskurs über modernes Wirtschaftsleben geben – ”
Mittags ging ich zu Blumenthal. Unterwegs hatte ich das Gefühl eines jüngeren Ziegenbocks, der einen alten Wolf besuchen muss. Die Sonne brannte auf den Asphalt und ich spürte bei jedem Schritt weniger Lust, von Blumenthal auf dem Rost gebraten zu werden. Es war am besten, kurzen Prozess zu machen. „Herr Blumenthal”, sagte ich deshalb rasch, als ich eintrat, ehe er beginnen konnte, „einen anständigen Vorschlag unter der Tür! Fünftausendfünfhundert Mark haben Sie für den Cadillac bezahlt – ich biete Ihnen sechs wieder, – unter der Bedingung, dass ich ihn wirklich loswerde. Das entscheidet sich heute abend – ”
Sie wollen doch mit sieben verkaufen, nicht wahr?”
Ich zuckte vorsichtigerweise die Achseln. „Warum sagen Sie gerade sieben?”
„Weil das damals Ihre erste Forderung bei mir war – ”
„Sie haben ein glänzendes Gedächtnis”, sagte ich. „Für Zahlen. Nur für Zahlen. Leider. Also um zum Schluss zu kommen: Sie können den Wagen für den Preis haben.”
Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein. „Gott sei Dank”, sagte ich aufatmend, „das erste Geschäft seit langer Zeit. Der Cadillac scheint uns Glück zu bringen.”
„Mir auch”,, sagte Blumenthal. „Ich habe ja auch fünfhundert Mark dran verdient.”
Um halb fünf Uhr nachmittags stellte Gottfried Lenz mit ausdrucksvollem Gesicht eine leere Ginflasche vor mich auf den Tisch. „Die möchte ich gerne von dir gefüllt haben, Baby! Kostenlos! Du erinnerst dich an unsere Wette?”
„Ich erinnere mich”, sagte ich, „aber du kommst zu früh.”
„Ich bin durstig”, sagte er nach einer Weile mit Betonung.
In diesem Augenblick hörte ich das unverkennbare Rasseln eines Fordmotors auf der Straße und gleich darauf bog der Wagen des Bäckers in unsere Einfahrt ein. „Wenn du durstig bist, lieber Gottfried”, erwiderte ich mit großer Würde, „so lauf schnell, die beiden Flaschen Rum einkaufen, die ich mit meiner Wette gewonnen habe. Du darfst einen Gratisschluck daraus nehmen. Siehst du draußen den Bäckermeister?”
Ich ging hinaus und erzählte dem Bäcker, dass der Wagen wahrscheinlich zu haben sein werde. Der Kunde verlange allerdings noch siebentausendfünfhundert Mark, aber wenn er Bargeld sehe, werde er schon auf siebentausend heruntergehen.
Der Bäcker hörte so zerstreut zu, dass ich stutzte. „Um sechs Uhr werde ich den Mann nochmal anrufen”, sagte ich schließlich. „Um sechs?” Der Bäcker wachte aus seiner Abwesenheit auf. „Um sechs muss ich – ” Er wandte sich mir plötzlich zu. „Wollen Sie mitgehen?”
„Wohin?” fragte ich erstaunt.
„Zu Ihrem Freunde, dem Maler. Das Bild ist fertig.”
„Ach so, zu Ferdinand Grau – ”
Er nickte. „Kommen Sie doch mit. Wir können dann nachher auch über den Wagen sprechen.”
Es schien ihm etwas daran zu liegen, nicht allein zu gehen. Mir dagegen lag ebensoviel daran, ihn nicht mehr allein zu lassen. „Gut”, sagte ich deshalb, „es ist ja ziemlich weit, – wir fahren dann am besten gleich los.”
Ferdinand Grau sah schlecht aus. Sein Gesicht war graugrün, verschattet und verquollen. Er begrüßte uns an der Tür zum Atelier. Der Bäcker sah ihn kaum an. Er war merkwürdig unsicher und aufgeregt. „Wo ist es?” fragte er sofort.
Ferdinand zeigte mit der Hand zum Fenster. Das Bild lehnte dort auf einer Staffelei. Der Bäcker ging rasch hinein und blieb dann ohne Bewegung dicht vor dem Bilde stehen. Nach einer Weile nahm er den Hut ab. Er war so eilig gewesen, dass er das vorher ganz vergessen hatte.
Ferdinand und ich blieben an der Tür stehen. „Wie geht es, Ferdinand?” fragte ich.
Wir warteten noch eine Zeitlang. Dann gingen wir zu dem Bäcker hinüber. Ich war überrascht, als ich das Bild sah. Ferdinand hatte nach dem Photo von der Hochzeit und der zweiten, sehr verhärmten Aufnahme eine noch junge Frau gemalt, die mit ernsten, etwas ratlosen Augen vor sich hinschaute.
,,Ja”, sagte der Bäcker, ohne sich umzudrehen, ,,das ist sie.” Er sagte das mehr für sich und es schien mir, als wüsste er nicht einmal, dass er es sagte.
„Haben Sie genug Licht?” fragte Ferdinand.
Der Bäcker antwortete nicht.
Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurücken. Dann trat er zurück und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen. „Das hätte ich nie gedacht”, sagte er verwundert, „die Rabattmaschine hats erwischt! Er heult – ”
Wir gingen zurück ins Atelier. Es war dunkler geworden. Der Bäcker stand immer noch mit eingezogenen Schultern vor dem Bilde. Er sah jämmerlich verloren aus in dem großen, kahlen Raum und es kam mir vor, als wäre er kleiner geworden.
„Soll ich Ihnen das Bild einpacken?” fragte Ferdinand.
Er schrak auf, „Nein – ”
„Dann werde ich es Ihnen morgen schicken.”
„Kann es nicht noch hierbleiben?” fragte der Bäcker zögernd.
„Warum denn?” erwiderte Ferdinand erstaunt und kam näher. „Gefällt es Ihnen nicht?”
„Doch, – aber ich möchte es gern noch hierlassen – ”
„Das verstehe ich nicht – ”
Der Bäcker sah mich hilfesuchend an. Ich begriff – er hatte Angst, das Bild zu Hause bei dem schwarzen Luder aufzuhängen. Vielleicht war es auch Scheu vor der Toten, sie dahinzubringen. „Aber, Ferdinand”, sagte ich, „das Bild kann doch ruhig noch hier hängen bleiben, wenn es bezahlt ist – ”
„Das natürlich – ”
Der Bäcker zog erleichtert sein Scheckbuch aus der Tasche. Die beiden gingen zum Tisch. „Vierhundert Mark Rest?” fragte der Bäcker.
„Vierhundertzwanzig”, sagte Ferdinand, „einschließlich Rabatt. Wollen Sie eine Quittung?”
„Ja”, erwiderte der Bäcker, „wegen der Ordnung.”
Schweigend schrieben beide den Scheck und die Quittung aus.
Der Bäcker kam zum Fenster zurück. Seine rotgeäderten Augen wirkten wie gläserne Kugeln, sein Mund war halboffen, die Unterlippe hing herab und man sah die fleckigen Zähne, – es war lächerlich und traurig, wie er so dastand.
„Kann man an dem Bild noch etwas ändern?”
fragte der Bäcker.
„Was denn?”
Ferdinand kam heran. Der Bäcker zeigte auf den Schmuck. „Kann man das da wieder wegmachen?”
Es war die mächtige goldene Brosche, die er damals, bei der Bestellung, extra verlangt hatte. „Gewiss”, sagte Ferdinand, „sie stört sogar das Gesicht. Das Bild gewinnt, wenn sie wegkommt.”
„Das meine ich auch.” Er druckste eine Weile herum. „Was kostet es denn?”
Ferdinand und ich warfen uns einen Blick zu. „Es kostet gar nichts”, sagte Ferdinand gutmütig, „im Gegenteil, eigentlich bekämen Sie noch etwas heraus. Es ist ja dann weniger drauf.”
„Ach nein, das lassen Sie nur, – Sie haben es doch malen müssen – ”
„Das ist auch wieder wahr – ”
Wir gingen.
„Wir können ja bei mir zuhause die Sache besprechen”, sagte der Bäcker draußen.
Ich nickte. Es passte mir sehr gut so. Der Bäcker glaubte zwar, er wäre in seinen vier Wänden stärker – ich aber rechnete mit der Schwarzen als Unterstützung.
Sie erwartete uns bereits an der Tür. „Gratuliere herzlichst”, sagte ich, bevor der Bäcker den Mund auftun konnte.
„Wozu?” fragte sie rasch, mit flinken Augen.
„Zu Ihrem Cadillac – ” erwiderte ich unverfroren. „Schatzi!” Mit einem Satz hing sie dem Bäcker am Hals.
„Aber das ist ja noch gar nicht – ” Er versuchte sich loszumachen und Erklärungen abzugeben.
Endlich gelang es ihm, sich frei zu machen. „Wir sind ja noch gar nicht so weit”, prustete er.
„Doch”, sagte ich mit großer Herzlichkeit, „wir sind so weit! Ich nehme es auf meine Kappe, die letzten fünfhundert Mark herunterzuhandeln. Sie zahlen keinen Pfennig mehr als siebentausend Mark für den Cadillac! Einverstanden?”
„Natürlich!” sagte die Schwarze rasch. „Das ist doch wirklich billig, Schatzi – ”
„Halt!” Der Bäcker hob die Hand.
„Na, was – Schatzi – wozu denn – ” Sie lehnte sich dicht an ihn.
„Der Ford – ” sagte er.
„Wird selbstverständlich in Zahlung genommen – ”
„Viertausend Mark – ”
„Hat er mal gekostet, wie?” fragte ich freundlich.
„Mit viertausend Mark muss er in Zahlung genommen werden”, erklärte der Bäcker fest. Er hatte jetzt den Punkt gefunden zum Gegenangriff nach der Überrumpelung. „Der Wagen ist ja so gut wie neu – ”
„Neu – ” sagte ich, „nach der Riesenreparatur – ”
„Heute vormittag haben Sie es selbst zugegeben – ”
„Heute vormittag war das auch was anderes. Neu und neu ist ein Unterschied, je nachdem, ob man kauft oder verkauft. Für viertausend Mark müsste Ihr Ford schon Stoßstangen aus Gold haben.”
„Viertausend Mark, oder es wird nichts”, sagte der Bäcker halsstarrig. Er war jetzt ganz wieder der Alte und schien alle Sentimentalität von vorher wiedergutmachen zu wollen.
„Dann auf Wiedersehen!” erwiderte ich und wandte mich an die Schwarze. „Tut mir leid, gnädige Frau – aber Verlustgeschäfte kann ich nicht machen. Leben Sie wohl – ”
Sie hielt mich zurück. Ihre Augen funkelten und sie fiel jetzt über den Bäcker her, dass ihm Hören und Sehen verging. „Du hast ja selbst hundertmal gesagt, dass der Ford nichts mehr wert ist”, zischte sie zum Schluss mit Tränen in den Augen.
„Zweitausend Mark”, sagte ich, „zweitausend Mark, obschon auch das noch Selbstmord ist.”
Der Bäcker schwieg.
„Na, los, sag doch was! Warum stehst du denn da herum und tust den Mund nicht auf?” fauchte die Schwarze.
„Meine Herrschaften”, sagte ich, „ich werde jetzt mal den Cadillac holen. Vielleicht besprechen Sie die Sache inzwischen noch untereinander.”
Eine Stunde später war ich mit dem Cadillac wieder da. Wir machten eine Probefahrt. Die Schwarze kuschelte sich behaglich in den breiten Sitz und schwatzte fortwährend. Ich hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, aber ich brauchte sie noch.
Wir kamen vor dem Hause des Bäckers an und gingen wieder in die Wohnung. Der Bäcker verließ das Zimmer, um das Geld zu holen. Er wirkte jetzt wie ein alter Mann und ich sah, dass sein Haar gefärbt war.
In diesem Augenblick kam der Bäcker wieder herein. Er zählte langsam und zögernd. Sein Schatten schwankte dabei auf der Rosentapete des Zimmers hin und her und zählte mit.
Ich war froh, als ich draußen war. Die Luft war weich und sommerlich. Der Cadillac blinkte am Straßenrand. „Na, Alter, danke schön”, sagte ich und klopfte ihm auf die Kühlerhaube. „Komm bald wieder zu neuen Taten!”