Книга: Das doppelte Lottchen / Близнецы. Книга для чтения на немецком языке
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Aufgaben

Ist das richtig?

1.Alles ist gut abgelaufen.

2.Es gab keine Angst, keine Aufregung, keine Gefahr.

3.Luise hat das Kochen „wieder“ gelernt.

4.Die Lehrer in München haben sich damit abgefunden, dass „Lotte“ nicht mehr fleißig, ordentlich und aufmerksam ist.

5.Die Lehrer in Wien sind zufrieden, dass „Luise“ jetzt besser aufpassen und multiplizieren kann.

6.Pepperl will nicht dem kleinen Mädchen grüß Gott sagen.

7.Pepperl freut sich, dass Luise jetzt gern Fleisch isst.

8.Die Klavierstunden machen dem Vater keinen Spaß.

9.Die Klavierstunden machen Lotte und dem Vater höllischen Spaß.

10.Frau Luiselotte Körner freut sich darüber, dass Lotte lebhafter und lustiger geworden ist.



Fragen:

1.Wie waren die ersten Wochen in der fremden Welt für die beiden Mädchen?

2.Was konnte jeder Augenblick passieren?

3.Ist alles gut abgelaufen?

4.Womit haben sich die Lehrer in München und in Wien abgefunden?

5.Womit hat sich Pepperl abgefunden?

6.Wie hat sich Resi verändert?

7.Was ist dem Vater im Haushalt aufgefallen?

8.Warum bleibt der Vater jetzt gern zu Hause?

9.Gibt er Lotte Klavierunterricht? Macht das ihm Spaß?

10.Woran arbeitet der Vater?

11.Welche Vorwürfe macht sich Frau Körner?

12.Was steht im Brief der Klassenlehrerin?

13.Worüber sprechen Frau Körner und die Lehrerin?

14.Wie war der Ausflug am Wochenende?



Übersetzung:

1. Alles kann man leicht nachholen.

2. Alles ist leicht nachzuholen.

3. Alles lässt sich leicht nachholen.

4.Alles ließ sich nachholen.

5.Alles kann leicht nachgeholt werden.

6.Alles konnte leicht nachgeholt werden.

Was gehört zusammen:

1. den Rucksack 2. eine Oper 3. die Schuhe 4. sich Vorwürfe 5. um jeden Preis 6. viel Spaß 7. sich mit etwas

a) anziehen b)machen c) packen d) die beste Schülerin sein e) komponieren f) abfinden



Nacherzählung:

1.Die Wochen in der fremden Welt sind vergangen.

2.Peperl hat sich damit abgefunden, dass „Luise“ anders riecht.

3.Eierkuchen haben keine Knochen.

4.Alles hat sich verändert, besonders Resi.

5.Kappellmeister Palfy gibt Klavierstunden.

6.Frau Körner macht sich Vorwürfe.

7.Anni Habersetzer kriegt Watschen.

8.Ein Wochenende, schön wie nichts auf der Welt.

Achtes Kapitel

Der Vater hat neuerdings nicht mehr viel Zeit fürs Klavierstundengeben übrig. Vielleicht hängt es mit der Arbeit an der Kinderoper zusammen? Das ist schon möglich. Oder? Nun, kleine Mädchen spüren, wenn etwas nicht stimmt. Wenn Väter von Kinderopern reden und über Fräulein Gerlach schweigen – sie wittern wie kleine Tiere, woher Gefahr droht.



Lotte tritt, in der Rotenturmstraße, aus der Wohnung und klingelt an der gegenüberliegenden Tür. Dahinter haust ein Maler namens Gabele, ein netter, freundlicher Herr, der Lotte gern einmal zeichnen möchte, wenn sie Zeit hat. Herr Gabele öffnet: „Oh, die Luise!“

„Heute hab ich Zeit“, sagt sie. „Einen Augenblick“, ruft er, rast in sein Arbeitszimmer, nimmt ein großes Tuch vom Sofa und hängt damit ein auf der Staffelei stehendes Bild zu. Er malt gerade an einer klassischen Szene aus der Antike. Dergleichen eignet sich nicht immer für Kinder.

Dann führt er die Kleine herein, setzt sie in einen Sessel, nimmt einen Block zur Hand und beginnt zu skizzieren. „Du spielst ja gar nicht mehr so oft Klavier!“, meint er dabei.

„Hat es Sie sehr gestört?“

„Kein Gedanke! Im Gegenteil! Es fehlt mir geradezu!“

„Vati hat nicht mehr so viel Zeit“, sagt sie ernst. „Er komponiert an einer Oper. Es wird eine Kinderoper.“

Das freut Herrn Gabele zu hören. Dann wird er ärgerlich. „Diese Fenster!“, schimpft er. „Rein gar nix kann man sehen. Ein Atelier müsste man haben!“

„Warum mieten Sie sich denn dann keines, Herr Gabele?“

„Weil’s keine zu mieten gibt! Ateliers sind selten!“ Nach einer Pause sagt das Kind: „Vati hat ein Atelier. Mit großen Fenstern. Und Licht von oben.“ „Am Kärntner Ring“, ergänzt Lotte. Und nach einer neuen Pause: „Zum Komponieren braucht man doch gar nicht so viel Licht wie zum Malen, nicht?“





„Nein“, antwortet Herr Gabele. Lotte tastet sich nun noch einen Schritt weiter vor. Sie sagt nachdenklich:

„Eigentlich könnte doch Vati mit Ihnen tauschen! Dann hätten Sie größere Fenster und mehr Licht zum Malen. Und Vati hätte seine Wohnung zum Komponieren hier, gleich neben der anderen Wohnung!“ Der Gedanke scheint sie enorm zu freuen. „Wäre das nicht sehr praktisch?“

Herr Gabele könnte allerlei gegen Lottes Gedankengänge einwenden. Weil das ihn aber nicht angeht, erklärt er lächelnd: „Das wäre in der Tat sehr praktisch. Es fragt sich nur, ob der Papa der gleichen Meinung ist.“ Lotte nickt.

„Ich werd ihn fragen! Gleich nachher!“





Herr Palfy sitzt in seinem Atelier und hat Besuch. Damenbesuch. Fräulein Irene Gerlach hat „zufällig“ ganz in der Nähe Besorgungen machen müssen, und da hat sie sich gedacht: „Springst mal geschwind zum Ludwig hinauf, gelt?“

Der Ludwig hat die Partiturseiten, an denen er kritzelt, beiseite geschoben und plaudert mit der Irene. Erst ärgert er sich ein Weilchen, denn er kann es für den Tod nicht leiden, wenn man ihn unangemeldet überfällt und bei der Arbeit stört. Aber allmählich siegt doch das Wohlbehagen, mit dieser so schönen Dame zusammenzusitzen und ihre Hand zu streicheln.

Irene Gerlach weiß, was sie will. Sie will Herrn Palfy heiraten. Er ist berühmt. Er gefällt ihr. Sie gefällt ihm. Allzu große Schwierigkeiten stehen also nicht im Wege. Zwar weiß er noch nichts von seinem künftigen Glück. Aber sie wird es ihm mit der Zeit und schonend beibringen. Schließlich wird er sich einbilden, dass er selber auf die Idee mit der Heirat verfallen sei.

Ein Hindernis ist allerdings noch da: das närrische Kind! Aber wenn Irene dem Ludwig erst ein, zwei Babys geschenkt hat, dann wird sich alles wunschgemäß einrenken. Irene Gerlach wird doch wohl noch mit diesem ernsten, scheuen Fratz fertig werden! Es klingelt. Ludwig öffnet.

Und wer steht in der Tür? Der ernste, scheue Fratz! Hat einen Strauß in der Hand, knickst und sagt: „Grüß Gott, Vati! Ich bring dir frische Blumen!“ Dann spaziert sie ins Atelier, knickst kurz vor dem Besuch, nimmt eine Vase und verschwindet in der Küche. Irene lächelt. „Wenn man dich und deine Tochter sieht, hat man den Eindruck, dass du unter ihrem Pantoffel stehst.“

Der Herr Kapellmeister lacht verlegen. „Das, was sie tut, ist so goldrichtig – da kannst du nix machen!“

Während Fräulein Gerlach mit den schönen Schultern zuckt, erscheint Lotte wieder auf der Bildfläche. Erst stellt sie die frischen Blumen auf den Tisch. Dann bringt sie Geschirr herbei und sagt, indessen sie die Tassen verteilt, zu Vati: „Ich koch nur rasch einen Kaffee. Wir müssen doch deinem Besuch etwas anbieten.“

Vati und sein Besuch schauen perplex hinter ihr drein. Und ich hab dieses Kind für scheu gehalten, denkt Fräulein Gerlach. Oje, war ich blöd!

Nach kurzer Zeit taucht Lotte mit Kaffee, Zucker und Sahne auf, schenkt – ganz Hausfrau – ein, fragt, ob Zucker gefällig sei, schiebt dem Besuch die Sahne hin, setzt sich dann neben ihren Vati und meint freundlich lächelnd: „Ich trinke zur Gesellschaft einen Schluck mit.“

Der Papa schenkt ihr Kaffee ein und fragt: „Wie viel Sahne, meine Dame?“ Das Kind kichert. „Halb und halb, mein Herr.“

„Bitte sehr, meine Dame!“ „Vielen Dank, mein Herr!“

Man trinkt. Man schweigt. Schließlich eröffnet Lotte die Unterhaltung, „Ich war eben bei Herrn Gabele.“

„Hat er dich gezeichnet?“, fragt der Vater.

„Nur ein bisschen“, meint das Kind. Noch einen Schluck Kaffee – dann fügt es harmlos hinzu: „Er hat zu wenig Licht. Vor allem brauchte er welches von oben. So wie hier…“

„Dann soll er sich halt ein Atelier mit Oberlicht mieten“, bemerkt der Herr Kapellmeister sehr treffend und ahnt nicht, dass er genau dahin steuert, wohin Lotte ihn haben will.

„Das hab ich ihm auch schon gesagt“, erklärt sie ruhig. „Aber sie sind alle vermietet, die Ateliers.“

„So ein kleines Biest!“, denkt Fräulein Gerlach. Denn sie, auch eine Tochter Evas, weiß nun schon, was das Kind im Schilde führt.

Und richtig…

„Zum Komponieren braucht man eigentlich kein Oberlicht, Vati. Nicht?“

„Nein, eigentlich nicht. „

Das Kind holt tief Atem, blickt angestrengt auf seine Schürze und fragt, als fiele ihm diese Frage eben erst ein: „Wenn du nun mit Herrn Gabele tauschtest, Vati?“ Gott sei Dank, jetzt ist es heraus! Lotte blickt den Papa von schräg unten an. Ihre Augen bitten furchtsam.

Der Vater schaut halb ärgerlich, halb belustigt von dem kleinen Mädchen zu der eleganten Dame, die gerade noch Zeit hat, ein sanft ironisches Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern.

„Dann hätte der Herr Gabele ein Atelier“, sagt das Kind und die Stimme zittert ein wenig. „Mit so viel Licht, wie er braucht. Und du wohntest direkt neben uns. Neben Resi und mir.“ Lottes Augen liegen, wenn man sich so ausdrücken darf, vor des Vaters Blick auf den Knien. „Dann bist du allein, genau wie hier. Und wenn du nicht allein sein willst, kommst du bloß über den Flur und bist da. Du brauchst nicht einmal einen Hut aufzusetzen. – Und mittags können wir daheim essen. – Wenn das Essen fertig ist, klingeln wir dreimal an deiner Tür. – Wir kochen immer, was du willst. – Auch Geselchtes. – Und wenn du Klavier spielst, hören wir’s durch die Wand…“ Die Kinderstimme klingt immer zögernder. Sie erstirbt.

Fräulein Gerlach steht abrupt auf. Sie muss schnellstens heim. Wie die Zeit vergeht! Es waren ja aber auch sooo interessante Gespräche! Herr Kapellmeister Palfy bringt seinen Gast hinaus. Er küsst die duftende Frauenhand.

„Auf heut Abend also“, sagt er.

„Vielleicht hast du keine Zeit?“

„Wieso, Liebling?“

Sie lächelt. „Vielleicht ziehst du gerade um!“ Er lacht.

„Lache nicht zu früh! Wie ich deine Tochter kenne, hat sie bereits die Möbelpacker bestellt!“ Wütend rauscht die Dame treppab.

Als der Kapellmeister ins Atelier zurückkommt, ist Lotte schon dabei, das Kaffeegeschirr abzuwaschen. Er schlägt ein paar Takte auf dem Flügel an. Er geht mit großen Schritten in dem Raum auf und ab. Er starrt auf die bekritzelten Partiturseiten.

Lotte gibt sich große Mühe, nicht mit den Tellern und Tassen zu klappern. – Als sie alles abgetrocknet und in den Schrank zurückgestellt hat, setzt sie ihr Hütchen auf und geht leise ins Atelier hinüber. „Grüß Gott, Vati…“

„Grüß Gott.“

„Kommst du zum Abendessen?“

„Nein, heute nicht.“

Das Kind nickt langsam und hält ihm zum Abschied schüchtern die Hand hin.

„Hör, Luise – ich hab’s nicht gern, wenn sich andere Leute für mich den Kopf zerbrechen, auch meine Tochter nicht! Ich weiß selber, was für mich am besten ist.“

„Natürlich, Vati“, sagt sie ruhig und leise. Noch immer hält sie die Hand zum Abschied ausgestreckt.

Er drückt sie schließlich doch und sieht dabei, dass dem Kind Tränen an den Wimpern hängen. Ein Vater muss streng sein können. Also tut er, als sähe er nichts Auffälliges, sondern nickt kurz und setzt sich an den Flügel.

Lotte geht schnell zur Tür, öffnet sie behutsam – und ist verschwunden.

Der Herr Kapellmeister fährt sich durchs Haar. Kindertränen, auch das noch! Dabei soll man nun eine Kinderoper komponieren! Es ist nicht zum Ansehen, wenn so einem kleinen Geschöpf Tränen in den Augen stehen! Sie hingen in den langen Wimpern wie Tautropfen an dünnen Grashalmen… .

Seine Hände schlagen einige Töne an. Er neigt lauschend den Kopf. Er spielt die Tonfolge noch einmal. Er wiederholt sie. Es ist die Mollvariation eines fröhlichen Kinderlieds aus seiner Oper. Er ändert den Rhythmus. Er arbeitet.

Wozu doch Kindertränen gut sind! Gleich wird er Notenpapier nehmen und Noten malen. Und zum Schluss wird er sich hochbefriedigt zurücklehnen und die Hände reiben, weil ihm ein so wunderbar trauriges Lied in c-Moll gelungen ist.





Wieder sind Wochen vergangen. Fräulein Irene Gerlach hat den Auftritt im Atelier nicht vergessen. Sie hat den Vorschlag des Kindes, die Wohnung am Ring mit der des Malers Gabele zu tauschen, als Kampfansage aufgefasst! Eine richtige Frau – und Irene Gerlach ist, auch wenn Lotte sie nicht leiden mag, eine richtige Frau —, die lässt sich nicht lange bitten. Sie kennt ihre Waffen. Sie weiß sie zu gebrauchen. Alle ihre Pfeile hat sie auf die zuckende Zielscheibe, das Künstlerherz des Kapellmeisters, abgeschossen. Alle Pfeile haben ins Schwarze getroffen. Nun sitzen sie im Herzen des Mannes, des geliebten Feindes, fest. Er weiß sich keinen Rat mehr.

„Ich will, dass du meine Frau wirst“, sagt er. Es klingt wie ein zorniger Befehl.

Sie streichelt sein Haar, lächelt und meint spöttisch: „Dann werde ich morgen mein bestes Kleid anziehen, Liebling, und bei deiner Tochter um deine Hand anhalten.“

Wieder sitzt ein Pfeil in seinem Herzen. Und diesmal ist der Pfeil vergiftet.





Herr Gabele zeichnet Lotte. Plötzlich lässt er Block und Bleistift sinken und sagt:

„Was hast denn heut, Luiserl? Du schaust ja aus wie sechs Tag’ Regenwetter!“

Das Kind atmet schwer, als läge ihm ein Fuder Steine auf der Brust.

„Ach, es ist nichts weiter.“

„Hängt’s mit der Schule zusammen?“ Sie schüttelt den Kopf.

„Das war nicht so schlimm.“ Herr Gabele legt den Block weg.

„Weißt was, du kleine Trauerweide? Wir wollen für heute Schluss machen!“ Er steht auf.

„Geh ein Stück spazieren. Das bringt einen auf andere Gedanken!“

„Oder vielleicht spiel ich ein bisschen auf dem Klavier?“

„Noch besser!“, sagt er. „Das hör ich durch die Wand. Da hab ich auch was davon.“ Sie gibt ihm die Hand, knickst und geht. Er schaut gedankenvoll hinter der kleinen Person her. Er weiß, wie schwer Kummer auf ein Kinderherz drücken kann. Er war selber einmal ein Kind und hat es, im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, nicht vergessen.

Als Klaviergeklimper aus der Nachbarwohnung herüberklingt, nickt er und beginnt, die Melodie mitzupfeifen. Dann zieht er mit einem Ruck die Decke von der Staffelei, nimmt Palette und Pinsel zur Hand, betrachtet seine Arbeit mit zusammengekniffenen Augen und geht ans Werk.

Herr Ludwig Palfy kommt in die Rotenturmstraße. Die Stufen tun, als wären sie doppelt so hoch wie sonst. Er hängt den Mantel und den Hut an einen Garderobenhaken. Das Luiserl spielt Klavier? Nun, sie wird abbrechen und ihm eine Weile zuhören müssen. Er zieht das Jackett straff, als ob er beim Intendanten einen Besuch machte. Dann öffnet er die Zimmertür.

Das Kind schaut von den Tasten hoch und lächelt ihn an. „Vati? Wie schön!“ Sie springt vom Klavierschemel. „Soll ich dir einen Kaffee machen?“ Sie will geschäftig in die Küche. Er hält sie fest.

„Danke, nein!“, sagt er. „Ich muss mit dir sprechen. Setz dich!“

Sie setzt sich in den großen Ohrensessel, in dem sie klein wie eine Puppe aussieht, streicht sich den karierten Rock glatt und blickt erwartungsvoll zu ihm hoch.

Er räuspert sich nervös, geht ein paar Schritte auf und ab und bleibt schließlich vor dem Ohrensessel stehen.

„Also, Luiserl“, fängt er an, „es handelt sich um eine wichtige und ernste Angelegenheit. Seit deine Mutter nicht mehr – nicht mehr da ist, bin ich allein gewesen. Sieben Jahre lang. Natürlich nicht völlig allein, ich hab ja dich gehabt. Und ich hab dich ja noch!“

Das Kind schaut ihn mit großen Augen an. Wie blöd ich red!, denkt der Mann. Er hat eine ausgewachsene Wut auf sich.

„Kurz und gut“, sagt er. „Ich will nicht länger allein sein. Es wird sich etwas ändern. In meinem und dadurch auch in deinem Leben.“ Ganz still ist’s im Zimmer.

Eine Fliege versucht mit Gesumm, durch die geschlossene Fensterscheibe ins Freie zu fliegen.

„Ich habe mich entschlossen, wieder zu heiraten!“

„Nein!“, sagt das Kind laut. Es klingt wie ein Schrei. Dann wiederholt es leise: „Bitte, nein, Vati, bitte nein, bitte, bitte nein!“

„Du kennst Fräulein Gerlach bereits. Sie hat dich sehr gern. Und sie wird dir eine gute Mutter sein. Auf die Dauer wäre es sowieso schwierig und verfehlt, dich in einem frauenlosen Haushalt aufwachsen zu lassen.“ (Ist er nicht rührend? Es fehlte nur noch, dass er behauptet, er wolle lediglich heiraten, damit das Kind endlich wieder eine Mutter hat!)

Lotte schüttelt in einem fort den Kopf und bewegt dazu lautlos die Lippen. Wie ein Automat, der keine Ruhe findet. Es sieht beängstigend aus. Deshalb blickt der Vater rasch wieder weg und sagt:

„Du wirst dich schneller, als du glaubst, in den neuen, ungewohnten Zustand finden. Böse Stiefmütter kommen nur noch in Märchen vor. Also, Luiserl, ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du bist der vernünftigste kleine Kerl, den es gibt!“ Er schaut auf die Uhr. „So. Jetzt muss ich gehen. Mit dem Luser den Rigoletto korrepetieren.“ Und schon ist er aus der Tür. Das Kind sitzt wie betäubt.

Herr Palfy drückt sich an der Garderobe den Hut aufs Künstlerhaupt. Da schreit es drin im Zimmer:

„Vati!“ Es klingt, als ob jemand ertränke.

ln einem Wohnzimmer ertrinkt man nicht, denkt Herr Palfy und geht weg. Er hat es sehr eilig. Denn er muss ja arbeiten!





Lotte ist aus ihrer Betäubung erwacht. Auch in der Verzweiflung bewahrt sich ihr praktischer Sinn. Was ist zu tun? Denn dass etwas getan werden muss, steht fest. Niemals darf Vati eine andere Frau heiraten, niemals! Er hat ja eine Frau! Auch wenn sie nicht mehr bei ihm ist. Niemals wird das Kind eine neue Mutter dulden, niemals! Sie hat ja ihre Mutter, ihre über alles geliebte Mutti!

Mutti könnte vielleicht helfen. Aber sie darf es nicht wissen. Sie darf das ganze große Geheimnis der beiden Kinder nicht wissen, und erst recht nicht, dass der Vater dieses Fräulein Gerlach zur Frau nehmen will!

So bleibt nur noch ein Weg. Und diesen Weg muss Lottchen selber gehen.

Sie holt das Telefonbuch. Sie blättert mit zittrigen Fingern. „Gerlach.“ Es gibt nicht sehr viele Gerlachs. „Gerlach, Stefan. Gen. Dir. der Wiener Gaststätten G.m.b.H., Kobenzlallee 43.“ Vati hat neulich erzählt, dass Fräulein Gerlachs Vater Restaurants und Hotels gehören, auch das „Imperial“, wo sie täglich Mittag essen. „Kobenzlallee 43.“

Nachdem Resi erklärt hat, wie man zur Kobenzlallee fahren muss, setzt sich das Kind den Hut auf, zieht den Mantel an und sagt:

„Ich gehe jetzt weg.“

„Was willst du denn in der Kobenzlallee?“, fragt Resi neugierig.

„Ich muss wen sprechen.“

„Komm aber bald wieder!“ Das Kind nickt und macht sich auf den Weg.





Ein Stubenmädchen tritt in Irene Gerlachs elegantes Zimmer und lächelt. „Ein Kind möchte Sie sprechen, gnädiges Fräulein. Ein kleines Mädel.“

Das gnädige Fräulein hat sich gerade die Fingernägel frisch gelackt und schwenkt die Hände, damit der Lack rasch trockne, durch die Luft. „Ein kleines Mädchen?“

„Luise Palfy heißt’s .“

„Ah!“, sagt das gnädige Fräulein gedehnt. „Führ sie herauf!“

Das Stubenmädchen verschwindet. Die junge Dame erhebt sich, wirft einen Blick in den Spiegel und muss über ihr angespannt ernstes Gesicht lächeln.

Als das Kind ins Zimmer tritt, befiehlt Fräulein Gerlach dem Stubenmädchen:

„Mach uns eine Schokolade! Und bring von den gefüllten Waffeln!“ Dann wendet sie sich liebreich ihrem Gast zu. „Wie nett, dass du mich besuchen kommst! Da sieht man’s, wie unaufmerksam ich bin. Ich hätte dich längst schon einmal einladen sollen! Willst du nicht ablegen?“

„Danke“, sagt das Kind. „Ich will nicht lange bleiben. „

„So?“ Irene Gerlach verliert ihre freundlich gönnerhafte Miene keineswegs. „Aber zum Hinsetzen wirst du hoffentlich Zeit haben?“

Das Kind schiebt sich auf eine Stuhlkante und wendet kein Auge von der Dame.

Diese fängt an, die Situation unhaltbar albern zu finden. Doch sie beherrscht sich. Es steht immerhin einiges auf dem Spiele. Auf dem Spiele, das sie gewinnen will und gewinnen wird.

„Bist du hier zufällig vorbeigekommen?“

„Nein, ich muss Ihnen etwas sagen!“ Irene Gerlach lächelt bezaubernd,

„Ich bin ganz Ohr. Worum handelt sich’s denn?“

Das Kind rutscht vom Stuhl, steht nun mitten im Zimmer und erklärt:

„Vati hat gesagt, dass Sie ihn heiraten wollen.“ „Hat er das wirklich gesagt?“ Fräulein Gerlach lacht glockenhell. „Hat er nicht eher gesagt, dass er mich heiraten will? Aber das ist wohl Nebensache. Also: Ja, Luiserl, dein Papa und ich, wir wollen uns heiraten. Und du und ich werden gewiss sehr gut miteinander zurechtkommen. Davon bin ich fest überzeugt. Du nicht? Pass auf – wenn wir einige Zeit zusammen wohnen und leben werden, werden wir die besten Freundinnen sein! Wir wollen uns beide rechte Mühe geben. Meine Hand darauf!“

Das Kind weicht zurück und sagt ernst:

„Sie dürfen Vati nicht heiraten!“

Die Kleine geht entschieden ziemlich weit. „Und warum nicht?“

„Weil Sie es nicht dürfen!“

„Keine befriedigende Erklärung“ meint das Fräulein scharf. Mit Güte kommt man hier ja doch nicht weiter. „Du willst mir verbieten, die Frau deines Vaters zu werden?“

„Ja!“

„Das ist wirklich allerhand!“ Die junge Dame ist aufgebracht. „Ich muss dich bitten, jetzt nach Hause zu gehen. Ob ich deinem Vater von diesem merkwürdigen Besuch erzähle, werde ich mir noch überlegen. Wenn ich nichts erzählen sollte, dann nur, um unserer späteren Freundschaft, an die ich noch immer glauben möchte, nichts Ernstliches in den Weg zu legen. Auf Wiedersehen!“

An der Tür wendet sich das Kind noch einmal um und sagt: „Lassen Sie uns so, wie wir sind! Bitte, bitte…“ Dann ist Fräulein Gerlach allein.

Hier gibt es nur eins. Die Heirat muss beschleunigt werden. Und dann ist dafür zu sorgen, dass das Kind in ein Internat gesteckt wird. Umgehend! Hier kann nur strengste Erziehung durch fremde Hand noch helfen.

„Was wollen Sie denn?“ Das Stubenmädchen steht mit einem Tablett da.

„Ich bring die Schokolade. Und die gefüllten Waffeln. Wo ist denn das kleine Mädchen?“ „Scheren Sie sich zum Teufel!“

Der Herr Kapellmeister kommt, da er in der Oper dirigieren muss, nicht zum Abendbrot. Resi leistet dem Kind, wie in solchen Fällen immer, beim Essen Gesellschaft.

„Du isst ja heute gar nix“, bemerkt die Resi vorwurfsvoll. „Und ausschauen tust wie ein Geist, reinweg zum Fürchten. Was hast du denn?“ Lotte schüttelt den Kopf und schweigt. Die Haushälterin ergreift die Kinderhand und lässt sie erschrocken fallen. „Du hast ja Fieber! Gleich gehst du ins Bett!“ Dann trägt sie, ächzend und schnaufend, das völlig apathische Geschöpf ins Kinderzimmer, zieht ihm die Kleider vom Leib und legt es ins Bett.

„Nichts dem Vati erzählen!“, murmelt die Kleine. Ihre Zähne klappern. Resi türmt Kissen und Betten übereinander. Dann rennt sie zum Telefon und ruft den Herrn Strobl an.

Der alte Herr verspricht sofort zu kommen. Er ist genauso aufgeregt wie die Resi.

Sie ruft in der Staatsoper an. „Gut is’!“, antwortet man ihr. „In der Pause werden wir’s dem Herrn Kapellmeister ausrichten.“

Resi rast wieder ins Schlafzimmer. Das Kind schlägt um sich und stammelt wirres, unverständliches Zeug. Die Decken, Kissen und Betten liegen am Boden.

Wenn bloß der Herr Strobl käme! Was soll man machen? Umschläge? Aber was für welche? Kalte? Heiße? Nasse? Trockene?





In der Pause sitzt der befrackte Kapellmeister Palfy in der Garderobe der Sopranistin. Sie trinken einen Schluck Wein und fachsimpeln. Die Leute vom Theater reden immer vom Theater. Das ist nun einmal so. Da klopft es. „Herein!“

„Endlich find ich Sie, Herr Professor!“, ruft der alte Mann. „Man hat aus der Rotenturmstraße angeläutet. Das Fräulein Tochter ist urplötzlich krank geworden. Der Herr Strobl wurde sofort benachrichtigt und dürfte bereits am Krankenlager eingetroffen sein.“

Der Herr Kapellmeister sieht blass aus. „Hoffentlich ist es nichts Schlimmes“, meint die Sängerin. „Hat die Kleine schon die Masern gehabt?“

„Nein“, sagt er und steht auf. „Entschuldige, Mizzi!“ Als die Tür hinter ihm zugefallen ist, kommt er ins Rennen.

Er telefoniert. „Hallo, Irene!“

„Ja, Liebling? Ist denn schon Schluss? Ich bin noch lange nicht ausgehfertig!“

Er berichtet hastig, was er eben gehört hat. Dann sagt er:

„Ich fürchte, wir können uns heute nicht sehen!“

„Natürlich nicht. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Hat die Kleine schon die Masern gehabt?“

„Nein“, antwortet er ungeduldig, „Ich rufe dich morgen früh wieder an.“ Dann hängt er ein.

Ein Signal ertönt. Die Pause ist zu Ende. Die Oper und das Leben gehen weiter.





Endlich ist die Oper aus! Der Kapellmeister rast in der Rotenturmstraße die Stufen hoch. Resi öffnet ihm. Sie hat noch den Hut auf, weil sie in der Nachtapotheke war. Der Herr Strobl sitzt am Bett.

„Wie geht’s ihr denn?“, fragt der Vater flüsternd. „Nicht gut“, antwortet der Herr Strobl. „Aber Sie können ruhig laut sprechen. Ich habe ihr eine Spritze gegeben. „

Lottchen liegt hochrot und schwer atmend in den Kissen. Sie hat das Gesicht schmerzlich verzogen, als tue ihr der künstliche Schlaf, zu dem sie der alte Arzt gezwungen hat, sehr weh. „Masern?“

„Keine Spur“, brummt der Arzt. Die Resi kommt ins Zimmer und schnüffelt Tränen hinunter.

„Nun nehmen Sie schon endlich den Hut ab!“, sagt der Kapellmeister nervös.

„Ach ja, gewiss! Entschuldigen Sie!“ Sie setzt den Hut ab und behält ihn in der Hand.

Der Herr Strobl schaut die beiden fragend an.

„Das Kind macht offenbar eine schwere seelische Krise durch“, meint er. „Wissen Sie davon? Nein? Haben Sie wenigstens eine Vermutung?“

Resi sagt: „Ich weiß freilich nicht, ob’s damit etwas zu schaffen hat, aber… Heute Nachmittag ist sie ausgegangen. Weil sie wen sprechen musste! Und eh sie ging, hat sie gefragt, wie sie am besten zur Kobenzlallee käme.“

„Zur Kobenzlallee?“, fragt der Herr Strobl und schaut zu dem Kapellmeister hin.

Palfy geht rasch nach nebenan und telefoniert. „War Luise heute Nachmittag bei dir?“

„Ja“, sagt eine weibliche Stimme. „Aber wieso erzählt sie dir das?“

Er gibt darauf keine Antwort, sondern fragt weiter: „Und was wollte sie?“

Fräulein Gerlach lacht ärgerlich. „Das lass dir nur auch von ihr erzählen!“

„Antworte bitte!“ Ein Glück, dass sie sein Gesicht nicht sehen kann!

„Wenn man’ s genau nimmt, kam sie, um mir zu verbieten, deine Frau zu werden!“, erwidert sie gereizt.

Er murmelt etwas und legt den Hörer auf.

„Was fehlt ihr denn?“, fragt Fräulein Gerlach. Dann merkt sie, dass das Gespräch getrennt ist. „So ein kleines Biest“, sagt sie halblaut. „Kämpft mit allen Mitteln! Legt sich hin und spielt krank!“





Der Herr Strobl verabschiedet sich und gibt noch einige Anweisungen. Der Kapellmeister hält ihn an der Tür zurück.

„Was fehlt dem Kind?“

„Nervenfieber. – Ich komme morgen in der Früh wieder vorbei. Gute Nacht wünsch ich.“

Der Kapellmeister geht ins Kinderzimmer, setzt sich neben das Bett und sagt zu Resi:

„Ich brauch Sie nicht mehr. Schlafen Sie gut!“

„Aber es ist doch besser… “ Er schaut sie an.

Sie geht. Sie hat den Hut noch immer in der Hand.

Er streichelt das kleine heiße Gesicht. Das Kind erschrickt im Fieberschlaf und wirft sich wild zur Seite.

Der Vater sieht sich im Zimmer um. Der Schulranzen liegt fertig gepackt auf dem Pult-sitz. Daneben hockt Christi, die Puppe.

Er steht leise auf, holt die Puppe, löscht das Licht aus und setzt sich wieder ans Bett.

Nun sitzt er im Dunkeln und streichelt die Puppe, als wäre sie das Kind. Ein Kind, das vor seiner Hand nicht erschrickt.





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