Книга: Das doppelte Lottchen / Близнецы. Книга для чтения на немецком языке
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Aufgaben

Ist das richtig?

1.Luiselotte Körner kommt zu spät zum Bahnhof.

2.Luise hat Angst und küsst die Mutter nicht.

3.Luise küsst leidenschaftlich die Mutter.

4.Die Mutter weint vor Glück des Wiedersehens.

5.Die Mutter ahnt schon, dass dieses Mädchen ihre andere Tochter ist.

6.Lotte hat vier Eierkuchen im Restaurant gegessen. Das Essen schmeckt ihr sehr gut.

7.Dem Vater ist es warm ums Herz. Er freut sich mit seiner Tochter wieder zu sein.

8.Pepperl will nicht Lotte grüßen. Er erkennt sie nicht.

9.Lotte freut sich darüber, dass die Menschen nicht so klug wie Pepperl sind.

10.Der Autor erzählt, warum sich Luises und Lottes Eltern getrennt haben.

11.Herr Palfy legt sehr viel Wert auf seine Freiheit. Er ist eine wahre Künstlernatur. Er hält seine Ehe für einen Fehler.

12.Erich Kästner legt viel Wert auf gute Familienverhältnisse und auf Glück der Kinder.



Fragen:

1.Wie ging es Luise, als sie die Mutter gesehen hat?

2.Wie ging es Lotte im Restaurant?

3.Wie ging es dem Vater?

4.Warum ließen sich Luiselotte und Herr Palfy scheiden?

5.Hat Herr Palfy zu viel Wert auf seine Freiheit gelegt?

6.In welchem Zusammenhang erzählt der Autor über einen kleinen Filmstar?

7.Wie war das Leben des Dirigenten nach der Scheidung? Ist er berühmt geworden? Ist er glücklich geworden?

8.Haben sich Luiselotte Körner und Herr Palfy nach der Scheidung gesehen?



Übersetzung:

1. Herr Palfy legt viel Wert auf Einsamseinmüssen einer wahren Künstlernatur.

2. Er war blutjung, ehrgeizig, verliebt und verrückt in einem.



Wie heißt auf Deutsch:

брак, супруг, развод, бывший муж, бывшая жена, художественная натура



Nacherzählung:

1.Ein Kind auf einem Koffer.

2.Die einsamen Onkels im „Imperial“.

3.Von Pepperl und dem untrüglichen Instinkt der Tiere.

4.Luise fragt, ob sie in der Oper winken darf.

5.Rechenfehler im Haushaltsbuch.

6.Der kleine Filmstar Schirly Temple durfte sich die eigenen Filme nicht ansehen.

7.Herr Kapellmeister Palfys kompliziertes Innenleben.

Sechstes Kapitel

Frau Luiselotte Körner hat ihre Tochter gerade in die winzige Wohnung in der Max-EmanueI-Straße bringen können. Dann musste sie, sehr ungern und schnell, wieder in den Verlag fahren. Arbeit wartet auf sie. Und Arbeit darf nicht warten.

Luise, ach nein! Lotte hat sich in der Wohnung umgesehen. Dann hat sie die Schlüssel, das Portemonnaie und ein Netz genommen. Und nun macht sie Einkäufe. Beim Metzgermeister Huber an der Ecke Prinz-Eugen-Stra-ße ersteht sie ein Pfund Rindfleisch. Und jetzt sucht sie krampfhaft das Viktualiengeschäft der Frau Wagenthaler, um Suppengrün, Nudeln und Salz zu besorgen.

Und Anni Habersetzer wundert sich nicht wenig, dass ihre Mitschülerin Lotte Körner mitten auf der Straße steht und angestrengt in einem Heft blättert.

„Machst du auf der Straße Schularbeiten?“, fragt sie neugierig. „Heute sind doch noch Ferien!“





Luise starrt das andere Mädchen verdutzt an. Es ist auch zu blöd, wenn einen jemand anspricht, den man, obwohl man ihn noch nie im Leben sah, genau zu kennen hat! Schließlich reißt sie sich zusammen und sagt vergnügt: „Grüß Gott! Kommst du mit? Ich muss zur Frau Wagenthaler Suppengrün kaufen.“ Dann hängt sie sich bei der anderen ein – wenn sie wenigstens wüsste, wie das sommersprossige Ding mit dem Vornamen heißt! – und lässt sich von ihr zum Laden der Frau Wagenthaler lotsen.

Die Frau Wagenthaler freut sich natürlich, dass Lottchen Körner aus den Ferien zurück ist und so rote Backen gekriegt hat! Als der Einkauf erledigt ist, erhalten die Mädchen je einen Bonbon und außerdem den Auftrag, der Frau Körner und der Frau Habersetzer einen schönen Gruß auszurichten.







Da fällt der Luise ein Stein vom Herzen. Endlich weiß sie, dass die andere die Anni Habersetzer sein muss! (Im Heft steht: „Anni Habersetzer, ich war dreimal mit ihr böse, sie haut kleinere Kinder, besonders die Ilse Merck, die Kleinste in der Klasse). Nun, damit kann man schon etwas anfangen!

Beim Abschied vor der Haustür sagt also Luise: „Ehe ich es vergesse – Anni —, dreimal war ich mit dir böse wegen der Ilse Merck und so, du weißt schon. Das nächste Mal bin ich dir nicht bloß böse, sondern …“ Dabei macht sie eine eindeutige Handbewegung und rauscht davon.

„Das werden wir ja sehen“, denkt Anni wütend. „Gleich morgen werden wir das sehen! Die ist wohl in den Ferien übergeschnappt?“





Luise kocht. Sie hat eine Schürze von Mutti umgebunden und rennt zwischen dem Gasherd, wo Töpfe auf den Flammen stehen, und dem Tisch, auf dem das Kochbuch aufgeschlagen liegt, wie ein Kreisel hin und her. Dauernd hebt sie die Topfdeckel hoch. Wenn kochendes Wasser zischend überläuft, zuckt sie zusammen. Wie viel Salz sollte ins Nudelwasser? „Ein halber Esslöffel!“ Wie viel Selleriesalz? „Eine Prise!“ Wie viel, um alles in der Welt, ist eine Prise?

Und dann: „Muskatnuss reiben!“ Wo steckt die Muskatnuss? Wo ist das Reibeisen? Das Mädchen wühlt in Schubfächern, klettert auf Stühle, schaut in alle Dosen, starrt auf die Uhr an der Wand, springt vom Stuhl herab, ergreift eine Gabel, hebt einen Deckel auf, verbrennt sich die Finger, quiekt, sticht mit der Gabel in dem Rindfleisch herum – nein, es ist noch nicht weich!

Mit der Gabel in der Hand bleibt sie wie angewurzelt stehen. Was wollte sie eben noch suchen? Ach richtig! Die Muskatnuss und das Reibeisen! Nanu, was liegt denn da friedlich neben dem Kochbuch? Das Suppengrün! Das muss doch geputzt und in die Bouillon getan werden! Also, Gabel weg, Messer her! Ob das Fleisch jetzt gar ist? Und wo sind die Reibnuss und das Muskateisen? Quatsch, das Reibeisen und die Muskatnuss! Suppengrün muss man erst unter der Wasserleitung waschen. Und die Möhre muss geschabt werden. Au, man darf sich dabei natürlich nicht in den Finger schneiden! Und wenn das Fleisch weich ist, muss man es aus dem Topf herausnehmen. Und um später die Knochen abzuschöpfen, braucht man ein Sieb! Und in einer halben Stunde kommt Mutti! Und zwanzig Minuten vorher muss man die Nudeln in kochendes Wasser werfen! Und wie es in der Küche aussieht! Und Muskatnuss! Und das Sieb! Und das Reibeisen! Und… Und… Und…

Luise sinkt auf dem Küchenstuhl zusammen. Lottchen! Es ist nicht leicht, deine Schwester zu sein! Hotel „Imperial“… Herr Strobl… Peperl… Franz… Und Vati… Vati… Vati… Und die Uhr tickt.

In neunundzwanzig Minuten kommt Mutti! – In achtundzwanzig und einer halben Minute! – In achtundzwanzig! Luise ballt vor Entschlossenheit die Fäuste und erhebt sich zu neuen Taten.

Doch mit dem Kochen ist das eine eigene Sache. Die Entschlossenheit genügt vielleicht, um von einem hohen Turm zu springen. Aber um Nudeln mit Rindfleisch zu kochen, dazu braucht man mehr als Willenskraft.

Und als Frau Körner, müde heimkehrt, findet sie kein lächelndes Hausmütterchen vor, sondern ein völlig erschöpftes Häufchen Unglück, ein verwirrtes Mädchen, das ihr fast weinend sagt: „Schimpf nicht, Mutti! Ich glaube, ich kann nicht mehr kochen!“

„Aber Lottchen, Kochen verlernt man doch nicht!“, ruft die Mutter verwundert. Doch zum Wundern ist wenig Zeit. Es gilt, Kindertränen zu trocknen, Bouillon abzuschmecken und zerkochtes Fleisch hineinzuwerfen, Teller und Bestecke aus dem Schrank zu holen und vieles mehr.

Als sie endlich im Wohnzimmer unter der Lampe sitzen und Nudelsuppe löffeln, meint die Mutter tröstend:

„Es schmeckt doch eigentlich sehr gut, nicht?“

„Ja?“ Ein schüchternes Lächeln stiehlt sich in das Kindergesicht. „Wirklich?“

Die Mutter nickt und lächelt still zurück.

Luise atmet auf, und nun schmeckt es ihr selber mit einem Male so gut wie noch nie im Leben! Trotz Hotel und Eierkuchen.

„Die nächsten Tage werde ich selber kochen“, sagt die Mutter. „Du wirst dabei schön aufpassen. Dann kannst du es bald wieder wie vor den Ferien.“

Die Kleine nickt eifrig. „Vielleicht sogar noch besser!“, meint sie etwas vorlaut.

Nach dem Essen waschen sie gemeinsam das Geschirr ab. Und Luise erzählt, wie schön es im Ferienheim war. (Allerdings, von dem Mädchen, das ihr zum Verwechseln ähnlich war, erzählt sie kein Sterbenswort!)





Lottchen sitzt in dieser Zeit in Luises schönstem Kleid in einer Loge der Wiener Staatsoper und schaut mit brennenden Augen zum Orchester hinunter, wo Kapellmeister Palfy die Ouvertüre von „Hänsel und Gretel“ dirigiert.

Wie wundervoll Vati im Frack aussieht! Und wie Musiker parieren, obwohl ganz alte Herren darunter sind! Wenn er mächtig mit dem Stock droht, spielen sie, so laut sie können. Und wenn er will, dass sie leiser sein sollen, dann säuseln sie wie der Abendwind. Müssen die vor ihm eine Angst haben! Dabei hat er so vergnügt zur Loge heraufgewinkt!

Die Logentür geht.

Eine elegante junge Dame rauscht herein, setzt sich an die Brüstung und lächelt dem aufblickenden Kind zu.

Lotte wendet sich schüchtern ab und schaut wieder zu, wie Vati die Musiker dressiert.

Die junge Dame holt ein Opernglas hervor.

Und eine Konfektschachtel. Und ein Programm. Und eine Puderdose. Sie hört nicht auf, bis die Samtbrüstung wie ein Schaufenster aussieht.







Als die Ouvertüre zu Ende ist, klatscht das Publikum laut Beifall. Der Herr Kapellmeister Palfy verbeugt sich einige Male. Und dann sieht er, während er erneut den Dirigentenstab hebt, zur Loge empor. Lotte winkt schüchtern mit der Hand. Vati lächelt noch zärtlicher als vorhin.

Da merkt Lotte, dass nicht nur sie mit der Hand winkt, sondern auch die Dame neben ihr!

Die Dame winkt Vati zu? Vati hat vielleicht ihretwegen gelächelt? Und gar nicht wegen seiner Tochter, und wieso hat Luise nichts von der fremden Frau erzählt? Kennt Vati sie noch nicht lange? Aber wie darf sie ihm dann so vertraulich zuwinken? Das Kind notiert im Gedächtnis: „Heute noch an Luise schreiben. Ob sie etwas weiß. Morgen vor der Schule zum Postamt. Postlagernd aufgeben: Vergissmeinnicht München 18.“

Dann hebt sich der Vorhang, und das Schicksal Hänsels und Gretels bewegt Lottchen sehr. Da unten schicken die Eltern die Kinder in den Wald, um sie loszuwerden. Dabei haben sie die Kinder doch lieb! Wie können sie dann so böse sein? Oder sind sie gar nicht böse? Ist nur das, was sie tun, böse? Sie sind traurig darüber. Warum machen sie es dann?







Lottchen, der halbierte Zwilling, gerät in wachsende Erregung. Der Widerstreit ihrer Gefühle gilt immer weniger den beiden Kindern und Eltern dort unten auf der Bühne, immer mehr ihr selber, der Zwillingsschwester und den eigenen Eltern. Durften diese tun, was sie getan haben? Ganz gewiss ist Mutti keine böse Frau, und der Vater ist bestimmt nicht bös. Doch was sie taten, war böse! Der Holzhauer und seine Frau waren so arm, dass sie kein Brot für die Kinder kaufen konnten. Aber Vati? War der so arm gewesen?

Als später Hänsel und Gretel vor dem knusprigen Pfefferhaus ankommen, daran herumknabbern und vor der Hexenstimme erschrecken, beugt sich Fräulein Irene Gerlach, so heißt die elegante Dame, zu dem Kind hinüber, schiebt ihm die Konfektschachtel zu und flüstert: „Willst du auch ein bisschen knuspern?“

Lottchen zuckt zusammen, blickt auf, sieht das Frauengesicht vor sich und macht eine wild abwehrende Geste. Dabei fegt sie leider die Konfektschachtel von der Brüstung, und unten im Parkett regnet’ es Pralinen! Köpfe wenden sich nach oben. Gedämpftes Lachen mischt sich in die Musik. Fräulein Gerlach lächelt halb verlegen, halb ärgerlich.

Das Kind wird ganz steif vor Schreck.

„Entschuldigen Sie vielmals“, wispert Lottchen. Die Dame lächelt verzeihend, „Oh, das macht nichts, Luiserl“, sagt sie.

Ob das auch eine Hexe ist? Eine schönere als auf der Bühne?





Luise liegt zum ersten Mal in München im Bett. Die Mutter sitzt auf der Bettkante und sagt: „So, mein Lottchen, nun schlaf gut! Und träum was Schönes!“

„Wenn ich nicht zu müde dazu bin“, murmelt das Kind. „Kommst du auch bald?“

An der Gegenwand steht ein größeres Bett. Auf der Decke liegt Muttis Nachhemd, parat zum Hineinschlüpfen.

„Gleich“, sagt die Mutter. „Sobald du eingeschlafen bist.“







Das Kind schlingt die Arme um ihren Hals und gibt ihr einen Kuss. Dann noch einen. Und einen dritten. „Gute Nacht!“

Die junge Frau drückt das kleine Wesen an sich. „Ich bin so froh, dass du wieder daheim bist“, flüstert sie. „Ich habe ja nur noch dich!“

Der Kopf des Kindes sinkt schlaftrunken zurück. Luiselotte Palfy, geborene Körner, stopft das Deckbett zurecht und lauscht eine Weile auf die Atemzüge ihrer Tochter. Dann steht sie behutsam auf. Und auf Zehenspitzrn geht sie ins Wohnzimmer zurück. Unter der Tischlampe liegt die Aktenmappe. Es gibt noch so viel zu tun.





Lotte ist zum ersten Mal von Resi ins Bett gebracht worden. Dann ist sie heimlich aufgestanden und hat den Brief geschrieben, den sie morgen früh zum Postamt bringen will. Dann ist sie in Luisens Bett zurückgeschlichen und das Kinderzimmer noch einmal in Ruhe betrachtet.

Es ist ein geräumiger, hübscher Raum mit einem Spielzeugschrank, mit einem Bücherregal, einem Schreibpult für die Schularbeiten, einem großen Kaufmannsladen, einer zierlichen altmodischen Frisiertoilette, einem Puppenwagen, einem Puppenbett, nichts fehlt, bis Hauptsache!

Hat sie sich nicht manchmal – ganz im Stillen, – so ein schönes Zimmer gewünscht? Nun wo sie es hat, bohrt sich ihr ein spitzer Schmerz ins Gemüt. Sie sehnt sich nach dem kleinen, bescheidenen Schlafzimmer, wo jetzt die Schwester liegt, nach Muttis Gutenachtkuss, nach dem Lichtschein, der aus dem Wohnzimmer herüberzwinkert, wo Mutti arbeitet, danach, dass dann leise die Tür geht, dass sie hört, wie Mutti am Kinderbett stehen bleibt, auf Zehenspitzen zum eigenen Bett hinüberhuscht, ins Nachthemd schlüpft und sich in ihre Decke kuschelt.

Wenn hier, wenigstens im Nebenzimmer, Vatis Bett stände! Vielleicht würde er schnarchen. Das wäre schön! Da wüsste man, dass er ganz in der Nähe ist! Aber er schläft nicht in der Nähe, sondern in einem anderen Haus, am Kärntner Ring. Vielleicht schläft er überhaupt noch nicht, sondern sitzt mit dem eleganten Pralinenfräulein in einem großen, glitzernden Saal, trinkt Wein, lacht, tanzt mit ihr, nickt ihr zärtlich zu, wie vorhin in der Oper, ihr, nicht dem kleinen Mädchen, das glücklich und verstohlen aus der Loge winkte.

Lotte schläft ein. Sie träumt. Das Märchen von den armen Eltern, die, weil sie kein Brot hatten, Hänsel und Gretel in den Wald schickten, mischt sich mit eignen Ängsten.

Luise und Lotte sitzen in diesem Traum mit erschrockenen Augen in einem gemeinsamen Bett und starren auf eine Tür, durch die viele weißbemützte Bäcker kommen und Brote hereinschleppen. Sie schichten Brote an den Wänden auf. Immer mehr Bäcker kommen und gehen. Die Brotberge wachsen. Das Zimmer wird immer enger.

Dann steht der Vater da, im Frack, und dirigiert die Bäckerparade mit lebhaften Gesten. Mutti kommt hereingestürzt und fragt bekümmert: „Aber Mann, was soll denn nun werden?“

„Die Kinder müssen fort!“, schreit er böse. „Wir haben keinen Platz mehr! Wir haben zu viel Brot im Hause!“

Mutti ringt die Hände. Die Kinder schluchzen erbärmlich.

„Hinaus!“, ruft er und hebt drohend den Dirigentenstab. Da rollt das Bett gehorsam zum Fenster. Die Fensterflügel springen auf. Das Bett schwebt zum Fenster hinaus.

Es fliegt über eine große Stadt dahin, über einen Fluss, über Hügel, Felder, Berge und Wälder, senkt es sich wieder zur Erde herab und landet in einem dichten Wald, in dem Vögel unheimlich krächzen und wilde Tiere schauerlich brüllen. Die beiden Mädchen sitzen, von Furcht gelähmt, im Bett. Da knackt und prasselt es! Die Kinder werfen sich zurück und ziehen die Decke über die Köpfe. Aus dem Gestrüpp kommt eine Hexe hervor. Es ist aber nicht die Hexe von der Opernbühne, sondern sie ähnelt der Pralinendame aus der Loge. Sie blickt durch ihr Opernglas zu dem Bettchen hinüber, nickt mit dem Kopf, lächelt sehr hochmütig und klatscht dreimal in die Hände.

Wie auf Kommando verwandelt sich der Wald in eine sonnige Wiese. Und auf der Wiese steht ein aus Konfektschachteln gebautes Haus, mit einem Zaun aus Schokoladetafeln. Vögel zwitschern lustig, im Gras hüpfen Hasen aus Marzipan, und überall schimmert es von goldenen Nestern, in denen Ostereier liegen. Ein kleiner Vogel setzt sich aufs Bett und singt so hübsch Koloratur, dass sich Lotte und Luise, wenn auch zunächst nur bis zu den Nasenspitzen, unter ihrer Decke hervortrauen. Als sie nun die Wiese mit den Osterhasen, die Schokoladeneier und das Pralinenhaus sehen, klettern sie schnell aus dem Bett und laufen zum Zaun. Dort stehen sie nun in ihren langen Nachthemden und staunen.

Luise bricht ein großes Stück Schokolade vom Zaun. „Mit Nuss!“, meint sie begehrlichund will hineinbeißen.

Da ertönt Hexenlachen aus dem Haus! Die Kinder erschrecken! Luise wirft die Schokolade weit weg!

Und schon kommt Mutti mit einem großen Handwagen voller Brote über die Wiese gekeucht.

„Halt, Kinder!“, ruft sie angstvoll. „Es ist alles vergiftet!“

„Wir hatten Hunger, Mutti.“

„Hier habt ihr Brot! Ich konnte nicht früher aus dem Verlag weg!“ Sie umarmt ihre Kinder und will sie fortziehen. Doch da öffnet sich die Pralinentür. Der Vater erscheint mit einer großen Säge, wie Holzhauer sie haben, und ruft:

„Lassen Sie die Kinder in Ruhe, Frau Körner!“

„Es sind meine Kinder, Herr Palfy!“

„Meine auch“, schreit er zurück. Und während er sich nähert, erklärt er trocken: „Ich werde die Kinder halbieren! Mit der Säge! Ich kriege eine halbe Lotte und von Luise eine Hälfte, und Sie auch, Frau Körner!“

Die Zwillinge sind zitternd ins Bett gesprungen. Mutti stellt sich, mit ausgebreiteten Armen, schützend vor das Bett. „Niemals, Herr Palfy!“

Aber der Vater schiebt sie beiseite und beginnt, vom Kopfende her, das Bett durchzusägen. Die Säge kreischt so, dass man friert, und sägt das Bett Zentimeter auf Zentimeter der Länge nach durch. „Lasst euch los!“, befiehlt der Vater. Die Säge kommt den ineinander gefalteten Geschwisterhänden immer näher, immer näher! Gleich ritzt sie die Haut! – Mutti weint herzzerbrechend. Man hört die Hexe kichern. Da endlich geben die Kinderhände nach. Die Säge schneidet zwischen ihnen das Bett endgültig auseinander, bis zwei Betten, jedes auf vier Füßen, daraus geworden sind.

„Welchen Zwilling wollen Sie haben, Frau Körner?“

„Beide, beide!“

„Bedaure“, sagt der Mann. „Gerechtigkeit muss sein. Na, wenn Sie sich nicht entschließen können – ich nehme die da! Mir ist es gleich. Ich kenne sie ja doch nicht auseinander.“ Er greift nach dem einen Bett. „Welche bist du denn?“

„Das Luiserl!“, ruft diese. „Aber du darfst das nicht tun!“

„Nein“, schreit nun Lotte. „Ihr dürft uns nicht halbieren!“

„Haltet den Mund!“, erklärt der Mann streng.

„EItern dürfen alles!“

Damit geht er, das eine Kinderbett an einer Schnur hinter sich herziehend, auf das Pralinenhaus zu. Der Schokoladenzaun springt von selber auf. Luise und Lotte winken einander verzweifelt zu. „Wir schreiben uns!“, brüllt Luise. „Postlagernd!“, schreit Lotte. „Vergissmeinnicht München 18!“

Der Vater und Luise verschwinden im Haus. Dann verschwindet auch das Haus, als würde es weggewischt.

Mutti umarmt Lotte und sagt traurig: „Nun sind wir beide vaterseelenallein.“ Plötzlich starrt sie das Kind unsicher an. „Welches meiner Kinder bist du denn? Du siehst aus wie Lotte!“

„Ich bin ja Lotte!“

„Nein, du siehst aus wie Luise…“

„Ich bin doch Luise!“

Die Mutter blickt dem Kind erschrocken ins Gesicht und sagt, seltsamerweise mit Vaters Stimme: „Einmal Locken! Einmal Zöpfe! Dieselben Nasen! Dieselben Köpfe!“

Lotte hat jetzt links einen Zopf, rechts Locken wie Luise. Tränen rollen ihr aus den Augen. Und sie murmelt trostlos: „Nun weiß ich selber nicht mehr, wer von uns beiden ich bin! Ach, die arme Hälfte!“

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