Книга: Das doppelte Lottchen / Близнецы. Книга для чтения на немецком языке
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Zwölftes Kapitel

Herr Benno Grawunder, ein alter erfahrener Beamter im Standesamt, nimmt eine Trauung vor, die ihn, bei aller Routine, ab und zu ein bisschen aus der Fassung bringt. Die Braut ist die geschiedene Frau des Bräutigams. Die beiden einander ähnlichen zehnjährigen Mädchen sind die Kinder des Brautpaars. Der eine Trauzeuge, ein Kunstmaler namens Anton Gabele, hat keinen Schlips um. Dafür hat der andere Zeuge, Professor Doktor Strobl, einen Hund! Und der Hund hat im Vorzimmer, wo er eigentlich bleiben sollte, einen solchen Lärm gemacht, dass man ihn hereinholen und an der Trauung teilnehmen lassen musste! Ein Hund als Trauzeuge! Nein, so was!





Lottchen und Luise sitzen auf ihren Stühlen und sind glücklich wie die Schneekönige. Und sie sind nicht nur glücklich, sondern auch stolz, mächtig stolz! Denn sie selber sind ja an dem herrlichen, unfassbaren Glück schuld! Was wäre denn aus den armen Eltern geworden, wenn die Kinder nicht gewesen wären, wie? Na, also! Und leicht war es gerade nicht gewesen, in aller Heimlichkeit Schicksal zu spielen! Abenteuer, Tränen, Angst, Lügen, Verzweiflung, Krankheit, nichts war ihnen erspart geblieben, rein gar nichts!

Nach der Zeremonie flüstert Herr Gabele mit Herrn Palfy. Dabei zwinkern die beiden Künstlernaturen einander geheimnisvoll zu. Aber warum sie flüstern und zwinkern, weiß außer ihnen niemand.

Frau Körner, geschiedene Palfy, verehelichte Palfy, hat ihren alten und neuen Herrn und Gebieter nur murmeln hören:

„Noch zu früh?“ Dann fährt er, zu ihr gewandt, leichthin fort: „Ich hab eine gute Idee! Weißt du was? Wir fahren zunächst in die Schule und melden Lotte an!“

„Lotte? Aber Lotte war doch seit Wochen… Entschuldige, du hast natürlich recht!“

Der Herr Kapellmeister schaut die Frau Kapellmeister zärtlich an. „Das will ich meinen!“





Herr Kilian, der Direktor der Mädchenschule, ist ehrlich verblüfft, als Kapellmeister Palfy und seine Frau eine zweite Tochter anmelden, die der ersten aufs Haar gleicht. Aber er hat als alter Schullehrer manches erlebt, was nicht weniger merkwürdig war, und so gewinnt er schließlich die Fassung wieder.

Nachdem die neue Schülerin ordnungsgemäß in ein großes Buch eingetragen worden ist, lehnt er sich gemütlich im Schreibtischsessel zurück und sagt: „Als jungem Hilfslehrer ist mir einmal etwas passiert, das muss ich Ihnen und den beiden Mädchen erzählen! Da kam zu Ostern ein neuer Bub in meine Klasse. Ein Bub aus ärmlichen Verhältnissen, aber blitzsauber und, wie ich bald merkte, sehr ums Lernen bemüht. Er kam gut voran. Im Rechnen war er sogar in kurzer Zeit der Beste von allen. Das heißt: nicht immer! Erst dachte ich bei mir: Wer weiß, woran’s liegen mag! Dann dachte ich: Das ist doch seltsam! Manchmal rechnet er wie am Schnürchen und macht keinen einzigen Fehler, andere Male geht es viel langsamer bei ihm, und Fehler macht er außerdem!“







Der Herr Schuldirektor macht eine Pause und zwinkert Luise und Lotte zu. „Endlich verfiel ich auf eine seltsame Methode. Ich merkte mir in einem Notizbücherl an, wann der Bub gut und wann er miserabel gerechnet hatte. Und da stellte sich ja nun etwas ganz Verrücktes heraus. Montags, mittwochs und freitags rechnete er gut – dienstags, donnerstags und samstags rechnete er schlecht.“

„Nein, so was!“, sagt Herr Palfy. Und die zwei kleinen Mädchen rutschen neugierig auf den Stühlen.

„Sechs Wochen sah ich mir das an“, fährt der alte Herr fort. „Es änderte sich nie! Montags, mittwochs, freitags – gut! Dienstags, donnerstags, samstags – schlecht! Eines schönen Abends ging ich in die Wohnung der Eltern und teilte ihnen meine rätselhafte Beobachtung mit. Sie schauten einander halb verlegen, halb belustigt an, und dann meinte der Mann: Mit dem, was der Herr Lehrer bemerkt hat, hat’s schon seine Richtigkeit! Dann pfiff er auf zwei Fingern. Und schon kamen aus dem Nebenzimmer zwei Jungen herübergesprungen. Zwei, gleich große und auch sonst vollkommen ähnlich! Es sind Zwillinge, meinte die Frau. Der Sepp ist der gute Rechner, der Toni ist – der andere! Nachdem ich mich einigermaßen erholt hatte, fragte ich: Ja, liebe Leute, warum schickt ihr denn nicht alle beide in die Schule? Und der Vater gab mir zur Antwort: Wir sind arm, Herr Lehrer. Die zwei Buben haben zusammen nur einen guten Anzug!“

Das Ehepaar Palfy lacht. Herr Kilian schmunzelt. Das Luiserl ruft:

„Das ist eine Idee! Das machen wir auch!“

Herr Kilian droht mit dem Finger. „Fräulein Gstettner und Fräulein Bruckbaur werden ohnedies Mühe genug haben, euch immer richtig auseinander zu halten!“

„Vor allem“, meint Luise begeistert, „wenn wir uns ganz gleich frisieren und die Sitzplätze tauschen!“

Der Herr Direktor schlägt die Hände überm Kopf zusammen und tut überhaupt, als sei er der Verzweiflung nahe. „Entsetzlich!“, sagt er.





Als das neugebackene, genauer, das wieder aufgebackene Ehepaar mit den Zwillingen über den Schulhof geht, ist gerade Frühstückspause. Hunderte kleiner Mädchen drängen sich und werden gedrängt. Luise und Lotte werden ungläubig bestaunt.

Endlich gelingt es Trude, sich bis zu den Zwillingen durchzuboxen. Schwer atmend blickt sie von einer zur anderen. „Nanu!“, sagt sie erst einmal. Dann wendet sie sich gekränkt an Luise: „Erst verbietest du mir, hier in der Schule drüber zu reden, und nun kommt ihr so einfach daher?“

„Ich hab’s dir verboten,“ berichtigt Lotte.

„Jetzt kannst du’s ruhig allen erzählen“, erklärt Luise. „Von morgen an kommen wir nämlich beide!“

Dann schiebt sich Herr Palfy wie ein Eisbrecher durch die Menge und lotst seine Familie durchs Schultor. Trude wird inzwischen das Opfer der allgemeinen Neugierde. Man bugsiert sie auf den Ast einer Eberesche. Von hier oben aus teilt sie der lauschenden Mädchenmenge alles mit, was sie weiß.

Es läutet. Die Pause ist zu Ende. So sollte man wenigstens denken.

Die Lehrerinnen betreten die Klassenzimmer. Die Klassenzimmer sind leer. Die Lehrerinnen treten an die Fenster und starren empört auf den Schulhof hinunter. Der Schulhof ist überfüllt. Die Lehrerinnen dringen ins Zimmer des Direktors, um im Chor Beschwerde zu führen.

„Nehmen Sie Platz, meine Damen!“, sagt er. „Der Schuldiener hat mir soeben die neue Nummer der „Münchner Illustrierte» gebracht. Die Titelseite ist für unsere Schule recht interessant. Darf ich bitten, Fräulein Bruckbaur?“ Er reicht ihr die Zeitschrift.

Und nun vergessen auch die Lehrerinnen, genau wie im Schulhof die kleinen Mädchen, dass die Pause längst vorüber ist.





Fräulein Irene Gerlach steht, elegant wie immer, in der Nähe der Oper und starrt betroffen auf das Titelblatt der „Münchner Illustrierten“, wo zwei kleine bezopfte Mädchen abgebildet sind. Als sie hochblickt, starrt sie noch mehr. Denn an der Verkehrskreuzung hält ein Taxi, und in dem Taxi sitzen zwei kleine Mädchen mit einem Herrn, den sie gut gekannt hat, und einer Dame, die sie nie kennen lernen möchte! Lotte zwickt die Schwester.

„Du, dort drüben!“

„Aua! Was denn?“

Lotte flüstert, dass es kaum zu hören ist: „Fräulein Gerlach!“

„Wo?“

„Rechts! Die mit dem großen Hut! Und mit der Zeitung in der Hand!“ Luise schielt zu der eleganten Dame hinüber. Am liebsten möchte sie ihr triumphierend die Zunge herausstrecken.

„Was habt ihr denn, ihr zwei?“ Verflixt, nun hat die Mutti wohl doch etwas gemerkt?

Da beugt sich, zum Glück, aus dem Auto, das neben dem Taxi wartet, eine alte Dame herüber. Sie hält der Mutti eine illustrierte Zeitung hin und sagt lächelnd: „Darf ich Ihnen ein passendes Präsent machen?“

Frau Palfy nimmt die Illustrierte, sieht das Titelbild, dankt lächelnd und gibt die Zeitung ihrem Mann.

Die Autos setzen sich in Bewegung. Die alte Dame nickt zum Abschied.

Die Kinder klettern neben Vati auf den Wagensitz und bestaunen das Titelbild.

„Dieser Herr Eipeldauer!“, sagt Luise. „Uns so hineinzulegen!“

„Wir dachten doch, wir hätten alle Fotos zerrissen!“, meint Lotte.

„Er hat ja die Platten!“, erklärt die Mutti. „Da kann er noch Hunderte von Bildern abziehen!“

„Ohne ihn wäre Mutti nicht hinter euer Geheimnis gekommen. Und ohne ihn wäre heute keine Hochzeit gewesen.“, stellt der Vater fest.

Luise dreht sich plötzlich um und schaut zur Oper zurück. Aber von Fräulein Gerlach ist weit und breit nichts mehr zu sehen.

Lotte sagt zur Mutti: „Wir werden dem Herrn Eipeldauer einen Brief schreiben und uns bei ihm bedanken!“

Das Ehepaar klettert in der Rotenturmstra-ße mit den Zwillingen die Stufen hinauf. In der offenen Tür wartet schon die Resi in ihrem sonntäglichen Kleid, grinst über das ganze breite Gesicht und überreicht der jungen Frau einen großmächtigen Blumenstrauß.

„Ich danke Ihnen schön, Resi“, sagt die junge Frau. „Und ich freu mich, dass Sie bei uns bleiben wollen!“ Resi nickt wie eine Puppe aus dem Kasperltheater, so energisch und so ruckartig. Dann stottert sie: „Ich hätte ja auf den Hof zurück sollen. Zum Herrn Vater. Aber ich hab doch das Fräulein Lottchen so arg gern!“

Der Herr Kapellmeister lacht: „Zu uns drei anderen sind Sie nicht eben höflich, Resi!“ Resi zuckt ratlos mit den Schultern. Frau Palfy greift rettend ein. „Wir können doch nicht ewig auf dem Treppenflur stehen bleiben!“

„Bitte schön!“ Resi reißt die Tür auf.

„Momenterl!“, sagt der Herr Kapellmeister. „Ich muss erst einmal in die andere Wohnung!“

Alle außer ihm erstarren. Schon am Hochzeitstag will er wieder ins Atelier am Ring? (Nein, die Resi erstarrt ganz und gar nicht! Sie lacht vielmehr lautlos in sich hinein!)

Herr Palfy geht zu Herrn Gabeles Wohnungstür, zückt einen Schlüssel und schließt in aller Seelenruhe auf!

Lottchen rennt zu ihm. An der Tür ist ein neues Schild angebracht, und auf dem neuen Schild steht deutlich zu lesen: „Palfy“!

„O Vati!“, ruft sie überglücklich. Da steht auch schon Luise neben ihr, liest das Schild, kriegt die Schwester am Kragen und beginnt, mit ihr eine Art Veitstanz aufzuführen. Das alte Stiegenhaus wackelt in allen Fugen.

„Nun ist’s genug!“, ruft schließlich der Herr Kapellmeister. „Ihr schert euch jetzt mit der Resi in die Küche und helft ihr!“ Er schaut auf die Uhr. „Ich zeig der Mutti inzwischen meine Wohnung. Und in einer halben Stunde wird gegessen. Wenn’s so weit ist, klingelt ihr!“ Er nimmt die junge Frau an der Hand.

An der gegenüberliegenden Tür macht Luise einen Knicks und sagt: „Auf gute Nachbarschaft, Herr Kapellmeister!“

Die junge Frau legt Hut und Mantel ab. „Was für eine Überraschung!“, meint sie leise.

„Eine angenehme Überraschung?“, fragt er. Sie nickt.

„Es war schon lange Lottchens Wunsch, bevor’s auch der meinige wurde“, erzählt er zögernd. „Gabele hat den Feldzugsplan bis ins Kleinste ausgearbeitet und die Schlacht der Möbelwagen eingeleitet.“

„Deswegen also mussten wir erst noch in die Schule?“

„Ja. Der Transport des Flügels hielt den Kampf der Möbeltitanen etwas auf.“

Sie treten ins Arbeitszimmer. Auf dem Flügel steht die aus dem Schreibtischschubfach auferstandene Fotografie einer jungen Frau aus einer vergangenen, unvergessenen Zeit. Er legt den Arm um sie. „Im dritten Stock links werden wir zu viert glücklich sein, und im dritten Stockwerk rechts ich allein, aber mit euch Wand an Wand. „

„So viel Glück!“ Sie schmiegt sich an ihn. „Jedenfalls mehr, als wir verdienen“, sagt er ernst.

„Aber nicht mehr, als wir ertragen können.“

„Ich hätte nie geglaubt, dass es das gibt!“

„Was?“

„Dass man verlorenes Glück nachholen kann wie eine versäumte Schulstunde.“

Er deutet auf ein Bild an der Wand. Aus dem Rahmen schaut, von Gabele gezeichnet, ein kleines, ernstes Kindergesicht auf die Eltern herab. „Jede Sekunde unseres neuen Glücks“, sagt er, „verdanken wir unseren Kindern.“





Luise steht, mit einer Küchenschürze geschmückt, auf einem Stuhl und heftet mit Reißzwecken die Titelseite der „Münchner Illustrierten» an die Wand.

„Schön“, sagt Resi andächtig.

Lottchen, gleichfalls in einer Küchenschürze, werkelt eifrig am Herd.

Resi tupft sich eine Träne aus dem Augenwinkel, schnüffelt leise und fragt dann, noch immer vor der Fotografie stehend: „Welche von euch beiden ist denn nun eigentlich welche?“

Die kleinen Mädchen schauen einander betroffen an. Dann starren sie auf die Fotografie. Dann blicken sie erneut einander an. „Also…“, sagt Lottchen unschlüssig.

„Ich saß, als uns der Herr Eipeldauer knipste, glaub ich, links“, meint Luise nachdenklich.

Lotte schüttelt den Kopf. „Nein, ich saß links. Oder?“

Die zwei recken die Hälse zum Foto empor.

„Ja, wenn ihr’s selber nicht wisst, welche welche ist!“, schreit die Resi außer sich und beginnt zu lachen.

„Nein, wir wissen’s wirklich selber nicht!“, ruft Luise begeistert. Und nun lachen alle drei, dass ihr Gelächter bis in die Nebenwohnung hinüberdringt.

Dort drüben fragt die Frau, fast erschrocken: „Wirst du denn bei solchem Lärm arbeiten können?“

Er geht an den Flügel und sagt, während er den Deckel öffnet: „Nur bei solchem Lärm!“ Und indes nebenan das Gelächter einschläft, spielt er seiner Frau aus der Kinderoper ein Duett vor, das bis in die Küche der Nachbarwohnung dringt. Die drei hantieren so leise wie möglich, um sich auch ja keinen Ton entgehen zu lassen.

Als das Lied verklungen ist, fragt Lottchen verlegen: „Wie ist das eigentlich, Resi? Wo nun Vati und Mutti wieder mit uns zusammen sind, können Luise und ich doch noch Geschwister bekommen?“

„Ja, freilich!“, erklärt Resi zuversichtlich.

„Wollt ihr denn welche haben?“

„Natürlich“, meint Luise energisch. „Buben oder Mädels?“, fragt Resi.

„Buben und Mädels!“, sagt Lotte.

Luise aber ruft aus Herzensgrund: „Und lauter Zwillinge!“





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