Sie saßen in der Kantine der Weltausstellung. Es war Zahltag gewesen. Kern legte die dünnen Papierscheine rund um seinen Teller. „Zweihundertsiebzig Francs!“ sagte er. „In einer Woche verdient! Und das schon zum drittenmal! Es ist ein glattes Märchen.“
Marill betrachtete ihn eine Weile amüsiert. Dann hob er sein Glas Steiner entgegen. „Wir wollen einen Schluck des Abscheus auf das Papier trinken, lieber Huber! Es ist erstaunlich, was für eine Macht es über den Menschen bekommen hat! Unsere Urväter zitterten vor Donner und Blitz, vor Tigern und Erdbeben – unsere Mittelväter vor Schwertern, Räubern, Seuchen und Gott – wir aber zittern vor dem bedruckten Papier – sei es als Geldschein oder als Pass. Der Neandertaler wurde mit der Keule erschlagen; der Römer mit dem Schwert; der Mensch des Mittelalters mit der Pest – uns aber kann man schon mit einem Stück Papier auslöschen.“
„Oder zum Leben bringen“, ergänzte Kern und betrachtete die Noten der Bank von Frankreich rund um seinen Teller.
Marill sah ihn schief an. „Was sagst du zu diesem Knaben?“ fragte er Steiner. „Macht sich, was?“
„Und wie! Er gedeiht im rauhen Wind der Fremde. Mordet sogar schon Pointen.“
„Ich kannte ihn noch als Kind“, erklärte Marill. „Zart und trostbedürftig. Vor ein paar Monaten.“
Steiner lachte. „Er lebt in einem labilen Jahrhundert. Da kommt man leicht um – aber man wächst auch schnell.“
Marill nahm einen Schluck des leichten, roten Weins. „Ein labiles Jahrhundert!“ wiederholte er. „Die große Unruhe! Ludwig Kern, ein junger Wandale der zweiten Völkerwanderung.“
„Stimmt nicht“, erwiderte Kern. „Ich bin ein junger Halbhebräer beim zweiten Auszug aus Ägypten!“
Marill sah Steiner anklagend an. „Dein Schüler, Huber“, sagte er.
„Nein – das Aphoristische hat er von dir, Marill! Im übrigen erhöht ein sicherer Wochenlohn den Witz jedes Menschen. Es lebe die Heimkehr der verlorenen Söhne zum Gehalt!“ Steiner wandte sich an Kern. „Steck das Geld in die Tasche, Baby, sonst fliegt es weg. Geld siebt das Licht nicht.“
„Ich werde es dir geben“, sagte Kern. „Dann ist es gleich weg. Du bekommst ohnehin noch viel mehr von mir zurück.“
„Untersteh dich! Um Geld zurückzunehmen, bin ich noch lange nicht reich genug!“
Kern sah ihn an. Dann steckte er das Geld in die Tasche. „Wie lange sind heute die Geschäfte offen?“ fragte er.
„Warum?“
„Heute ist doch Silvester.“
„Bis sieben, Kern“, sagte Marill. „Wollen Sie Schnaps einkaufen für heute abend? Der ist hier in der Kantine billiger. Ausgezeichneter Martinique-Rum.“
„Nein, keinen Schnaps.“
„Aha! Sie wollen dann anscheinend wohl am letzten Tage des Jahres auf den Pfaden bürgerlicher Sentiments wandeln, was?“
„So ungefähr.“ Kern stand auf. „Ich will zu Salomon Levi. Vielleicht ist er heute auch sentimental und hat labilere Preise.“
„In labilen Jahrhunderten steigen die Preise“, erwiderte Marill. „Aber immer los, Kern! Gewohnheit ist nichts – Impuls alles! Und vergessen Sie über dem Schachern nicht, um acht Uhr ist das Abendessen der alten Krieger der Emigration bei der Mère Margot!“
Salomon Levi war ein behendes, wieselartiges Männchen mit einem schütteren Ziegenbart. Er hauste in einem dunklen, gewölbeartigen Raum, zwischen Uhren, Musikinstrumenten, gebrauchten Teppichen, Ölgemälden, Hausrat, Gipszwergen und Porzellantieren. Im Schaufenster waren billige Imitationen, künstliche Perlen, silbergefasster alter Schmuck, Taschenuhren und alte Münzen sinnlos durcheinander aufgestapelt.
Levi erkannte Kern sofort wieder. Er hatte ein Gedächtnis wie ein Hauptbuch und schon manches gute Geschäft dadurch gemacht.
„Was gibt’s?“ fragte er sofort kampfbereit, weil er ohne weiteres annahm, Kern wollte wieder etwas verkaufen. „Sie kommen zu einer schlechten Zeit!“
„Wieso? Haben Sie den Ring schon verkauft?“
„Verkauft, verkauft?“ jammerte Levi. „Verkauft sagen Sie, wenn ich mich nicht verhört habe. Oder habe ich mich geirrt?“
„Nein.“
„Junger Mann“, zeterte Levi weiter, „lesen Sie denn keine Zeitungen? Leben Sie auf dem Mond und wissen Sie nicht, was in der Welt vorgeht? Verkauft! So alten Plunder! Verkauft! Wie Sie das sagen, so großmächtig dahin, wie der Rothschild. Wissen Se, was dazu gehört, dass mer was verkauft?“ Er machte eine Kunstpause und erklärte dann pathetisch: „Dass ein femder Mensch kommt und was haben will und dass er dann seine Börse aus der Tasche zieht…“, Levi holte ein Portemonnaie hervor, „sie öffnet“ – er öffnet es – „und bares, koscheres Geld herausnimmt“ – er zückte einen Zehnfrankenschein —, „es hinlegt“ – der Schein wurde auf dem Tisch glattgestrichen – „und dann die Hauptsache“ – Levis Stimme kletterte ins Falsett —, „sich dauernd von ihm trennt!“ Levi steckte den Schein wieder ein. „Und wofür? Für irgendeinen Fummel, irgend’ne Sache. Bares, koscheres Geld! Dass ich nicht lache! Nur Verrückte und Gojim machen so was. Oder ich Unglückseliger mit meiner Leidenschaft fürs Geschäft. Also was haben Sie diesmal? Viel kann ich nicht geben. Ja, vor vier Wochen, das waren noch Zeiten!“
„Ich will nichts verkaufen, Herr Levi. Ich möchte den Ring wiederkaufen.“
„Was?“ Levi sperrte einen Moment den Mund auf, wie eine hungrige Goldammer im Nest. Der Bart war das Nest. „Ah, ich weiß schon, tauschen wollen Se. Nee, junger Mann, das kenn’ ich! Ich habe vor ’ner Woche noch Pech damit gehabt, ’ne Uhr, gut, sie ging nicht mehr, aber Uhr ist Uhr schließlich, gegen ein bronzenes Tischschreibzeug und einen Füllfederhalter mit Goldspitze. Was soll ich Ihnen sagen? ’reingelegt haben se mich vertrauensseligen Narren – der Füllfederhalter funktioniert nicht. Gut, die Uhr geht auch höchstens ä Viertelstund, aber es is doch längst nicht dasselbe, wenn ä Uhr nich geht oder ä Füllhalter. Ä Uhr bleibt ä Uhr trotzdem, aber ä Füllhalter, der leer ist, haben Sie Gedanken? Das ist doch ä Widersinn, das is doch, als war’ er gar nich da. Was wollten Se denn tauschen?“
„Gar nichts, Herr Levi. Ich habe kaufen gesagt. Kaufen.“
„Mit Geld?“
„Ja, mit barem Geld.“
„Aha, ich weiß schon! Irgendso ungarisches oder rumänisches oder entwertetes österreichisches Geld oder Inflationsscheine natürlich, wer kennt sich denn da aus! Erst neulich hat so einer mit’m gewichsten Schnurrbart wie Karl der Große…“
Kern holte einen Hundertfrancschein hervor und legte seine Brieftasche auf den Tisch. Levi erstarrte und stieß einen hohen Pfiff aus. „Sie sind bei Kasse? Das erstemal, dass ich so was sehe! Junger Mann, die Polizei…“
„Verdient!“ sagte Kern. „Ehrlich verdient. Und nun, wo ist der Ring?“
„Momenterl!“ Levi rannte fort und kam mit dem Ring von Ruths Mutter zurück. Er putzte ihn mit seinem Rockärmel blank, blies behutsam darauf, putzte ihn noch einmal und legte ihn dann auf ein Stück Samt, als wäre er ein zwanzigkarätiger Diamant. „Ä scheenes Stick“, sagte er andächtig. „Ä wirkliche Rarität!“
„Herr Levi“, sagte Kern. „Sie haben uns damals hundertfünfzig Francs für den Ring gegeben. Wenn ich Ihnen hundertachtzig wiedergebe, haben Sie zwanzig Prozent verdient. Das ist ein guter Vorschlag, was?“
Levi hörte nichts. „Ein Stück zum Verlieben“, träumte er verzückt. „Kein moderner Schund. Ware! Reelle Ware! Ich wollte es selbst behalten. Ich habe so ä kleine Sammlung, privat, für mich persönlich!“
Kern zählte hundertachtzig Francs auf den Tisch. „Geld!“ sagte Levi verächtlich, „was ist heute Geld? Bei der Entwertung! Sachwerte, das ist richtig. So ä Ringelchen, da hat man Freude daran, und es steigt noch im Wert. Doppelte Freude! Und grad Gold ist so gestiegen“, meinte er sinnend. „Vierhundert Francs wäre billig für so ein schönes Stück. Liebhaberpreise könnt man dafür haben!“
Kern erschrak. „Herr Levi!“
„Ich bin ein Mensch“, sagte Levi entschlossen, „ich trenne mich. Ich will Ihnen die Freude machen. Ich will nichts verdienen, weil heute Silvester ist! Dreihundert Francs, fertig, und wenn ich verblute.“
„Das ist ja das Doppelte!“ sagte Kern empört.
„Das Doppelte! Das sagen Sie so dahin, ohne zu wissen, was Sie reden. Das Doppelte ist die Hälfte, sagt schon der Rabbi Michael von Howorodka irgendwo. Haben Sie schon mal was von Spesen gehört, junger Mann? Das kostet und kostet! Steuern, Miete, Kohlen, Abgaben, Verluste! Für Sie ist das nichts, aber für mich is es enorm! Das kommt jeden Tag dazu auf so ä Ringelchen!“
„Ich bin ein armer Teufel, ein Emigrant…“
Levi winkte ab. „Wer ist kein Emigrant? Wer kaufen will, ist immer reicher, als wer verkaufen muss. Na, und wer von uns beiden will kaufen?“
„Zweihundert Francs“, sagte Kern, „und das ist das letzte.“
Levi nahm den Ring, blies darauf und trug ihn fort. Kern steckte das Geld ein und ging zur Tür. Als er sie öffnete, schrie Levi von hinten: „Zweihundertfuffzich, weil Sie jung sind und ich ein Wohltäter sein will!“
„Zweihundert“, gab Kern von der Tür zurück.
„Schalom alechem!“ grüßte Levi.
„Zweihundertzwanzig.“
„Zweihundertfünfundzwanzig, ehrlich und treu, weil ich morgen Miete zahlen muss.“
Kern kehrte zurück und legte das Geld hin. Levi packte den Ring in einen kleinen Pappkasten. „Das Schächtelchen haben Sie gratis“, sagte er, „und die hübsche blaue Watte auch. Ruiniert haben Sie mich!“
„Fünfzig Prozent“, knurrte Kern. „Wucherer!“
Levi nahm das letzte Wort gar nicht zur Kenntnis. „Glauben Sie mir“, erwiderte er lediglich treuherzig, „in der Rue de la Paix bei Cartier kostet so ein Ring sechshundert. Wert ist er dreihundertfünfzig. Diesmal stimmt’s.“
Kern fuhr zurück zum Hotel. „Ruth!“ sagte er in der Tür. „Es geht mächtig aufwärts mit uns! Hier! Der letzte Mohikaner ist heimgekehrt.“
Ruth öffnete die Schachtel und sah hinein. „Ludwig“, sagte sie.
„Unnütze Dinge, weiter nichts!“ erklärte Kern schnell und verlegen. „Wie sagt Steiner? Sollen die meiste Wärme geben. Wollte es auch mal versuchen. Und nun setz ihn auf! Wir essen heute alle zusammen in einem Restaurant. Wie richtige Arbeiter mit Wochenlohn!“
Es war zehn Uhr abends. Steiner, Marill, Ruth und Kern saßen in der „Mère Margot“. Die Kellner begannen die Stühle zusammenzustellen und mit Reisigbesen und Wasser den Boden zu fegen. Die Katze an der Kasse dehnte sich und sprang herab.
Die Patronne schlief, fest in eine Strickjacke gewickelt. Nur ab und zu öffnete sie ein wachsames Auge.
„Ich glaube, man will uns hier herausschmeißen“, sagte Steiner und winkte dem Kellner. „Es wird auch Zeit. Wir müssen zu Edith Rosenfeld. Vater Moritz ist heute angekommen.“
„Vater Moritz?“ fragte Ruth. „Wer ist das?“
„Vater Moritz ist der Veteran der Emigranten“, erwiderte Steiner. „Fünfundsiebzig Jahre alt, kleine Ruth. Kennt alle Grenzen, alle Städte, alle Hotels, alle Pensionen und Privatquartiere, in denen man unangemeldet wohnen kann, und die Gefängnisse von fünf Kulturstaaten. Er heißt Moritz Rosenthal und stammt aus Godesberg am Rhein.“
„Dann kenn’ ich ihn“, sagte Kern. „Ich bin einmal mit ihm von der Tschechoslowakei nach Österreich gegangen.“
„Ich mit ihm von der Schweiz nach Italien“, sagte Marill.
Der Kellner brachte die Rechnung. „Ich habe mit ihm auch ein paar Grenzen gemacht“, sagte Steiner. „Haben Sie eine Flasche Kognak zum Mitnehmen?“ fragte er dann den Kellner. „Courvoisier? Zum Ladenpreis natürlich.“
„Einen Moment. Ich werde die Patronne fragen.“
Der Kellner ging zu der schlafenden Strickjacke hinüber. Sie öffnete ein Auge und nickte. Der Kellner kam zurück, holte eine Flasche von den Regalen und gab sie Steiner, der sie in die Seitentasche seines Mantels steckte.
In diesem Augenblick ging die Tür zur Straße auf, und eine schattenhafte Gestalt trat ein. Die Patronne fuhr sich über den Mund, gähnte und öffnete beide Augen.
Die Kellner machten ärgerliche Gesichter.
Der Mann, der hereingekommen war, ging schweigend wie ein Mondsüchtiger durch die ganze Wirtsstube zu dem großen Rost hinüber, an dem über glühenden Holzkohlen sich ein paar Brathühner am Spieß drehten.
Der Mann examinierte die Hühner mit Röntgenaugen. „Was kostet das da?“ fragte er dann den Kellner.
„Sechsundzwanzig Francs.“
„Und das da?“
„Sechsundzwanzig Francs.“
„Kosten alle sechsundzwanzig Francs?“
„Ja.“
„Warum sagen Sie mir das nicht gleich?“
„Weil Sie mich nicht gleich danach gefragt haben.“
Der Mann sah auf. Durch das Mondsüchtige brach einen Moment eine gesunde Wut durch. Dann deutete er auf das größte Huhn. „Geben Sie mir das da!“
Kern stieß Steiner an. Steiner saß aufmerksam da. Um seinen Mund zuckte es.
„Mit Salat, Bratkartoffeln, Reis?“ fragte der Kellner.
„Mit nichts. Mit Messer und Gabel. Geben Sie es her.“
„Das Poulet!“ sagte Kern leise. „Das alte Poulet, tatsächlich!“
Steiner nickte. „Er ist es! Das Poulet aus dem Gefängnis in Wien.“
Der Mann ließ sich an einem Tisch nieder. Er nahm seine Brieftasche heraus und überzählte sein Geld. Dann steckte er sie wieder fort und entfaltete feierlich die Serviette. Vor ihm prangte das gebratene Huhn. Der Mann hob die Hände wie ein Priester, als wolle er es segnen. Eine strahlende, wilde Genugtuung umschwebte ihn. Dann hob er es von der Schüssel auf seinen Teller hinüber.
„Wir wollen ihn nicht stören“, grinste Steiner leise. „Er hat sich sein Brathuhn sicher hart verdient.“
„Im Gegenteil, ich schlage vor, dass wir sofort flüchten!“ erwiderte Kern. „Ich habe ihn bisher zweimal erlebt. Beide Male im Gefängnis. Jedesmal war er verhaftet worden im Moment, wo er ein Brathuhn essen wollte. Danach muss die Polizei jede Sekunde kommen!“
Steiner lachte. „Dann aber los! Lieber bei der Silvesterfeier der vom Schicksal Enterbten als in der Polizeiwache der Präfektur!“
Sie brachen auf. An der Tür sahen sie sich noch einmal um. Das Poulet löste gerade einen braunen, knusprigen Schenkel vom Körper des Huhnes los, betrachtete ihn wie ein Pilger das Heilige Grab und biss andächtig, dann aber entschlossen und mit einer ungeheuren Gefräßigkeit hinein.
Edith Rosenfeld war eine zierliche, weißhaarige Frau von Sechsundsechzig Jahren. Sie war vor zwei Jahren mit sieben Kindern nach Paris gekommen. Sechs davon hatte sie untergebracht. Der älteste Sohn war als Arzt in den chinesischen Krieg gegangen, die älteste Tochter, die Philologin in Bonn gewesen war, hatte durch die Flüchtlingshilfe eine Stelle als Dienstmädchen in Schottland bekommen, der zweite Sohn hatte in Paris sein französisches Staatsexamen in Jura gemacht; als er keine Praxis fand, war er Kellner im Carlton Hotel in Cannes geworden, der dritte hatte sich in die Fremdenlegion gemeldet, der nächste war nach Bolivien ausgewandert, und die zweite Tochter lebte auf einer Orangenpflanzung in Palästina. Übriggeblieben war nur noch der jüngste Sohn. Für ihn suchte die Flüchtlingshilfe eine Möglichkeit, als Chauffeur nach Mexiko zu kommen.
Die Wohnung Edith Rosenfelds bestand aus zwei Zimmern – einem größeren für sie und einem kleinen, in dem der letzte Sohn, der Autofanatiker Max Rosenfeld, wohnte. Als Steiner, Marill, Kern und Ruth ankamen, waren schon ungefähr zwanzig Personen in den beiden Zimmern versammelt – alles Flüchtlinge aus Deutschland, einige mit, die meisten ohne Arbeitserlaubnis. Diejenigen, die es sich leisten konnten, hatten etwas zu trinken mitgebracht. Fast alle den billigen französischen Rotwein. Steiner und Marill saßen wie zwei Eckpfeiler dazwischen mit Kognak. Sie schenkten freigebig davon ein, um überflüssige Sentimentalität zu verhüten.
Moritz Rosenthal kam um elf Uhr. Kern kannte ihn kaum wieder. Er schien zehn Jahre älter geworden zu sein in kaum einem Jahr. Sein Gesicht war gelb, ohne einen Tropfen Blut, und er ging mühsam an einem Ebenholzstock mit einer altmodischen Elfenbeinkrücke.
„Edith, meine alte Liebe“, sagte er, „da bin ich wieder. Ich konnte nicht früher kommen. Ich war sehr müde.“
Er beugte sich nieder, um ihr die Hand zu küssen. Es gelang ihm nicht. Edith Rosenfeld stand auf. Sie war leicht wie ein Vogel. Sie hielt seine Hand und küsste ihn auf die Wange.
„Ich glaube, ich werde alt“, sagte Moritz Rosenthal. „Ich kann dir nicht mehr die Hand küssen. Du aber küsst mich furchtlos auf die Wange. Ja, wenn ich noch siebzig wäre!“
Edith Rosenfeld sah ihn an und lächelte. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie erschrocken sie darüber war, dass er so elend aussah. Und Moritz Rosenthal zeigte ihr nicht, dass er wusste, wie erschrocken sie war. Er war ruhig und heiter, und er war nach Paris gekommen, um zu sterben.
Er sah sich um. „Bekannte Gesichter“, sagte er. „Wer nirgendwo hingehört, trifft sich überall wieder. Sonderbare Geschichte! Steiner, wo war es doch das letztemal mit uns? In Wien, richtig! Und Marill! In Brissago und später Locarno, in Polizeihaft, nicht wahr? Und da ist auch Klassmann, der Sherlock Holmes von Zürich! Ja, mein Gedächtnis funktioniert immer noch einigermaßen. Und Waser! Brose! Und Kern aus der Tschechei! Meyer, der Freund der Carabinieri in Pallanza! Gott ja, Kinder, die alten schönen Zeiten! Jetzt geht’s nicht mehr so. Die Beine wollen nicht mehr.“
Er setzte sich umständlich hin. „Woher kommen Sie jetzt, Vater Moritz?“ fragte Steiner.
„Von Basel. Kinder, ich sage euch eins: meidet das Elsass! Seid vorsichtig in Straßburg und flieht vor Kolmar! Zuchthausatmosphäre. Matthias Grünewald und der Isenheimer Altar haben nichts vermocht. Drei Monate Gefängnis für illegale Einreise; jedes andere Gericht verurteilt höchstens zu fünfzehn Tagen. Beim zweitenmal sechs Monate. Und die Gefängnisse sind Zuchthäuser. Also meidet Kolmar und das Elsass, Kinder. Geht über Genf!“
„Wie ist Italien jetzt?“ fragte Klassmann.
Moritz Rosenthal nahm ein Glas Rotwein, das Edith Rosenfeld vor ihn hingestellt hatte. Seine Hände zitterten stark, als er es hob. Er schämte sich und stellte es wieder zurück. „Italien ist voll deutscher Agenten“, sagte er. „Nichts mehr für uns zu machen.“
„Und Österreich?“ fragte Waser.
„Österreich und die Tschechoslowakei sind Mausefallen. Frankreich ist das einzige Land, das übriggeblieben ist für uns in Europa. Seht zu, dass ihr hier bleibt.“
„Hast du etwas von Mary Altmann gehört, Moritz?“ fragte Edith Rosenfeld nach einer Weile. „Sie war zuletzt in Mailand.“
„Ja. Sie ist jetzt in Amsterdam als Dienstmädchen. Ihre Kinder sind in einem Emigrantenheim in der Schweiz. In Locarno, glaube ich. Ihr Mann ist in Brasilien.“
„Hast du sie schon gesprochen?“
„Ja, kurz vor ihrer Abreise in Zürich. Sie war überglücklich, dass alle untergebracht sind.“
„Wissen Sie etwas von Josef Fessler?“ fragte Klassmann. „Er wartete in Zürich auf eine Aufenthaltserlaubnis.“
„Fessler hat sich mit seiner Frau erschossen“, erwiderte Moritz Rosenthal so ruhig, als erzählte er etwas über Bienenzucht. Er sah Klassmann nicht an. Er blickte auf die Tür. Klassmann antwortete nicht. Auch niemand von den andern. Es war nur einen Moment still. Jeder tat, als habe er nichts gehört.
„Haben Sie Josef Friedmann irgendwo getroffen?“ fragte Brose.
„Nein, aber ich weiß, dass er in Salzburg im Gefängnis ist. Sein Bruder ist nach Deutschland zurückgegangen. Er soll jetzt in einem Schulungs-Konzentrationslager sein.“
Moritz Rosenthal nahm sein Glas mit beiden Händen, vorsichtig wie einen Pokal, und trank langsam.
„Was macht eigentlich der Minister Althoff?“ fragte Marill.
„Dem geht es glänzend. Er ist Taxichauffeur in Zürich geworden. Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis.“
„Natürlich!“ sagte der Kommunist Waser.
„Und Bernstein?“
„Bernstein ist in Australien. Sein Vater in Ostafrika. Max May hat besonderes Glück gehabt; er ist Assistent eines Zahnarztes in Bombay geworden. Schwarz natürlich, aber er hat zu essen. Löwenstein hat alle englischen Anwaltsexamina nachgemacht und ist jetzt Advokat in Palästina. Der Schauspieler Hansdorff ist am Staatstheater in Zürich. Storm hat sich erhängt. Kanntest du den Regierungsrat Binder in Berlin, Edith?“
„Ja.“
„Er hat sich scheiden lassen. Der Karriere wegen. Er war mit einer Oppenheimer verheiratet. Die Frau hat sich mit ihren beiden Kindern vergiftet.
Moritz Rosenthal dachte eine Zeitlang nach. „Das ist ungefähr alles, was ich weiß“, sagte er dann. „Die andern irren umher wie immer. Es sind nur noch viel mehr geworden.“
Marill schenkte sich einen Kognak ein. Er benutzte ein Wasserglas dazu, das die Aufschrift trug: Gare de Lyon. Es war eine Erinnerung an seine erste Verhaftung, und er schleppte es immer mit sich herum. Er trank das Glas mit einem Ruck aus. „Eine aufschlussreiche Chronik!“ erklärte er dann. „Es lebe die Vernichtung des Individuums! Bei den alten Griechen war Denken eine Auszeichnung. Dann wurde es ein Glück. Später eine Krankheit. Heute ist es ein Verbrechen. Die Geschichte der Kultur ist die Leidensgeschichte derer, die sie schufen.“
Steiner grinste ihn an. Marill grinste zurück. Im selben Augenblick begannen draußen die Glocken zu läuten. Steiner blickte in die Gesichter rundum – die vielen kleinen Schicksale, die vom Wind des Schicksals hierher zusammengeweht worden waren —, und er hob sein Glas. „Vater Moritz!“ sagte er. „König der Wanderer, letzter Nachkomme Ahasvers, ewiger Emigrant, sei uns gegrüßt! Weiß der Teufel, was dieses Jahr uns bringen wird! Es lebe die unterirdische Brigade! Solange man da ist, ist nichts verloren!“
Moritz Rosenthal nickte. Er hob sein Glas Steiner entgegen und trank. Im Hintergrund des Zimmers lachte jemand. Dann wurde es still. Alle sahen sich mit verlegenen Gesichtern an, als seien sie auf etwas Verbotenem ertappt worden. Von draußen auf der Straße kamen Rufe. Feuerwerk knallte. Taxis hupten lärmend vorüber. Auf einem Balkon des Hauses gegenüber brannte ein kleiner Mann in Weste und Hemdsärmeln eine Schale mit Grünfeuerpulver ab. Die ganze Front leuchtete auf. Das grüne Licht blendete in das Zimmer Edith Rosenfelds hinein und machte es unwirklich – als wäre es nicht mehr ein Raum in einem Hotel in Paris, sondern eine Kabine in einem versunkenen Schiff, tief unter Wasser.
Die Schauspielerin Barbara Klein saß in einer Ecke an einem Tisch in der Katakombe. Es war spät, und nur zwei elektrische Birnen über den Durchgangstüren brannten noch. Sie saß in einem Sessel vor einem Palmenarrangement, und wenn sie sich zurücklehnte, griffen die Palmblätter wie starre Hände in ihr Haar. Sie fühlte es jedesmal und zuckte mit dem Kopf – aber sie hatte nicht mehr die Kraft, aufzustehen und sich anderswo hinzusetzen.
Von der Küche her kam der Lärm von Geschirr und die jammernde Akkordeonmusik eines Radios. Station Toulouse, dachte Barbara Klein. Station Toulouse. Ein neues Jahr. Ich bin müde. Station Toulouse. Ich will nicht mehr leben. Station Toulouse. Was wussten sie alle davon, wie müde man sein konnte.
Ich bin nicht betrunken, dachte sie. Meine Gedanken sind nur schon langsamer. Langsam wie die Fliegen im Winter, in denen der Tod wächst. Er wächst wie ein Baum in mir. Er wächst wie ein Baum von Adern, die allmählich erfrieren. Jemand hat mir ein Glas Kognak gegeben. Der, den sie Marill nennen, oder der andere, der dann weggegangen ist. Ich sollte warm sein. Aber ich bin nicht einmal kalt. Ich fühle mich nur nicht mehr.
Sie saß da und sah wie durch eine Glaswand jemand auf sich zukommen. Er kam näher, und sie sah ihn nun genauer; aber es war immer noch Glas dazwischen. Sie erkannte ihn jetzt; es war der, der neben ihr gesessen hatte im Zimmer von Edith Rosenfeld. Er hatte ein scheues, undeutliches Gesicht mit großen Brillengläsern und einem verzogenen Mund gehabt und unruhige Hände und er hinkte – aber jetzt hinkte er durch das Glas und hinter ihm schlug es weich und schillernd wieder zusammen wie ein Gelee aus flüssigem Glas.
Es dauerte lange, ehe sie etwas von dem verstand, was er sagte. Sie sah ihn weggehen mit seinem hinkenden Gang, als schwimme er, und sie sah ihn wiederkommen und neben sich sitzen, und sie trank, was er ihr gab, und sie fühlte nicht, dass sie es schluckte. In ihren Ohren war ein sanftes Brausen und dazwischen die Stimme, Worte, nutzlose, sinnlose Worte, weither, von einem anderen Ufer. Und dann war es plötzlich kein Mensch mehr, heiß, flekkig und unruhig, der vor ihr war – es war nur noch irgend etwas Armseliges, sich Bewegendes, etwas Verprügeltes, Flehendes, es waren nur noch gehetzte, verlangende Augen, irgendein Tier, gefangen in dieser Einsamkeit aus Glas und Station Toulouse und fremder Nacht.
„Ja“, sagte sie, „ja…“
Sie wollte, dass er ginge und sie allein ließe, nur einen Augenblick noch, ein paar Minuten, ein kleines Stück von der langen Ewigkeit, die vor ihr lag – doch da stand er schon auf und stand vor ihr und beugte sich herunter und nahm ihren Arm und zog sie hoch und zog sie fort, und sie watete durch den Glasschlamm und folgte, und dann kamen die Treppen, die weich waren und mit den Zähnen ihrer Stufen nach ihren Beinen schnappten, und Türen und Helligkeit und ein Zimmer.
Sie saß auf ihrem Bett. Sie hatte das Gefühl, nie wieder aufstehen zu können. Ihre Gedanken fielen auseinander. Es schmerzte nicht. Es war nur ein lautloses Auseinanderfallen, wie überreife Früchte fallen, nachts in der Stille des Herbstes von einem regungslosen Baum. Sie beugte sich vor, sie sah auf den abgetretenen Läufer, als müsste sie daliegen, und dann hob sie den Kopf, und jemand sah sie an.
Es waren fremde Augen, unter weichem Haar, es war ein schmales, fremdes Gesicht, vorgeneigt, wie eine Maske, und dann war es ein kühler Schauder und ein Erbeben und ein Erwachen von weit her, und sie sah, dass es ihr Gesicht war, das sie aus dem Spiegel anblickte.
Sie rührte sich. Und dann sah sie den Mann, der neben ihrem Bett kniete, in einer sonderbar lächerlichen Haltung, und ihre Hände hielt.
Sie zog die Hände weg. „Was wollen Sie?“ fragte sie heftig. „Was wollen Sie von mir?“
Der Mann starrte sie an. „Aber Sie haben mir doch… Sie haben mir doch gesagt, ich könne mitkommen…“ Sie wurde schon wieder müde. „Nein…“, sagte sie. „Nein…“
Die Worte kamen wieder. Worte von Unglück und Jammer und Einsamkeit und Leiden. Worte, viel zu große Worte, aber gab es denn kleine für das Kleine, das einen zerrieb und zerschliß? Und dass er morgen fort müsse, und dass noch nie eine Frau dagewesen sei, und Angst nur und das Gebrechen, das ihn lähme und scheu und lächerlich mache, ein zerschlagener Fuß, nur ein Fuß, und die Verzweiflung und die Hoffnung, gerade heute nacht, sie habe ihn doch immer angesehen und er habe geglaubt…
Hatte sie ihn angesehen? Sie wusste es nicht. Sie wusste jetzt nur, dass dieses ihr Zimmer war und dass sie nie mehr hinausgehen würde, und dass alles andere ein Nebel war und weniger.
„Es würde ein anderes Leben für mich sein!“ flüsterte der Mann neben ihren Knien. „Alles würde anders für mich sein… verstehen Sie das doch! Nicht mehr sich ausgestoßen fühlen…“
Sie verstand nichts. Sie sah wieder in den Spiegel. Das war Barbara Klein, eine Schauspielerin, vorgebeugt, achtundzwanzig Jahre alt, unberührt ein Leben lang, aufbewahrt für einen Traum, der nie gekommen war, und nun ohne Hoffnung und am Ende.
Sie stand vorsichtig auf. Sie ließ das Bild im Spiegel nicht aus dem Auge. Sie sah es an. Sie lächelte ihm zu, und einen Augenblick flackerte etwas wie Ironie und ein makabrer Spott hindurch. „Ja“, sagte sie müde. „Ja… gut…“
Der Mann verstummte. Er starrte sie fast ungläubig an. Sie achtete nicht darauf. Alles war plötzlich zu schwer. Das Kleid drückte wie ein Panzer. Sie ließ es. fallen. Sie ließ sich selbst fallen, die schweren Schuhe, den schweren, schmalen Körper, und das Bett wuchs und wurde riesig und nahm sie in seine Arme, das weiche, weiße Grab…
Sie hörte einen Schalter knipsen und das Rascheln von Kleidern. Sie öffnete mit Mühe die Augen. Es war dunkel. „Licht!“ sagte sie in das Kissen hinein. „Das Licht soll brennen!“
„Einen Augenblick! Bitte nur einen Moment noch!“ Die Stimme des Mannes war verlegen und hastig. „Es ist nur… bitte, verstehen Sie…“
„Das Licht soll brennen bleiben…“, wiederholte sie. „Ja, gewiss… sofort… nur…“
„Es ist noch so lange dunkel dann…“, murmelte sie.
„Ja… ja, gewiss… die Nächte im Winter sind lang…“
Sie hörte den Schalter klicken. Das Licht war wieder auf ihren geschlossenen Augenlidern, eine sanfte rote Dämmerung. Dann fühlte sie den anderen Körper. Eine Sekunde zog sich alles in ihr zusammen – dann ließ sie sich los. Es würde vorübergehen, wie alles…
Sie öffnete langsam wieder die Augen. Ein Mensch, den sie nicht kannte, stand vor ihrem Bett. Sie hatte eine Erinnerung gehabt an etwas Unruhiges, Flehendes, Elendes… aber das, was sie jetzt sah, war ein heißes, offenes Gesicht, das überflackert war von Zärtlichkeit und Glück.
Sie sah ihn einen Augenblick an. „Sie müssen jetzt gehen“, sagte sie dann. „Bitte, gehen Sie…“
Der Mann machte eine Bewegung. Dann kamen die Worte wieder, schnelle, sprudelnde Worte. Sie verstand anfangs nichts. Es war zu schnell, und sie war zu ausgelöscht. Sie wollte nur, dass er jetzt ging. Dann verstand sie etwas – dass er verzweifelt und kaputt gewesen sei und es nun nicht mehr wäre. Und dass er wieder Mut hätte, gerade jetzt, wo er ausgewiesen sei aus Frankreich…
Sie nickte. Er sollte aufhören zu sprechen. „Bitte“, sagte sie.
Er schwieg.
„Sie müssen jetzt gehen“, sagte sie.
„Ja…“
Sie lag zerschlagen unter der Decke. Ihre Augen folgten dem Manne, der zur Tür ging. Er war der letzte Mensch, den sie sehen würde. Sie lag sehr still, in einem sonderbaren Frieden – es ging sie alles nichts mehr an.
Der Mann blieb an der Tür stehen. Er zögerte und wartete eine Weile. Dann wendete er sich ihr zu. „Sag mir noch etwas“, sagte er. „Hast du… hast du es nur so getan… aus… mehr aus Mitleid… oder…“
Sie sah ihn an. Der letzte Mensch. Das letzte Stück Leben. „Nein…“, sagte sie mit großer Anstrengung.
„Nicht aus Mitleid?“
„Nein.“
Der Mann an der Tür erstarrte. Er war atemlose Erwartung. „Was…?“ fragte er so leise, als fürchte er abzustürzen.
Sie sah ihn immer noch an. Sie war sehr ruhig. Das letzte bisschen Leben. „Liebe…“, sagte sie.
Der Mann an der Tür schwieg. Er wirkte, als hätte er einen Keulenschlag erwartet und wäre in eine Umarmung getaumelt. Er bewegte sich nicht und schien doch zu wachsen. „Mein Gott!“ sagte er.
Sie hatte plötzlich Angst, er würde wieder zurückkommen. „Du musst nun gehen“, sagte sie. „Ich bin sehr müde…“
„Ja…“
Sie hörte nicht mehr, was er sagte. Sie fühlte die Erschöpfung und schloss die Augen. Dann war die Tür wieder da, blank und leer, und sie war allein und hatte ihn vergessen.
Sie blieb eine Zeitlang still liegen. Sie sah ihr Gesicht im Spiegel und lächelte ihm zu… sehr müde und zärtlich. Ihr Kopf war ganz klar jetzt. Barbara Klein, dachte sie. Schauspielerin. Am Neujahrstage gerade. Schauspielerin. Aber war nicht ein Tag wie der andere? Sie sah ihre Uhr auf dem Nachttisch. Sie hatte sie morgens aufgezogen. Die Uhr würde noch eine Woche lang ticken. Sie sah den Brief daneben. Den schrecklichen Brief, in dem der Tod war.
Sie nahm die kleine Rasierklinge aus der Schublade. Sie nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und zog die Decke über sich. Es tat nicht sehr weh. Die Wirtin würde schimpfen morgen. Aber sie hatte nichts anderes. Sie hatte kein Veronal. Sie drückte das Gesicht in das Kissen. Es wurde dunkler. Dann kam es wieder. Weit weg Radio Toulouse. Näher und näher. Ein blasses Dröhnen. Ein Trichter, in den man rutscht. Schneller und schneller. Und dann der Wind…