Der Schwäher Kriemhildens ging hin wo er sie fand:
Da sprach er zu der Königin: “Lasst uns in unser Land:
Wir sind unliebe Gäste, wähn ich, hier am Rhein.
Kriemhild, liebe Fraue, nun folgt uns zu dem Lande mein. (1105)
“Dass man in diesen Landen uns so beraubet hat
Eures edeln Mannes durch böslichen Verrat,
Ihr sollt es nicht entgelten: Getreu will ich euch sein.
Aus Liebe meines Sohnes und des edeln Kindes sein. (1106)
Ihr sollt auch, Fraue, herrschen mit aller der Gewalt,
Die Siegfried euch verliehen, der Degen wohlgestalt.
Das Land und auch die Krone sei euch untertan:
Euch sollen gerne dienen die Degen in Siegfrieds Bann.” (1107)
Dass man reiten wollte, den Knechten wards gesagt:
Da sah man nach den Rossen eine schnelle Jagd;
Sie mochten ungern leben in der starken Feinde Land.
Fraun und Maide suchten hervor ihr Reisegewand. (1108)
Als König Siegmund gerne wäre weg geritten,
Da begann Kriemhilden die Mutter zu bitten,
Sie sollte bei den Freunden im Lande doch bestehn.
Da sprach die Freudenarme: “Das kann schwerlich geschehn: (1109)
Wie vermöcht ichs, mit den Augen den immer anzusehn,
Von dem mir armen Weibe so großes Leid geschehn?”
Da sprach der junge Geiselher: “Liebe Schwester mein,
Du sollst bei deiner Treue hier bei deiner Mutter sein. (1110)
Die dir das Herz beschwerten und trübten deinen Mut,
Du bedarfst nicht ihrer Dienste, du zehrst von meinem Gut.”
Sie sprach zu dem Recken: “Das kann ja nicht geschehn:
Vor Leide müsst ich sterben, wenn ich Hagen sollte sehn.” (1111)
“Der soll dir nicht begegnen, viel liebe Schwester mein.
Du sollst bei Geiselheren, deinem Bruder sein;
Ich will die wohl vergüten deines Mannes Tod.”
Da sprach die Freudenarme: “Das täte Kriemhilden Not.” (1112)
Als er ihr der Junge so gütlich erbot,
Da begannen auch zu flehen Ute und Gernot
Und ihre treuen Freunde, sie möchte da bestehn:
Sie habe wenig Sippen unter Siegfriedens Lehn. (1113)
“Sie sind euch alle fremde;” sprach da Gernot,
“Wie stark auch einer gelte, so rafft ihn doch der Tod.
Bedenkt das, liebe Schwester und tröstet euern Mut:
Bleibt hier bei euern Freunden, es gerät euch sicher gut.” (1114)
Sie gelobt' es Geiselheren, sie wolle da bestehn.
Da brachte man die Rosse denen in Siegmunds Lohn,
Als sie reiten wollten nach Nibelungenland;
Da war auch aufgesäumt der Recken Zeuch und Gewand. (1115)
Da ging König Siegmund vor Kriemhilde stehn
Und sprach zu der Fraue: “Die in Siegfrieds Lehn
Warten bei den Rossen: Reiten wir denn hin,
Da ich gar so ungern hier bei den Burgonden bin.” (1116)
Da sprach Frau Kriemhilde: “Mir raten Freunde mein,
Die besten die ich habe, bei ihnen soll ich sein.
Ich habe wenig Freunde in Nibelungenland.”
Leid tat es Siegmunden, da ers an Kriemhilden fand. (1117)
Da sprach König Siegmund: Das lasst euch niemand sagen:
Vor allen meinen Freunden sollt ihr die Krone tragen
Nach rechter Königswürde, wie ihr sonst getan:
Ihr sollt es nicht entgelten, dass ihr verloren habt den Mann. (1118)
“Fahrt auch mit uns zur Heimat um euer Kindelein:
Das sollt ihr keine Waise, Fraue, lassen sein.
Ist euer Sohn erwachsen, der tröstet euch den Mut;
Derweilen soll euch dienen mancher Degen kühn und gut.” (1119)
Da sprach sie: “Herr Siegmund, ich kann nicht mit euch gehn,
Ich muss hier verbleiben, mag was da will geschehn,
Bei meinen Anverwandten, die mir helfen klagen.”
Da wollten diese Mären den guten Recken nicht behagen. (1120)
Sie sprachen einhellig: “So möchten wir gestehn,
Es sei in dieser Stunde uns erst ein Leid geschehn.
Wollt ihr nun hier im Lande bei unsern Feinden sein,
So könnte Heiden niemals eine Hoffahrt übler gedeihn.” (1121)
“Ihr sollt ohne Sorge Gott befohlen fahren:
Man gibt euch gut Geleite, ich lass euch wohl bewahren
Bis zu euerm Lande; mein liebes Kindelein,
Das soll euch guten Recken auf Gnade befohlen sein.” (1122)
Als sie das recht vernahmen, sie wolle nicht von dann,
Da weinten all die Degen in Siegmundens Bann.
Mit welchem Herzensjammer nahm da Siegmund
Urlaub von Kriemhilden! Da ward ihm Unfreude kund. (1123)
“Weh dieses Hofgelages!”, sprach der König hehr:
“Einem Fürsten und den seinen geschieht wohl nimmermehr
Einer Kurzweil willen, was uns hier ist geschehn:
Man soll uns nimmer wieder hier bei den Burgonden sehn.” (1124)
Da sprachen laut die Degen in Siegfriedens Lehn:
“Wohl möchte noch die Reise in dieses Land geschehn,
Wenn wir den nur fänden, der uns den Herrn erschlug:
Sie haben starker Feinde bei seinen Freunden genug.” (1125)
Er küsste Kriemhilden; jammernd sprach er da,
Als er daheim zu bleiben sie so entschlossen sah:
“Wir reiten arm an Freuden nun heim in unser Land.
Alle meine Sorgen sind wir erst jetzo bekannt.” (1126)
Sie ritten ungeleitet von Wormes überrhein.
Sie mochten voll Vertrauens in ihrem Mute sein.
Würden sie von jemand in Feindschaft angerannt,
Dass sich wohl wehren sollte der kühnen Nibelungen Hand. (1127)
Sie beurlaubten bei niemanden sich.
Da sah man Geiselheren und Gernot minniglich
Zu dem Degen kommen; ihnen war sein Schade leid:
Das ließen ihn wohl schauen die kühnen Helden allbereit. (1128)
Da sprach wohl gezogen zu ihm Herr Gerenot:
“Wohl weiß es Gott im Himmel, an Siegfriedens Tod
Bin ich ganz unschuldig: Ich hört auch niemals sagen,
Wer ihm feind hier wäre: Ich muss ihn billig beklagen.” (1129)
Da gab ihm gut Geleite Geiselher das Kind.
Da bracht er ohne Sorgen, die sonst bei Leide sind,
Den König und die Recken heim nach Niederland;
Wie wenig der Verwandten man dort fröhlich wieder fand! (1130)
Wie's ihnen nun ergangen, weiß ich nicht zu sagen
Man hörte Kriemhilden zu allen Zeiten klagen,
Dass ihr Niemand tröstete das Herz noch den Mut,
Außer Geiselheren; der war getreu und auch gut. (1131)
Brunhild die schöne des Übermutes pflag:
Wie viel Kriemhilde weinte, was fragte sie darnach!
Sie war zu Lieb und Treue ihr nimmermehr bereit:
Bald schuf auch ihr Kriemhilde noch viel schweres Herzeleid. (1132)