First published in the German language as “Drei Kameraden” by Erich Maria Remarque
© 1964, 1991, 1998 by Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Cologne/Germany
© Издательско-полиграфический центр КАРО, 2013
До тех пор, пока мир будет таким, каков он есть, роман «Три товарища», как и другие антивоенные романы Эриха Марии Ремарка, будет актуален.
Люди не перестают воевать, и жертвой становится молодое поколение, которое посылают на войну под всевозможными патриотическими лозунгами.
Те, кто не погибает на фронте, возвращаются домой морально опустошенными, утратившими былые идеалы и надежды на будущее, – становятся «потерянным поколением» (“die verlorene Generation”). Так было после двух мировых войн, так происходит и в наши дни.
Возвратившись домой, бывшие солдаты не могут осуществить довоенные планы и мечты, часто не находят своего места в мирной жизни. Главное и, пожалуй, единственное, во что они верят и что у них остается – это фронтовое товарищество, фронтовые друзья – Kameraden, которые всегда поймут, придут на помощь, не предадут.
Роман «Три товарища» рассказывает о послевоенной жизни людей, прошедших в юности мировую войну, об их попытках найти свое место в мирной жизни, об их взаимовыручке и любви одного из них, Роберта Локампа, к девушке по имени Патриция (Пат). Можно сказать, что это, в первую очередь, роман о любви, которая для молодого человека, прошедшего войну и душевно покалеченного, значит так много.
Роман написан от первого лица (Ich – Erzähler); по способу развития сюжета, охвату и оценке событий – это роман от первого лица множественного числа, потому что каждый из трех товарищей ощущает себя частью единого «мы».
Язык романа не сложен, важное место в нем занимает диалог.
Роман издается с сокращениями, не затрагивающими основную сюжетную линию.
Постраничный комментарий содержит пояснение иноязычной лексики, реалий, ряда фразеологических единиц, отступлений от литературной нормы и авторских сложных слов.
Der Himmel war gelb wie Messing und noch nicht verqualmt vom Rauch der Schornsteine. Hinter den Dächern der Fabrik leuchtete er sehr stark. Die Sonne musste gleich aufgehen. Ich sah nach der Uhr. Es war noch vor acht. Eine Viertelstunde zu früh.
Ich schloss das Tor auf und machte die Benzinpumpe fertig. Um diese Zeit kamen immer schon ein paar Wagen vorbei, die tanken wollten.
Merkwürdiges Gefühl, so ein Geburtstag, auch wenn man sich nichts draus machte. Dreißig Jahre – es hatte eine Zeit gegeben, da glaubte ich, nie zwanzig werden zu können, so weit weg erschien mir das.
Und dann —
Ich zog einen Briefbogen aus dem Fach und fing an zu rechnen. Die Kinderzeit, die Schule, – das war ein Komplex, fern, irgendwo, schon nicht mehr wahr; Das richtige Leben begann erst 1916. Da war ich gerade Rekrut geworden, dünn, hochgeschossen, achtzehn Jahre alt, und übte nach dem Kommando eines schnauzbärtigen Unteroffiziers auf den Sturzäckern hinter der Kaserne Hinlegen und Aufstehen.
1917. Flandern. Middendorf und ich hatten in der Kantine eine Flasche Rotwein gekauft. Damit wollten wir feiern. Aber wir kamen nicht dazu. Frühmorgens fing das schwere Feuer der Engländer an. Köster wurde mittags verwundet, Meyer und Deters fielen nachmittags. Und abends, als wir schon glaubten Ruhe zu haben und die Flasche aufmachten, kam Gas und quoll in die Unterstände. Wir hatten zwar rechtzeitig die Masken auf, aber die von Middendorf war kaputt. Als er es merkte, war es zu spät. Bis sie abgerissen und eine neue gefunden war, hatte er schon zu viel Gas geschluckt und brach bereits Blut. Er starb am nächsten Morgen, grün und schwarz im Gesicht. Sein Hals war ganz zerrissen, – so hatte er mit den Nägeln versucht ihn aufzukratzen um Luft zu kriegen.
1918. Das war im Lazarett. Neben mir lag Josef Stoll. Er hatte keine Beine mehr, aber er wusste es noch nicht. Er hätte es auch nicht geglaubt, denn er spürte Schmerzen in den Füßen.
1919. Wieder zu Hause. Revolution. Hunger. Draußen immerfort Maschinengewehrgeknatter. Soldaten gegen Soldaten. Kameraden gegen Kameraden.
1920. Putsch. Karl Bröger erschossen. Köster und Lenz verhaftet. Meine Mutter im Krankenhaus. Krebs im letzten Stadium.
1921 —
Ich dachte nach. Ich wusste es nicht mehr. Das Jahr fehlte einfach. 1922 war ich Bahnarbeiter in Thüringen gewesen, 1923 Reklamechef einer Gummifabrik. Das war in der Inflation. Zweihundert Billionen Mark hatte ich monatlich verdient. Zweimal am Tage gab es Geld und hinterher jedesmal eine halbe Stunde Urlaub, damit man in die Läden rasen und etwas kaufen konnte, bevor der nächste Dollarkurs rauskam; – dann war das Geld nur noch die Hälfte wert. Und dann? Die Jahre darauf? Ich legte den Bleistift hin. Hatte keinen Zweck, das alles nachzurechnen. Meinen letzten Geburtstag hatte ich im Cafe International gefeiert. Da war ich ein Jahr lang Stimmungspianist gewesen. Dann hatte ich Köster und Lenz wieder getroffen. Und jetzt saß ich hier in der Aurewe: – AutoReparatur-Werkstatt Köster und Co. Der Co. waren Lenz und ich, aber die Werkstatt gehörte eigentlich Köster allein. Er war früher unser Schulkamerad und unser Kompagnieführer gewesen; dann Flugzeugführer, später eine Zeitlang Student, dann Rennfahrer, – und schließlich hatte er die Bude hier gekauft. Erst war Lenz, der sich einige Jahre in Südamerika herumgetrieben hatte, dazugekommen; – dann ich.
Ich nahm eine Zigarette aus der Tasche. Eigentlich konnte ich ganz zufrieden sein. Es ging mir nicht schlecht, ich hatte Arbeit, ich war kräftig, ich wurde nicht leicht müde, ich war heil, wie man das so nennt; – aber es war doch besser, nicht allzuviel darüber nachzudenken.
Draußen quietschte das Tor. Ich zerriss den Zettel mit den Daten meines Lebens und warf ihn in den Papierkorb. Die Tür flog auf. Gottfried Lenz stand im Rahmen, lang, mager, mit strohblonder Mähne und einer Nase, die für einen ganz andern Mann gepasst hätte. „Robby”, brüllte er, „alter Speckjäger, steh auf und nimm die Knochen zusammen! Deine Vorgesetzten wollen mit dir reden!”
„Herrgott!” Ich stand auf. „Ich habe gehofft, ihr hättet nicht dran gedacht! Macht’s gnädig, Kinder!”
„Das könnte dir so passen!” Gottfried legte ein Paket auf den Tisch, in dem es mächtig klirrte. Köster kam hinter ihm drein. Lenz baute sich vor mir auf. „Robby, was ist dir heute morgen zuerst begegnet?”
Ich dachte nach. „Ein tanzendes, altes Weib.”
„Heiliger Moses! Ein schlechtes Vorzeichen! Passt aber zu deinem Horoskop. Habe es gestern gestellt. Du bist ein Kind des Schützen, unzuverlässig, schwankend, ein Rohr im Winde, mit verdächtigen Saturntrigonen und einem lädierten Jupiter in diesem Jahr. Da Otto und ich Vater und Mutterstelle an dir vertreten, überreiche ich dir deshalb als erster etwas zum Schutz. Nimm dieses Amulett! Eine Nachkommin der Inkas hat es mir dereinst überlassen.
Er hängte mir eine kleine schwarze Figur an einer dünnen Kette um den Hals. „So! Das ist gegen die höhere Misere, – gegen die tägliche hier: sechs Flaschen Rum von Otto! Doppelt so alt wie du!”
Er öffnete das Paket und stellte die Flaschen einzeln in die Morgensonne. Sie schimmerten wie Bernstein. „Sieht wunderbar aus”, sagte ich.
Jetzt können wir getrost an unser Tagewerk gehen und dem alten Cadillac die Eingeweide ölen – ”
Wir arbeiteten, bis es dämmerig wurde. Dann wuschen wir uns und zogen uns um. Lenz sah begehrlich zu der Flaschenreihe hinüber.
„Wollen wir einer den Hals brechen?”
„Das muss Robby entscheiden”, sagte Köster. „Es ist nicht fein, Gottfried, dem Beschenkten so plump mit dem Zaunpfahl zu winken.”
„Noch weniger fein ist es, die Schenker verdursten zu lassen”, erwiderte Lenz und machte eine Flasche auf.
Der Geruch verbreitete sich sofort durch die ganze Werkstatt.
„Heiliger Moses”, sagte Gottfried.
Wir schnupperten alle. „Phantastisch, Otto. Man muss schon in die hohe Poesie gehen, um da würdige Vergleiche zu finden.”
„Zu schade für die dunkle Bude hier!” entschied Lenz. „Wisst ihr was? Wir fahren raus, essen irgendwo zu Abend und nehmen die Flasche mit. In Gottes freier Natur wollen wir sie aussaufen!”
„Glänzend.”
Wir schoben den Cadillac beiseite, an dem wir nachmittags gearbeitet hatten. Hinter ihm stand ein sonderbares Ding auf Rädern. Es war der Rennwagen Otto Kösters, der Stolz der Werkstatt.
Köster hatte den Wagen, eine hochbordige, alte Kiste, seinerzeit auf einer Auktion für ein Butterbrot gekauft. Fachleute, die ihn damals sahen, bezeichneten ihn ohne Zögern als interessantes Stück für ein Verkehrsmuseum. Der Konfektionär Bollwies, Besitzer einer Damenmäntelfabrik und Rennamateur, riet Otto eine Nähmaschine daraus zu machen. Aber Köster kümmerte sich nicht darum. Er zerlegte den Wagen wie eine Taschenuhr und arbeitete Monate hindurch bis in die Nächte daran herum. Eines Abends erschien er dann mit ihm vor der Bar, in der wir gewöhnlich saßen. Bollwies fiel vor Lachen fast um, als er ihn wieder erblickte, so komisch sah er immer noch aus. Um einen Witz zu machen, bot er Otto eine Wette an. Er wollte zweihundert Mark gegen zwanzig setzen, wenn Köster ein Rennen gegen seinen neuen Sportwagen annähme; – Strecke zehn Kilometer, ein Kilometer Vorgabe für Ottos Wagen. Köster nahm die Wette an. Alles lachte und versprach sich einen Riesenspaß. Aber Otto tat noch mehr; er lehnte die Vorgabe ab und erhöhte die Wette mit unbewegter Miene auf tausend Mark gegen tausend Mark. Bollwies fragte ihn entgeistert, ob er ihn in eine Irrenanstalt bringen solle. Köster ließ als Antwort nur seinen Motor an. Beide brachen daraufhin sofort auf, um die Sache auszutragen. Bollwies kam nach einer halben Stunde so verstört zurück, als hätte er die Seeschlange gesehen. Schweigend schrieb er den Scheck aus und einen zweiten dazu. Er wollte die Maschine jetzt auf der Stelle kaufen. Aber Köster lachte ihn aus. Er hätte sie für kein Geld der Erde mehr hergegeben. Doch so tadellos der Wagen nun innen auch war, – von außen sah er immer noch wüst aus. Wir hätten das alles besser machen können; – aber wir hatten einen Grund, es nicht zu tun.
Der Wagen hieß Karl. Karl, das Chausseegespenst.
Karl schnob die Chaussee entlang.
„Otto” sagte ich, „da kommt ein Opfer.”
Hinter uns hupte ungeduldig ein schwerer Buick. Er holte rasch auf. Bald lagen die Kühler nebeneinander. Der Mann am Steuer sah lässig herüber. Sein Blick streifte von oben herab den ruppigen Karl. Dann wendete er sich ab und hatte uns schon vergessen.
Ein paar Sekunden später musste er feststellen, dass Karl sich immer noch auf gleicher Höhe mit ihm befand. Er rückte sich etwas zurecht, blickte uns amüsiert an und gab Gas. Aber Karl wankte nicht. Wie ein Terrier neben einer Dogge hielt er sich weiter klein und flink neben der strahlenden Lokomotive aus Nickel und Lack.
Ein paar Minuten später blinzelte Köster uns zu. Karl verlor unmerklich an Tempo, und der Buick rückte langsam vor. Seine breiten, blinkenden Kotflügel drückten sich an uns vorbei. Allmählich gewann er ungefähr zwanzig Meter, – da erschien auch schon, wie wir es erwartet hatten, das Gesicht des Besitzers im Fenster und grinste offenen Triumph. Er glaubte, gewonnen zu haben.
Aber der Mann tat noch ein übriges. Er winkte uns zu doch nachzukommen. „Otto!” sagte Lenz mahnend.
Aber er brauchte nichts zu sagen. Karl machte im selben Moment schon einen Sprung. Und plötzlich verschwand die winkende Hand im Fenster – denn Karl folgte der Aufforderung; er kam. Unschuldig fragend schauten wir hinauf zu dem Mann am Steuer; wir wollten gerne wissen, weshalb er uns gewinkt hatte. Doch der sah krampfhaft nach der anderen Seite und Karl zog jetzt erst mit vollem Gas davon…
„Gut gemacht, Otto”, sagte Lenz zu Köster. „Dem Mann wird sein Abendbrot nicht schmecken.”
Diese Jagden waren der Grund, weshalb wir Karls Karosserie nicht änderten.
Lenz behauptete, Karl wirke erzieherisch. Er lehre die Leute Ehrfurcht vor dem Schöpferischen, das immer in einer unscheinbaren Hülle stecke.
Wir hielten vor einem kleinen Gasthaus und kletterten aus dem Wagen.
Lenz stürzte dem Geruch nach ins Haus. Verklärt kam er zurück. „Ihr müsstet die Bratkartoffeln sehen! Rasch, sonst ist das Beste runter!”
In diesem Augenblick summte noch ein Wagen heran. Wie angenagelt blieben wir stehen. Es war der Buick. Er hielt mit scharfem Ruck neben Karl. „Hoppla!” sagte Lenz. Wir hatten schon öfter Schlägereien wegen ähnlicher Sachen gehabt.
Der Mann stieg aus. Missvergnügt schielte er nach Karl, streifte dann ein Paar dicke, gelbe Handschuhe ab und kam heran.
„Is denn das für ‘n Modell, Ihr Wagen da?” fragte er Köster, der ihm am nächsten stand, mit einem Gesicht wie eine Essiggurke.
Wir sahen ihn alle drei eine Weile schweigend an. Sicherlich hielt er uns für Monteure im Sonntagsanzug auf einer Schwarzfahrt. „Haben Sie etwas gesagt?” fragte Otto dann schließlich zweifelnd, um ihn zu belehren, dass er höflicher sein könnte.
Der Mann wurde rot. „Ich habe nach dem Wagen da gefragt”, erklärte er brummig im selben Tone wie vorher.
Lenz richtete sich auf. Seine große Nase zuckte. Er hielt außerordentlich auf Höflichkeit bei anderen. Aber bevor er den Mund auftun konnte, öffnete sich plötzlich, wie durch eine Geisterhand, die zweite Tür des Buick; – ein schmaler Fuß glitt heraus, ein schmales Knie folgte, – dann stieg ein Mädchen aus und schritt langsam auf uns zu. Überrascht blickten wir uns an. Wir hatten vorher nicht gesehen, dass noch jemand im Wagen war. Lenz veränderte sofort seine Haltung. Er lächelte über sein ganzes sommersprossiges Gesicht. Wir lächelten auf einmal alle, weiß der Kuckuck, warum.
Der Dicke schaute uns verblüfft an. „Binding”, sagte er schließlich, mit einer halben Verbeugung, als könne er sich an seinem Namen festhalten.
Das Mädchen war jetzt ganz herangekommen. Wir wurden noch freundlicher. „Zeig doch mal den Wagen, Otto”, sagte Lenz mit einem raschen Blick zu Köster hin.
„Warum nicht”, erwiderte Otto und gab den Blick belustigt zurück.
„Ich würde ihn wirklich gern mal sehen”, sagte Binding bereits versöhnlicher.
Beide gingen zum Parkplatz hinüber und Köster klappte Karls Motorhaube hoch.
Das Mädchen ging nicht mit. Es blieb schlank und schweigend neben Lenz und mir in der Dämmerung stehen. Ich erwartete, dass Gottfried die Gelegenheit ausnützen und losgehen würde wie eine Bombe. Er war für solche Situationen. Doch er schien die Sprache verloren zu haben.
„Entschuldigen Sie bitte”, sagte ich schließlich. „Wir haben nicht gesehen, dass Sie im Wagen waren. Sonst hätten wir den Unfug vorhin sicher nicht gemacht.”
Das Mädchen sah mich an. „Aber warum denn nicht?” erwiderte sie ruhig, mit einer überraschend dunklen Stimme. „So schlimm war das doch gar nicht.”
„Schlimm nicht, aber auch nicht ganz anständig. Der Wagen da läuft ungefähr zweihundert Kilometer.”
Sie beugte sich etwas vor und steckte die Hände in die Taschen ihres Mantels. „Zweihundert Kilometer?”
„Genau hundertneunundachtzig Komma zwei, amtlich abgestoppt”, erklärte Lenz, wie aus der Pistole geschossen, stolz.
Es entstand eine Pause.
„Wunderbares Wetter”, sagte ich endlich, um das Schweigen zu unterbrechen.
„Ja, herrlich”, erwiderte das Mädchen.
„Und so milde”, fügte Lenz hinzu.
„Sogar ungewöhnlich milde”, ergänzte ich.
Es entstand eine neue Pause. Das Mädchen musste uns für ziemliche Schafsköpfe halten; aber mir fiel beim besten Willen nichts mehr ein.
Köster und Binding kamen zurück. Binding war in den paar Minuten ein ganz anderer Mann geworden. Er schien einer dieser Autonarren zu sein, die ganz selig sind, wenn sie irgendwo einen Fachmann finden, mit dem sie reden können.
„Wollen wir zusammen essen?” fragte er.
„Selbstverständlich”, erwiderte Lenz.
Wir gingen hinein. Unter der Tür blinzelte Gottfried mir zu und nickte zu dem Mädchen hinüber.
Wir folgten den andern. Sie saßen schon am Tisch. Die Wirtin kam gerade mit der Leber und den Bratkartoffeln. Sie brachte außerdem eine große Flasche Kornschnaps als Einleitung mit.
Binding erwies sich als wahrer Sturzbach von einem Redner. Es war erstaunlich, was er alles über Automobile zu sagen hatte. Als er hörte, dass Otto auch Rennen gefahren hatte, kannte seine Zuneigung überhaupt keine Grenzen mehr.
Das Mädchen saß zwischen Lenz und mir. Es hatte den Mantel ausgezogen und trug darunter ein graues englisches Kostüm. Um den Hals hatte es ein weißes Tuch geknüpft, das aussah wie eine Reitkrawatte. Ihr Haar war braun und seidig und hatte im Lampenlicht einen bernsteinfarbenen Schimmer. Das Gesicht war schmal und blass, aber die großen Augen gaben ihm eine fast leidenschaftliche Kraft. Sie sah sehr gut aus, fand ich; – aber ich dachte mir nichts weiter dabei.
Lenz dagegen war jetzt Feuer und Flamme. Er war völlig verwandelt gegen vorhin. Sein gelber Schopf glänzte wie die Haube eines Wiedehopfs. Er ließ ein Feuerwerk von Einfällen los und beherrschte mit Binding zusammen den Tisch. Lenz schlug sich plötzlich vor die Stirn: „Der Rum! Robby, hol mal unsern Geburtstagsrum!”
„Geburtstag? Hat denn jemand Geburtstag?” fragte das Mädchen.
„Ich”, sagte ich. „Ich werde schon den ganzen Tag damit verfolgt.”
„Verfolgt? Dann wollen Sie also nicht, dass man Ihnen gratuliert?”
„Doch”, sagte ich, „gratulieren ist was anderes.”
„Also alles Gute!”
Ich hielt einen Augenblick ihre Hand in meiner und spürte ihren warmen, trockenen Druck. Dann ging ich hinaus, um den Rum zu holen.
Binding vertrug den Rum nicht. Nach dem zweiten Glas merkte man es schon. Er schwankte in den Garten hinaus. Ich stand auf und ging mit Lenz an die Theke. Er verlangte eine Flasche Gin. „Großartiges Mädchen, was?” sagte er.
„Weiß ich nicht, Gottfried”, erwiderte ich. „Habe nicht so drauf geachtet.”
Er betrachtete mich eine Weile mit seinen irisierenden, blauen Augen und schüttelte dann den glühenden Kopf. „Wozu lebst du eigentlich, sag mal, Baby?”
„Das wollte ich auch schon lange mal wissen”, antwortete ich.
Er lachte. „Das könnte dir so passen! So leicht wirds einem doch nicht gemacht. Aber jetzt werde ich zunächst mal herauspolken, wie das Mädchen zu dem dicken Autokatalog draußen steht.”
Er folgte Binding in den Garten.
Wir drei blieben allein in der Wirtsstube.
Draußen sangen Lenz und Binding das Lied vom Argonnerwald. Neben mir sprach das unbekannte Mädchen; – es sprach leise und langsam mit dieser dunklen, erregenden, etwas rauhen Stimme. Ich trank mein Glas aus.
Die beiden andern kamen wieder herein. Sie waren nüchterner geworden in der frischen Luft. Wir brachen auf. Ich half dem Mädchen in den Mantel. Sie stand dicht vor mir, geschmeidig sich in den Schultern dehnend, den Kopf schräg nach hinten gelegt, den Mund leicht geöffnet, mit einem Lächeln zur Zimmerdecke, das niemand galt. Ich ließ einen Moment den Mantel sinken. Wo hatte ich nur die ganze Zeit meine Augen gehabt? Hatte ich denn geschlafen? Ich verstand plötzlich die Begeisterung von Lenz.
Sie drehte sich fragend halb um. Ich hob rasch den Mantel wieder hoch und schaute zu Binding hinüber, der kirschrot und immer noch etwas glasig neben dem Tisch stand. „Glauben Sie, dass er fahren kann?” fragte ich.
„Ich denke schon – ”
„Hoffentlich geht es gut”, sagte ich. „Kann ich morgen einmal bei Ihnen anrufen und hören, wie es geworden ist?” fragte ich.
Sie antwortete nicht gleich. „Wir haben mit unserer Trinkerei doch so eine gewisse Verantwortung dafür”, sagte ich weiter. „Besonders ich mit meinem Geburtstagsrum.”
Sie lachte. „Nun gut, wenn Sie wollen. Westen 2796.”
Ich schrieb mir die Nummer draußen gleich auf.