1. Warum ist Paul Regiment zur fliegenden Division geworden?
2. Wohin werden sie geschickt?
3. Warum zweifeln die Freunde daran, dass es in Russland keinen Krieg gibt?
4. Beschreiben Sie den Besuch des Kaisers.
5. Wie verhält sich der Autor des Romans zum Krieg? Denken Sie an das Gespräch der Freunde.
6. Was macht Paul in der Mulde? Wie verstehen Sie seine Worte: „Ich kämpfe einen sinnlosen, wirren Kampf”? Was hilft ihm, diesen Kampf zu gewinnen?
7. Warum muss Paul den Toten markieren?
8. Wie und warum versucht er dem Sterbenden zu helfen? Nur deswegen, weil er sich fürchtet, von den Franzosen erschossen zu werden?
brenzlig – gefährlich
kampieren – für kurze Zeit meist in einem Zelt im Freien wohnen
Montur, die – Uniform, Dienstkleidung
etwas sickert – etwas wird langsam bekannt
Darauf kannst du Gift nehmen! – darauf kannst du dich verlassen, das ist ganz bestimmt so
Kram, der – (alte) Sachen ohne Wert, die man nicht mehr braucht
Brocken, die – Sachen
Patrouille, die – 1) das Patrouillieren; Kontrollgang; 2) eine Gruppe von Soldaten oder Polizisten, die patrouilliert
Valenciennes – eine Stadt im französischen Departament Nord
Mündung, die – die vordere Öffnung an einer Schusswaffe
markieren – so tun, als ob etwas der Fall wäre; vortäuschen
Starkstrom, der – in hohem Maß (vorhanden); intensiv
röcheln – ein lautes Geräusch machen, weil man Schwierigkeiten beim Atmen hat
Scharfschütze, der – jemand, der (beim Schießen) ein Ziel auch aus großer Entfernung trifft
Antlitz, das – Gesicht
tilgen jemanden / etwas aus seinem Gedächtnis – bewusst versuchen, jemanden / etwas zu vergessen
Amateur, der – jemand, der eine Tätigkeit nicht als Beruf, sondern nur als Hobby betreibt
geloben – (jemandem) etwas feierlich (in einer Zeremonie) versprechen; schwören
ein buntes Vögelchen – der Orden
Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann müssen wir ein Dorf bewachen, das geräumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Hauptsächlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer ist. Verpflegung müssen wir uns aus den Beständen selbst besorgen. Dafür sind wir die richtigen Leute – Kat, Albert, Müller, Tjaden, Leer, Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein mächtiges Glück, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt.
Als Unterstand wählen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine Treppe hinunterführt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer geschützt.
Jetzt entfalten wir eine große Tätigkeit. Es ist wieder eine Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt, um lange sentimental sein zu können. Das ist nur möglich, solange es noch nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu sein. So sachlich, dass mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein Gedanke aus der früheren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt. Er bleibt auch nicht lange.
Wir müssen unsere Lage so leicht nehmen wie möglich. Deshalb nützen wir jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne Übergang steht neben dem Grauen der Blödsinn. Wir können gar nicht anders, wir stürzen uns hinein. Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens und Schlafens natürlich. Die Bude wird zunächst einmal mit Matratzen belegt, die wir aus den Häusern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genügend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel* aus blauer Seide und Spitzenüberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Häuser. Nach kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter gefasst. Plötzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei Löcher. Er kommt aus dem Hause gegenüber, in das eine Granate gehauen ist. »Schwein gehabt«, grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsächlich noch immer da. Wir fassen sie an – kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa fünfzig Schritt von unserm Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat. In der Küche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Töpfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen – das wahre Schlaraffenhaus*.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln, Mohrrüben und junge Erbsen. Wir sind nämlich üppig und pfeifen auf die Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der Speisekammer liegen schon zwei Köpfe Blumenkohl. Die Ferkel sind geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer machen. Aber wir finden keine Reiben für die Kartoffeln. Doch auch da ist bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nägeln eine Menge Löcher, und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schälen Kartoffeln, und es geht rasch vorwärts.
Kat betreut die Ferkel, die Mohrrüben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne so zu schwenken, dass die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker*, die freigebig zum Essen eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer spielt, der andere singt: »An der Weser*«. Er singt es gefühlvoll, aber ziemlich sächsisch. Trotzdem ergreift es uns, während wir so am Herd all die schönen Sachen vorbereiten.
Allmählich merken wir, dass wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer näher pfeift es um uns herum, aber wir können doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Küchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschläge kommen so dicht, dass oft und öfter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen höre, gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen hören auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch wir sind jetzt allmählich fertig und organisieren den Rückzug. Nach dem nächsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemüsetöpfen los, die fünfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der nächste Schuss. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstück: die große Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie über die fünfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muss ich dabei auf den Boden – aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen.
Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustür. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Händen die Platte an die Brust gedrückt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich türme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee – Offizierskaffee aus dem Proviantamt – und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten – ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tür. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, dass nur eines fehle: Mädchen aus einem Offizierspuff.
Spätabends hören wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und füttern sie. Darüber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist böse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Därme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen draußen.
Brennende Häuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen über die Straße. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwärm Bienen drängen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewähren. Wenn wir was sagen würden, gäbe es höchstens eine Tracht Prügel für uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erklären, dass wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon – in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Für uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut für einen allzu eiligen Bauch. —
Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand stört uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir führen ein glückliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wünschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, dass er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklärt hochnäsig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: »Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee.« Es ist überhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hält den andern für seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Aufträge. »Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg«, damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. »Tjaden!« – »Was?« – » Stehen Sie bequem, Tjaden, übrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl – also: Tjaden!« Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Götz von Berlichingen*, der ihm nur so im Hand-gelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurücken. Die Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen Überwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt für jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fühlen manchmal darüber hin, und die harten Mettwürste, die Leberwurstbüchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils* gerettet. Sie stehen im Bett, und wir räkeln uns darauf wie in einer Theaterloge. Über uns bauscht sich die Seide des Überwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienkäfig, den wir für die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt.
Langsam rollen die Wagen über die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontänen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
Einige Tage später rücken wir aus, um eine Ortschaft aufzuräumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten* in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rücken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hängen an den Händen der Mütter, manchmal führt auch ein älteres Mädchen die Kleinen, die vorwärts taumeln und immer wieder zurücksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorübergehen.
Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten später heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertönen – eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fühle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewusst das Richtige tun lässt, der Gedanke »Du bist verloren« zuckt auf mit einer würgenden, schrecklichen Angst – und im nächsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche über mein linkes Bein. Ich höre Albert schreien, er ist neben mir.
»Los, auf, Albert!« brülle ich, denn wir liegen ungeschützt auf freiem Felde.
Er taumelt hoch und läuft. Ich bleibe neben ihm. Wir müssen über eine Hecke; sie ist höher als wir. Kropp fasst in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinüber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt.
Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten* wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser.
Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir übel. Auch Albert stöhnt: »Lass uns weg, ich falle sonst um und ersaufe.«
»Wo hast du was gekriegt?« frage ich.
»Am Knie, glaube ich.«
»Kannst du laufen?«
»Ich denke – «
»Dann los.«
Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebückt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir ändern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
Albert wird langsamer. »Lauf zu, ich komme nach«, sagt er und wirft sich hin.
Ich reiße ihn am Arm auf und schüttele ihn. »Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stütze dich.«
Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuss sitzt kurz über dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Päckchen um die Löcher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es überhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir würden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Füße weggeschossen wären – dann eben auf Stümpfen.
Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen vorüberfahrenden Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein Sanitätsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze* in die Brust jagt —
Im Feldlazarett richten wir es so ein, dass wir nebeneinander zu liegen kommen. Es gibt eine dünne Suppe, die wir gierig und verächtlich auslöffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewöhnt sind, aber doch Hunger haben.
»Nun geht’s in die Heimat, Albert«, sage ich.
»Hoffentlich«, antwortet er. »Wenn ich bloß wüsste, was ich habe.«
Die Schmerzen werden stärker. Wie Feuer brennen die Verbände. Wir trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.
»Wieviel über dem Knie ist mein Schuss?« fragt Kropp.
»Mindestens zehn Zentimeter, Albert«, antworte ich. In Wirklichkeit sind es vielleicht drei.
»Das habe ich mir vorgenommen«, sagt er nach einer Weile, »wenn sie mir einen Knochen abnehmen, mache ich Schluss. Ich will nicht als Krüppel durch die Welt laufen.«
So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.
Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und überlege rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, dass die Ärzte in den Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fällt mir ein. Auf keinen Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten den Schädel einschlagen muss.
Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, dass mir schwarz vor Augen wird. »Stellen Sie sich nicht so an«, schimpft er und säbelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie bösartige Tiere. Die Schmerzen sind unerträglich. Zwei Krankenwärter halten meine Arme fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille knallen, als er es merkt und wegspringt. »Chloroformiert den Kerl!« schreit er wütend.
Da werde ich ruhig. »Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten, aber chloroformieren Sie mich nicht.«
»Na ja«, kakelt er und nimmt seine Instrumente wiedervor. Er ist ein blonder Bursche, höchstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer widerlichen goldenen Brille. Ich merke, dass er mich jetzt schikaniert, er wühlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu über seine Gläser zu mir hin. Meine Hände quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als dass er einen Mucks* von mir hört.
Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu. Scheinbar ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt sorgfältig und sagt: »Morgen geht’s ab nach Hause.« Dann werde ich eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzähle ich ihm, dass also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.
»Wir müssen mit dem Sanitätsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander bleiben, Albert.«
Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner Zigarren mit Bauchbinden zu überreichen. Er schnuppert daran und fragt: »Hast du noch mehr davon?«
»Noch eine gute Handvoll*«, sage ich, »und mein Kamerad«, ich zeige auf Kropp, »ebenfalls. Die möchten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem Fenster des Lazarettzuges überreichen.«
Er kapiert natürlich, schnuppert noch einmal und sagt: »Gemacht.«
Wir können keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Choräle, ehe er zu röcheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster gekrochen. Er liegt davor, als hätte er zum letztenmal hinaussehen wollen.
Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dünn. Wir warten schon zwei Stunden.
Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich die Päckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuss ab. Dafür deckt der Feldwebel uns eine Zeltbahn über.
»Mensch, Albert«, erinnere ich mich, »unser Himmelbett und die Katze – «
»Und die Klubsessel«, fügt er hinzu.
Ja, die Klubsessel aus rotem Plüsch. Wir hatten wie Fürsten abends darauf gesessen und uns vorgenommen, sie später stundenweise abzuvermieten. Pro Stunde eine Zigarette. Es wäre ein sorgenloses Leben und ein Geschäft geworden.
»Albert«, fällt mir ein, »und unsere Fresssäcke.«
Wir werden schwermütig. Die Sachen hätten wir gebrauchen können. Wenn der Zug einen Tag später führe, hätte Kat uns sicher gefunden und uns den Kram gebracht.
Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dünnes Lazarettfutter, und in unseren Säcken ist Schweinebraten als Konserve. Aber wir sind so schwach, dass wir uns nicht weiter darüber aufregen können.
Die Bahren sind klatschnass, als der Zug morgens einläuft. Der Feldwebel sorgt dafür, dass wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde angehoben und soll in das Bett über ihm.
»Um Gottes willen«, entfährt es mir plötzlich.
»Was ist denn?« fragt die Schwester.
Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die Plättkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen worden und sehr dreckig.
»Können Sie nicht allein hineinkriechen?« fragt die Schwester besorgt.
»Das schon«, sagte ich schwitzend, »aber tun Sie doch erst das Bettzeug weg.«
»Warum denn?«
Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? – »Es wird ja – « Ich zögere.
»Ein bisschen schmutzig?« fragt sie ermunternd. »Das schadet nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder.«
»Nee, das nicht – «, sage ich aufgeregt. Diesem
Ansturm der Kultur bin ich nicht gewachsen.
»Dafür, dass Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir wohl noch ein Bettlaken waschen können«, fährt sie fort.
Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und fein, wie alles hier, man begreift nicht, dass es nicht nur für Offiziere ist, und fühlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.
Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht*, es zwingt mich, alles zu sagen. »Es ist nur – «, ich halte ein, sie muss doch verstehen, was ich meine.
»Was denn noch?«
»Wegen der Läuse«, brülle ich schließlich heraus.
Sie lacht. »Die müssen auch mal gute Tage haben.«
Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich zu.
Eine Hand fingert über die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den Zigarren ab.
Nach einer Stunde merken wir, dass wir fahren.
Nachts erwache ich. Auch Kropp rührt sich. Der Zug rollt leise über die Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause. Ich flüstere: »Albert!«
»Ja – «
»Weißt du, wo hier die Latrine ist?« »Ich glaube, drüben rechts die Tür.«
»Ich werde mal sehen.« Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege ich auf dem Boden.
»Verflucht«, sage ich.
»Hast du dich gestoßen?« fragt Kropp.
»Das könntest du doch wohl gehört haben«, knurre ich, »mein Schädel – «
Hinten im Wagen öffnet sich die Tür. Die Schwester kommt mit Licht und sieht mich.
»Er ist aus dem Bett gefallen.«
Sie fühlt mir den Puls und fasst meine Stirn an. »Sie haben aber kein Fieber.«
»Nein – «, gebe ich zu.
»Haben Sie denn geträumt?« fragt sie.
»So ungefähr«, weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so weniger kann ich ihr sagen, was ich will.
Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie fort ist, muss ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wäre sie eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja ganz jung, höchstens fünfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann es ihr nicht sagen.
Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie dreht sich um. »Schwester, er wollte – «, aber auch Albert weiß nicht mehr, wie er sich tadellos und anständig ausdrücken soll. Unter uns draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer solchen Dame gegenüber – Mit einem Male jedoch fällt ihm die Schulzeit ein, und er vollendet fließend: »Er möchte mal hinaus, Schwester.«
»Ach so«, sagt die Schwester. »Dazu braucht er doch nicht mit seinem Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?« wendet sie sich an mich.
Ich bin tödlich erschrocken über diese neue Wendung, denn ich habe keine Ahnung, wie man die Dinge fachmännisch benennt. Die Schwester kommt mir zu Hilfe. »Klein oder groß?« Diese Blamage*! Ich schwitze wie ein Affe und sage verlegen: »Na, also nur klein – «
Immerhin, wenigstens noch etwas Glück.
Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der einzige, und morgens haben wir uns gewöhnt und verlangen ohne Beschämung, was wir brauchen.
Der Zug fährt langsam. Manchmal hält er, und die Toten werden ausgeladen. Er hält oft.
Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber schlimmer ist es, dass wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Läuse sitzen. Es juckt fürchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.
Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal*. Ich höre von der Schwester, dass Albert an der nächsten Station ausgeladen werden soll, wegen seines Fiebers. »Wie weit fährt der Zug?« frage ich.
»Bis Köln.«
»Albert, wir bleiben zusammen«, sage ich, »pass auf.« Beim nächsten Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. »Haben Sie Schmerzen?«
»Ja«, stöhne ich, »mit einem Male.«
Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich müsste nicht bei Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese Soldatenthermometer sind nicht für erfahrenes Militär berechnet. Es handelt sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der dünnen Röhre stehen und sinkt nicht wieder.
Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schräg nach unten, und knipse mit dem Zeigefinger ständig dagegen. Darauf schüttele ich es nach oben. Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das genügt aber nicht. Ein Streichholz vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.
Als die Schwester zurückkommt, puste ich mich auf, atme leicht stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig und flüstere: »Ich kann es nicht mehr aushalten – «
Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, dass ohne Not mein Gipsverband nicht geöffnet wird.
Albert und ich werden zusammen ausgeladen.
Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist ein großes Glück, denn die katholischen Krankenhäuser sind bekannt für gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus unserm Zug, es sind viele schwere Fälle dabei. Wir kommen heute noch nicht zur Untersuchung, da zu wenig Ärzte da sind. Auf dem Korridor fahren unablässig die flachen Wagen mit den Gummirädern vorbei, und immer liegt jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage – so langgestreckt – nur gut, wenn man schläft.
Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln wir etwas ein*. Ich erwache, als es hell wird. Die Tür steht offen, und vom Korridor höre ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein paar Tage da ist, erklärt uns die Sache: »Hier oben wird jeden Morgen auf dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Türen auf.«
Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Schädel weh.
»So ein Unsinn«, sage ich, »wenn man gerade eingeschlafen ist.«
»Hier oben liegen die leichteren Fälle, da machen sie es so«, antwortet er.
Albert stöhnt. Ich werde wütend und rufe: »Ruhe da draußen.«
Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer weiß und schwarzen Tracht aus wie ein hübscher Kaffeewärmer. »Machen Sie doch die Tür zu, Schwester«, sagt jemand.
»Es wird gebetet, deshalb ist die Tür offen«, erwidert sie.
»Wir möchten aber noch schlafen – «
»Beten ist besser als schlafen.« Sie steht da und lächelt unschuldig. »Es ist auch schon sieben Uhr.«
Albert stöhnt wieder. »Tür zu!« schnauze ich.
Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. »Es wird doch auf für Sie mitgebetet.«
»Einerlei! Tür zu!«
Sie verschwindet und lässt die Tür offen. Die Litanei* ertönt wieder. Ich bin wild und sage: »Ich zähle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin nicht aufhört, fliegt was.«
»Von mir auch«, erklärt ein anderer.
Ich zähle bis fünf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie durch die Tür auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das Beten hört auf. Ein Schwärm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.
»Tür zu!« schreien wir.
Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. »Heiden*«, zwitschert sie, macht aber doch die Tür zu. Wir haben gesiegt.
Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstücke trägt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem Rekruten für voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon passieren —
»Wer hat die Flasche geworfen?« fragt er.
Bevor ich überlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: »Ich!«
Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt, weshalb er sich meldet.
»Sie?«
»Jawohl. Ich war erregt darüber, dass wir unnötig geweckt wurden, und verlor die Besinnung, so dass ich nicht wusste, was ich tat.« Er redet wie ein Buch.
»Wie heißen Sie?«
»Ersatz-Reservist Josef Hamacher.«
Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. »Weshalb hast du dich denn bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!«
Er grinst. »Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein*.«
Das versteht natürlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen, was er will.
»Ja«, erzählt er, »ich habe einen Kopfschuss gehabt, und darauf ist mir ein Attest ausgestellt worden, dass ich zeitweise unzurechnungsfähig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schön ärgern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tür aufmachen, schmeißen wir wieder.«
Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte jetzt alles riskieren.
Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verbände sind verklebt. Wir brüllen wie Stiere.
Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf – einen komplizierten Lungenschuss. Franz Wächter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch.
Ich klingele kräftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen*, weil wir alle neue Verbände und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschütteln; – die dicke Alte hatte böse gebrummt zuletzt und die Türen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht.
Wir warten. Dann sagt Franz: »Klingle noch mal.«
Ich tue es. Sie lässt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flügel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun. »Bist du sicher, Franz, dass du blutest?« frage ich. »Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf.«
»Es ist nass. Kann keiner Licht machen?«
Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tür, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefühllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle überanstrengt, schon tagsüber. Dazu das ständige Beten.
»Sollen wir Flaschen schmeißen?« fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein.
»Das hört sie noch weniger als das Klingeln.«
Endlich geht die Tür auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft: »Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?«
»Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner.«
Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt öfter eine Schwester.
Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmütig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, dass sie einem noch mehr weh tun.
Die Nonnen sind zuverlässiger. Sie wissen, wie sie anfassen müssen, aber wir möchten gern, dass sie etwas lustiger wären. Einige allerdings haben Humor, sie sind großartig. Wer würde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flügel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir würden für sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen muss, kann einem die Angst kommen.
Franz Wächter kommt nicht wieder zu Kräften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: »Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht.«
»Was für ein Totenzimmer?« fragt Kropp.
»Na, ins Sterbezimmer – «
»Was ist denn das?«
»Das kleine Zimmer an der Ecke des Flügels. Wer kurz vor dem Abkratzen ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. Überall heißt es nur das Sterbezimmer.«
»Aber warum machen sie das?«
»Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer, weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch, damit keiner in den Sälen stirbt, wegen der andern. Sie können ja auch besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt.«
»Aber er selber?«
Josef zuckt die Achseln. »Gewöhnlich merkt er ja nicht mehr viel davon.«
»Weiß es denn jeder?«
»Wer länger hier ist, weiß es natürlich.«
Nachmittags wird das Bett von Franz Wächter neu belegt. Nach ein paar Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
Manchmal sitzen Angehörige an den Betten und weinen oder sprechen leise und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht über ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz früh, aber doch nicht früh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand anders drin. Sie muss zur Totenhalle. Die Äpfel, die sie noch bei sich hat, gibt sie uns.
Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel* sieht böse aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen. »Wohin?« fragt er.
»Zum Verbandssaal.«
Er wird hinauf gehoben. Aber die Schwester macht den Fehler, seinen Waffenrock vom Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf den Wagen zu legen, damit sie nicht zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid und will sich vom Wagen rollen. »Ich bleibe hier!«
Sie drücken ihn nieder. Er schreit leise mit seiner zerschossenen Lunge: »Ich will nicht ins Sterbezimmer.«
»Wir gehen ja zum Verbandssaal.«
»Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?« Er kann nicht mehr sprechen. Heiser, aufgeregt, flüstert er: »Hierbleiben!«
Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der Tür versucht er sich aufzurichten. Sein schwarzer Krauskopf bebt, die Augen sind voll Tränen. »Ich komme wieder! Ich komme wieder!« ruft er.
Die Tür schließt sich. Wir sind alle erregt; aber wir schweigen. Endlich sagt Josef: »Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist, hält man doch nicht durch.«
Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei einem andern sind sie falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend.
Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattfüßen. Bei der Visite entdeckt der Chefarzt sie und bleibt freudig stehen. »Das werden wir wegkriegen«, erzählt er, »da machen wir eine kleine Operation, und schon haben Sie gesunde Füße. Schreiben Sie auf, Schwester.«
Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: »Lasst euch ja nicht operieren! Das ist nämlich ein wissenschaftlicher Fimmel* vom Alten. Er ist ganz wild auf jeden, den er dafür zu fassen bekommt. Er operiert euch die Plattfüße, und ihr habt nachher tatsächlich auch keine mehr; dafür habt ihr Klumpfüße* und müsst euer Leben lang an Stöcken laufen.«
»Was soll man denn da machen?« fragt der eine.
»Nein sagen! Ihr seid hier, um eure Schüsse zu kurieren, nicht eure Plattfüße! Habt ihr im Felde keine gehabt? Na, da seht ihr! Jetzt könnt ihr noch laufen, aber wenn der Alte euch erst unter dem Messer gehabt hat, seid ihr Krüppel. Er braucht Versuchskarnickel*, für ihn ist der Krieg eine großartige Zeit deshalb, wie für alle Ärzte. Seht euch unten mal die Station an; da kriechen ein Dutzend Leute herum, die er operiert hat. Manche sind seit vierzehn und fünfzehn hier, jahrelang. Kein einziger kann besser laufen als vorher; fast alle aber schlechter, die meisten nur mit Gipsbeinen. Alle halbe Jahre erwischt er sie wieder und bricht ihnen die Knochen aufs neue, und jedesmal soll dann der Erfolg kommen. Nehmt euch in acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt.«
»Ach, Mensch!« sagt der eine von den beiden müde. »Besser die Füße als der Schädel. Weißt du, was du kriegst, wenn du wieder draußen bist? Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, wenn ich bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot.«
Der andere, ein junger Mensch wie wir, will nicht. Am andern Morgen lässt der Alte beide herunterholen und redet und schnauzt so lange auf sie ein, bis sie doch einwilligen. Was sollen sie anders tun. – Sie sind ja nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier. Vergipst und chloroformiert werden sie wiedergebracht.
Albert geht es schlecht. Er wird geholt und amputiert. Das ganze Bein bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt er, er wolle sich erschießen, wenn er erst wieder an seinen Revolver herankäme.
Ein neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erhält zwei Blinde. Einer davon ist ein ganz junger Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei sich, wenn sie ihm Essen geben; er hat einer schon einmal eins entrissen. Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim Füttern wird die Schwester von seinem Bett abgerufen und stellt den Teller mit der Gabel so lange auf seinen Tisch. Er tastet nach der Gabel, fasst sie und stößt sie mit aller Kraft gegen sein Herz, dann ergreift er einen Schuh und schlägt auf den Stiel, so fest er kann. Wir rufen um Hilfe, und drei Mann sind nötig, ihm die Gabel wegzunehmen. Die stumpfen Zinken waren schon tief eingedrungen. Er schimpft die ganze Nacht auf uns, so dass niemand Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf*.
Wieder werden Betten frei. Tage um Tage gehen hin in Schmerzen und Angst, Stöhnen und Röcheln. Auch das Vorhandensein der Totenzimmer nutzt nichts mehr, es sind zu wenig, die Leute sterben nachts auch auf unserer Stube. Es geht eben schneller als die Überlegung der Schwestern.
Aber eines Tages fliegt die Tür auf, der flache Wagen rollt herein, und blass, schmal, aufrecht, triumphierend, mit gesträubtem, schwarzem Krauskopf sitzt Peter auf der Bahre. Schwester Libertine schiebt ihn mit strahlender Miene an sein altes Bett. Er ist zurück aus dem Sterbezimmer. Wir haben ihn längst für tot gehalten.
Er sieht sich um: »Was sagt ihr nun?«
Und selbst Josef muss zugeben, dass er so was zum ersten Male erlebt.
Allmählich dürfen einige von uns aufstehen. Auch ich bekomme Krücken zum Herumhumpeln. Doch ich mache wenig Gebrauch davon; ich kann Alberts Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so sonderbaren Augen nach. Deshalb entschlüpfe ich manchmal auf den Korridor – dort kann ich mich freier bewegen.
Im Stockwerk tiefer liegen Bauch- und Rückenmarkschüsse, Kopfschüsse und beiderseitig Amputierte. Rechts im Flügel Kieferschüsse, Gaskranke, Nasen-, Ohren- und Halsschüsse. Links im Flügel Blinde und Lungenschüsse, Beckenschüsse, Gelenkschüsse, Nierenschüsse, Hodenschüsse, Magenschüsse. Man sieht hier erst, wo ein Mensch übel getroffen werden kann.
Zwei Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder erstarren, zuletzt leben – lange – nur noch die Augen. – Bei manchen Verletzten hängt das zerschossene Glied an einem Galgen frei in der Luft; unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei oder drei Stunden wird das Gefäss geleert. Andere Leute liegen im Streckverband, mit schweren, herabziehenden Gewichten am Bett. Ich sehe Darmwunden, die ständig voll Kot sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir Röntgenaufnahmen von völlig zerschmetterten Hüftknochen, Knien und Schultern.
Man kann nicht begreifen, dass über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltäglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station – es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Russland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muss alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, dass diese Ströme von Blut vergossen wurden, dass diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.
Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung sinnlosester Oberflächlichkeit mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe, dass Völker gegeneinander getrieben werden und sich schweigend, unwissend, töricht, gehorsam, unschuldig töten. Ich sehe, dass die klügsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und länger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und drüben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation. Was werden unsere Väter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft* fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschäftigung Töten – es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom Leben beschränkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden?
Der älteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschuss. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, dass er gekrümmt etwas hinken kann.
Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, dass sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu können.
Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Ständig läuft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer weiß wie oft schon geprüft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muss, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und muss wieder ins Bett.
Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschäftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schön, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes.
Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommiss gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen können, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungestört gewesen wäre, einer wusste sogar ein kleines Zimmer.
Doch was nützt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese Sache verpassen muss. Wir trösten ihn und versprechen ihm, dass wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden.
Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit ängstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bändern, weiß der Himmel, wo sie das Stück mal geerbt hat.
Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tür stehen. Es erschreckt sie, dass wir sechs Mann hoch sind.
»Na, Marja«, sagt Lewandowski und schluckt gefährlich mit seinem Adamsapfel, »kannst ruhig ‘reinkommen, die tun dir hier nichts.«
Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie über die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden.
Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder äußerst unglücklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns herüber.
Die Zeit ist günstig, die Arztvisite ist vorbei, es könnte höchstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus – spekulieren. Er kommt zurück und nickt. »Kein Aas zu sehen. Nun sag’s ihr schon, Johann, und mach zu.«
Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmütig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind für andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Krüppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig.
Zwei Mann stellen sich vor die Tür, um die Schwestern abzufangen und zu beschäftigen, wenn sie zufällig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefähr eine Viertelstunde aufpassen.
Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rücken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bisschen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat.
Es geht alles gut. Ich habe einen wüsten Kreuz-Solo* mit vieren in den Fingern, der ungefähr noch rumgeht. Darüber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plärren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bisschen, und als wir so beiläufig aufblicken, sehen wir, dass das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt.
Wir fühlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da.
Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Würste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und säbelt das Fleisch in Stücke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns – und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hübsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf.
Nach einigen Wochen muss ich jeden Morgen ins Zanderinstitut*. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist längst geheilt.
Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbände sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepppapier*. Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen.
Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als früher. Oft bricht er mitten im Gespräch ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen wäre, hätte er längst Schluss gemacht. Jetzt aber ist er über das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu.
Ich bekomme Erholungsurlaub.
Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal.
Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld.
Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommiss mit der Zeit.