Unter hohen Ehren, das ist alles wahr,
Wohnten sie beisammen bis in das siebte Jahr.
Die Königin derweile gebar ein Söhnelein,
Worüber König Etzel nicht mochte fröhlicher sein. (1432)
Bis sie es erlangte ließ sie nicht ab davon,
Die Taufe musst empfangen König Etzels Sohn
Nach der Christen Sitte: Ortlieb ward er genannt.
Das brachte große Freude über Etzels ganzes Land. (1433)
Der Zucht, deren jemals zuvor Frau Helke pflag,
Befliss sich Kriemhilde darauf gar manchen Tag.
Es lehrte sie die Sitte Herrat die fremde Maid;
Dei trug noch in der Stille um Helke großes Herzeleid. (1434)
Vor Heimischen und Fremden war sie wohlbekannt;
Es hieß, so gut und milde hab eines Königs Land
Nie eine Frau besessen: Das hielten sie für wahr;
Des rühmten sie die Heunen bis an das dreizehnte Jahr. (1435)
Nun wusste sie, dass niemand ihr feindlich sei gesinnt,
Wie heut noch Königinnen der Fürsten Recken sind,
Und dass sie täglich mochte zwölf Könge vor sich sehn.
Sie vergaß auch nicht des Leides, das ihr zu Hause geschehn. (1436)
Sie gedacht auch noch der Ehren in Nibelungenland,
Die man ihr geboten und die ihr Hagens Hand
Mit Siegfriedens Tode für alle Zeit benommen,
Und ob ihm das wohl jemals noch zu Leide möchte kommen. (1437)
“Es geschäh, wenn ich den Degen brächt in dieses Land.”
Ihr träumte wohl, ihr ginge gar manchmal an der Hand
Geiselher ihr Bruder; sie küsst' ihn allezeit
In ihrem sanften Schlafe: Das ward zu schmerzlichem Leid. (1438)
Ich glaube dass Kriemhilden der böse Feind es riet,
Dass sie in guter Freundschaft von König Gunthern schied,
Den sie zur Sühne küsste in Burgondenland.
Aufs neu begann zu triefen von heißen Tränen ihr Gewand. (1439)
Es lag ihr an dem Herzen, beides, spät und früh,
Wie man mit Widerstreben sie doch gebracht dazu,
Dass sie minnen musste einen heidnischen Mann:
Die Not, die hatt ihr Hagen und König Gunther angetan. (1440)
Es schwand ihr aus dem Herzen selten dieser Mut.
Sie gedacht: “Ich bin so mächtig und habe solches Gut,
Ich mag wohl meinen Feinden noch schaffen Herzeleid:
Dazu wär ich dem Hagen von Tronje gerne bereit. (1441)
“Nach den Getreuen jammert noch oft die Seele mein:
Doch die mir Leides taten, möcht ich bei denen sein,
So würde wohl gerochen meines Freundes Leib!
Kaum kann ich es erwarten,” also sprach das Königsweib. (1442)
Hold waren ihr die Degen all in des Königs Bann,
Die Recken Kriemhildens; das war wohlgetan.
Ihr Kämmerer war Eckwart: Drum war er gern gesehn:
Kriemhildens Willen konnte niemand widerstehn. (1443)
Sie gedacht auch alle Tage: “Ich will den König bitten,
Er solle mir vergönnen mit gütlichen Sitten,
Dass man meine Freunde lädt in der Heunen Land.”
Den argen Willen niemand an der Königin erfand. (1444)
Als eines Nachts Kriemhilde bei dem König lag,
Umfangen mit den Armen hielt er sie, wie er pflag
Der edeln Frau zu kosen; sie war ihm wie sein Leib:
Da gedachte ihrer Feinde dieses waidliche Weib. (1445)
Sie sprach zu dem Könige: “Viel lieber Herre mein,
Ich wollt euch gerne bitten, möcht es mit Hulden sein,
Dass ihr mich sehen ließet, ob ich verdient den Sold,
Dass ihr auch meinen Freunden wäret inniglich hold.” (1446)
Da sprach der reiche König, arglos war sein Mut:
“Des sollt ihr inne werden: Was man den Recken tut
Liebes und Gutes, das nehm ich freudig an,
Da ich von Weibesminne nie bessre Freunde gewann.” (1447)
Da sprach die Königin wieder: “Euch ist das wohlbewusst,
Ich habe hohe Freunde, drum schmerzt mich der Verlust,
Dass mich die so selten besuchen hier im Land:
Ich bin bei allen Leuten nur als verwaiset bekannt.” (1448)
Da sprach der König Etzel: “Viel liebe Fraue mein,
Däucht es sie nicht zu ferne, so lüd ich überrhein
Die ihr wünscht zu sehen hieher in dieses Land.”
Da freute sich die Fraue, als ihr sein Wille ward bekannt. (1449)
Sie sprach: “Wollt ihr mir Treue leisten, Herre mein,
So sollt ihr Boten senden nach Wormes über Rhein:
So entbiet ich meinen Freunden meinen Sinn und Mut:
So kommen uns zu Lande viel Ritter edel und gut.” (1450)
Er sprach: “Wenn ihr gebietet, so lass ich es geschehn.
Ihr könntet eure Freunde nicht so gerne sehn,
Der edeln Ute Kinder, als ich sie sähe gern:
Es tut mir innig wehe, dass sie so fremd uns sind und fern. (1451)
“Wenn es dir wohl gefiele, viel liebe Fraue mein,
So wollt ich gerne senden zu den Freunden dein
Meine Fiedelspieler nach Burgondenland.”
Die guten Spielleute, die brachte man gleich zur Hand. (1452)
Sie kamen hin in Eile, wo sie den König sahn
Bei der Köngin sitzen. Da sagt' er ihnen an,
Sie sollten Boten werden nach Burgondenland.
Auch ließ er ihnen schaffen schönes, herrliches Gewand. (1453)
Vierundzwanzig Recken schuf man da das Kleid.
Ihnen ward auch von dem König gegeben der Bescheid,
Wie sie laden sollten Gunthern und seinen Bann.
Frau Kriemhild mit ihnen geheim zu sprechen begann. (1454)
Da sprach der reiche König: “Nun höret, was ihr tut:
Ich entbiete meinen Freunden alles was lieb und gut,
Und lade sie zu fahren hieher in dieses Land:
Ich habe wohl noch selten so liebe Gäste gekannt. (1455)
Und wenn sie meinen Willen gesonnen sind zu tun,
Kriemhilds Verwandte, so mögen sie nicht ruhn
Und diesen Sommer kommen zu meiner Lustbarkeit,
Da mir so hohe Wonne meiner Schwäger Freundschaft beut.” (1456)
Da sprach der Fiedelspieler, der stolze Schwemmelein:
“Wann soll das Hofgelage in diesen Landen sein?
Dass wirs euern Freunden am Rheine mögen sagen.”
Da sprach der König Etzel: “In der nächsten Sonnenwende Tagen.” (1457)
“Wir tun, was ihr gebietet,” sprach da Werbelein.
Kriemhilde ließ die Boten zu ihrem Kämmerlein
Führen in der Stille und besprach mit ihnen da,
Wodurch noch manchem Degen bald wenig Liebes geschah. (1458)
Sie sprach zu beiden Boten: “Nun verdient ihr großes Gut,
Wenn ihr mit rechter Treue meinen Willen tut
Und sagt was ich entbiete heim in unser Land:
Ich mach euch reich an Gute und geb euch herrlich Gewand. (1459)
“Wen ihr von meinen Freunden immer möget sehn,
Zu Wormes an dem Rheine, so sollt ihrs nie gestehn,
Dass ihr mich immer sahet betrübt in meinem Mut;
Und entbietet meine Grüße diesen Helden kühn und gut. (1460)
Bittet sie zu leisten was der König entbot,
Und mich dadurch zu scheiden von aller meiner Not.
Ich scheine vor den Heunen freundelos zu sein;
Wenn ich ein Ritter wäre, ich käme manchmal an den Rhein. (1461)
Und sagt auch Gernoten, dem edeln Bruder mein,
Dass ihm auf Erden niemand holder möge sein:
Bittet, dass er mir bringe hieher in dieses Land
Unsre besten Freunde: So wird uns Ehre bekannt. (1462)
Und sagt auch Geiselheren, ich mahn ihn daran,
Dass ich mit seinem Willen nie ein Leid gewann:
Drum sähn ihn hier im Lande gern die Augen mein;
Ich hätt ihn hier gar gerne um die große Treue sein. (1463)
Und sagt auch meiner Mutter, was mir für Ehr geschieht;
Und wenn von Tronje Hagen der Reise sich entzieht,
Wer ihnen zeigen solle die Straßen durch das Land?
Die Wege zu den Heunen sind ihm von Jugend auf bekannt.” (1464)
Es wunderte die Boten, warum das möge sein,
Dass sie diesen Hagen von Tronje nicht am Rhein
Weilen lassen sollten; bald ward es ihnen Leid:
Durch ihn war manchem Degen mit dem grimmen Tode gedräut. (1465)
Botenbrief und Siegel ward ihnen nun gegeben;
Sie fuhren reich an Gute und mochten herrlich leben.
Urlaub gab ihnen Etzel und sein schönes Weib,
Ihnen war auch wohl gezieret mit gutem Staate der Leib. (1466)