Da fällt nun deine Schrift nach vielen Jahren
Mir wieder in die Hand, und – wundersam! —
Der Zeit gedenk ich, wo wir Freunde waren,
Als erst die Welt uns in die Schule nahm.
Ich bin ein alter Mann in grauen Haaren,
Ich überwinde schon die falsche Scham,
Ich will mich deinen Freund wie ehmals nennen
Und mich als solchen vor der Welt bekennen.
Mein armer, armer Freund, es hat der Schlaue
Mir nicht, wie dir, so übel mitgespielt;
Gestrebet hab ich und gehofft ins Blaue,
Und gar am Ende wenig nur erzielt;
Doch schwerlich wird berühmen sich der Graue,
Dass er mich jemals fest am Schatten hielt;
Den Schatten hab ich, der mir angeboren,
Ich habe meinen Schatten nie verloren.
Mich traf, obgleich unschuldig wie das Kind,
Der Hohn, den sie für deine Blöße hatten. —
Ob wir einander denn so ähnlich sind?! —
Sie schrien mir nach: Schlemihl, wo ist dein Schatten?
Und zeigt ich den, so stellten sie sich blind
Und konnten gar zu lachen nicht ermatten.
Was hilft es denn! man trägt es in Geduld,
Und ist noch froh, fühlt man sich ohne Schuld.
Und was ist denn der Schatten? möcht ich fragen,
Wie man so oft mich selber schon gefragt,
So überschwenglich hoch es anzuschlagen,
Wie sich die arge Welt es nicht versagt?
Das gibt sich schon nach neunzehn Tausend Tagen,
Die, Weisheit bringend, über uns getagt;
Die wir dem Schatten Wesen sonst verliehen,
Sehn Wesen jetzt als Schatten sich verziehen.
Wir geben uns die Hand darauf, Schlemihl,
Wir schreiten zu, und lassen es beim Alten;
Wir kümmern uns um alle Welt nicht viel,
Es desto fester mit uns selbst zu halten;
Wir gleiten so schon näher unserm Ziel,
Ob jene lachten, ob die andern schalten,
Nach allen Stürmen wollen wir im Hafen
Doch ungestört gesunden Schlafes schlafen.
Berlin, August 1834Adelbert von Chamisso
Du vergissest niemanden, Du wirst Dich noch eines gewissen Peter Schlemihls erinnern, den Du in früheren Jahren ein paar Mal bei mir gesehen hast, ein langbeiniger Bursch, den man ungeschickt glaubte, weil er linkisch war, und der wegen seiner Trägheit für faul galt. Ich hatte ihn lieb – Du kannst nicht vergessen haben, Eduard, wie er uns einmal in unserer grünen Zeit durch die Sonette lief, ich brachte ihn mit auf einen der poetischen Tees, wo er mir noch während des Schreibens einschlief, ohne das Lesen abzuwarten. Nun erinnere ich mich auch eines Witzes, den Du auf ihn machtest. Du hattest ihn nämlich schon, Gott weiß wo und wann, in einer alten schwarzen Kurtka gesehen, die er freilich damals noch immer trug, und sagtest:»der ganze Kerl wäre glücklich zu schätzen, wenn seine Seele nur halb so unsterblich wäre, als seine Kurtka.«– So wenig galt er bei Euch. – Ich hatte ihn lieb. – Von diesem Schlemihl nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht verloren hatte, rührt das Heft her, das ich Dir mitteilen will. – Dir nur, Eduard, meinem nächsten, innigsten Freunde, meinem beßren Ich, vor dem ich kein Geheimnis verwahren kann, teil ich es mit, nur Dir und, es versteht sich von selbst, unserm Fouqué, gleich Dir in meiner Seele eingewurzelt – aber in ihm teil ich es bloß dem Freunde mit, nicht dem Dichter. —
Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir sein würde, wenn etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann im Vertrauen auf meine Freundschaft und Redlichkeit an meiner Brust ablegt, in einem Dichterwerke an den Pranger geheftet würde, oder nur wenn überhaupt unheilig verfahren würde, wie mit einem Erzeugnis schlechten Witzes, mit einer Sache, die das nicht ist und sein darf. Freilich muss ich selbst gestehen, dass es um die Geschichte Schad ist, die unter des guten Mannes Feder nur albern geworden, dass sie nicht von einer geschickteren fremden Hand in ihrer ganzen komischen Kraft dargestellt werden kann. – Was würde nicht Jean Paul daraus gemacht haben! – Übrigens, lieber Freund, mögen hier manche genannt sein, die noch leben; auch das will beachtet sein. —
Noch ein Wort über die Art, wie diese Blätter an mich gelangt sind. Gestern früh bei meinem Erwachen gab man sie mir ab – ein wunderlicher Mann, der einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgenützte schwarze Kurtka anhatte, eine botanische Kapsel darüber umgehangen, und bei dem feuchten, regnichten Wetter Pantoffeln über seine Stiefel, hatte sich nach mir erkundigt und dieses für mich hinterlassen; er hatte, aus Berlin zu kommen, vorgegeben. – —
Kunersdorf, den 27. Sept. 1813Adelbert von Chamisso
P.S. Ich lege Dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche Leopold, der eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen hat. Als er den Wert, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat er sie mir gerne geschenkt.
Bewahren, lieber Eduard, sollen wir die Geschichte des armen Schlemihl, dergestalt bewahren, dass sie vor Augen, die nicht hineinzusehen haben, beschirmt bleibe. Das ist eine schlimme Aufgabe. Es gibt solcher Augen eine ganze Menge, und welcher Sterbliche kann die Schicksale eines Manuskriptes bestimmen, eines Dinges, das beinah noch schlimmer zu hüten ist, als ein gesprochenes Wort. Da mach ich’s denn wie ein Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in den Abgrund springt: ich lasse die ganze Geschichte drucken.
Und doch, Eduard, es gibt ernstere und bessere Gründe für mein Benehmen. Es trügt mich alles, oder in unserm lieben Deutschlande schlagen der Herzen viel, die den armen Schlemihl zu verstehen fähig sind und auch wert, und über manch eines echten Landsmannes Gesicht wird bei dem herben Scherz, den das Leben mit ihm, und bei dem arglosen, den er mit sich selbst treibt, ein gerührtes Lächeln ziehn. Und du, mein Eduard, wenn Du das grundehrliche Buch ansiehst, und dabei denkst, dass viele unbekannte Herzensverwandte es mit uns lieben lernen, fühlst auch vielleicht einen Balsamtropfen in die heiße Wunde fallen, die Dir und allen, die Dich lieben, der Tod geschlagen hat.
Und endlich: es gibt – ich habe mich durch mannichfache Erfahrung davon überzeugt – es gibt für die gedruckten Bücher einen Genius, der sie in die rechten Hände bringt, und, wenn nicht immer, doch sehr oft die unrechten davon abhält. Auf allen Fall hat er ein unsichtbares Vorhängschloß vor jedwedem echten Geistes- und Gemütswerke, und weiß mit einer ganz untrüglichen Geschicklichkeit auf- und zuzuschließen.
Diesem Genius, mein sehr lieber Schlemihl, vertraue ich Dein Lächeln und Deine Tränen an, und somit Gott befohlen!
Nennhausen, Ende Mai 1814Fouqué
Da haben wir denn nun die Folgen Deines verzweifelten Entschlusses, die Schlemihlshistorie, die wir als ein bloß uns anvertrautes Geheimnis bewahren sollten, drucken zu lassen, dass sie nicht allein Franzosen und Engländer, Holländer und Spanier übersetzt, Amerikaner aber den Engländern nachgedruckt, wie ich dies alles in meinem gelehrten Berlin des Breiteren gemeldet; sondern, dass auch für unser liebes Deutschland eine neue Ausgabe, mit den Zeichnungen der englischen, die der berühmte Cruikshank nach dem Leben entworfen, veranstaltet wird, wodurch die Sache unstreitig noch viel mehr herum kommt. Hielte ich Dich nicht für Dein eigenmächtiges Verfahren (denn mir hast Du 1814 ja kein Wort von der Herausgabe des Manuskripts gesagt) hinlänglich dadurch bestraft, dass unser Chamisso bei seiner Weltumsegelei, in den Jahren 1815 bis 1818, sich gewiß in Chile und Kamtschatka, und wohl gar bei seinem Freunde, dem seligen Tameiamaia auf O-Wahu darüber beklagt haben wird, so forderte ich noch jetzt öffentlich Rechenschaft darüber von Dir.
Indes – auch hievon abgesehen – geschehn ist geschehn, und Recht hast Du auch darin gehabt, dass viele, viele Befreundete in den dreizehn verhängnisvollen Jahren, seit es das Licht der Welt erblickte, das Büchlein mit uns lieb gewonnen. Nie werde ich die Stunde vergessen, in welcher ich es Hoffmann zuerst vorlas. Außer sich vor Vergnügen und Spannung, hing er an meinen Lippen, bis ich vollendet hatte; nicht erwarten konnte er, die persönliche Bekanntschaft des Dichters zu machen, und, sonst jeder Nachahmung so abhold, widerstand er doch der Versuchung nicht, die Idee des verlornen Schattens in seiner Erzählung:»Die Abenteuer der Sylvesternacht«, durch das verlorne Spiegelbild des Erasmus Spikher, ziemlich unglücklich zu variieren. Ja – unter die Kinder hat sich unsre wundersame Historie ihre Bahn zu brechen gewußt; denn als ich einst, an einem hellen Winterabend, mit ihrem Erzähler die Burgstraße hinaufging, und er einen über ihn lachenden, auf der Glitschbahn beschäftigten Jungen unter seinen Dir wohlbekannten Bärenmantel nahm und fortschleppte, hielt dieser ganz stille; da er aber wieder auf den Boden niedergesetzt war, und in gehöriger Ferne von den, als ob nichts geschehen wäre, weiter Gegangenen, rief er mit lauter Stimme seinem Räuber nach:»Warte nur, Peter Schlemihl!»
So, denke ich, wird der ehrliche Kauz auch in seinem neuen, zierlichen Gewande viele erfreuen, die ihn in der einfachen Kurtka von 1814 nicht gesehen; diesen und jenen aber es außerdem noch überraschend sein, in dem botanisierenden, weltumschiffenden, ehemals wohlbestallten Königlich Preußischen Offizier, auch Historiographen des berühmten Peter Schlemihl, nebenher einen Lyriker kennen zu lernen,3 der, er möge malaiische oder litauische Weisen anstimmen, überall dartut, dass er das poetische Herz auf der rechten Stelle hat.
Darum, lieber Fouqué, sei Dir am Ende denn doch noch herzlich gedankt für die Veranstaltung der ersten Ausgabe, und empfange mit unsern Freunden meinen Glückwunsch zu dieser zweiten.
Berlin, im Januar 1827Eduard Hitzig