Achtes Seeabenteuer
Ohne Zweifel haben Sie von der letzten nördlichen Entdeckungsreise des Kapitän Phipps – gegenwärtigen Lord Mulgrave – gehört. Ich begleitete den Kapitän; – nicht als Offizier, sondern als Freund. – Da wir unter einen ziemlich hohen Grad nördlicher Breite gekommen waren, nahm ich mein Teleskop, mit dem ich Sie bei der Geschichte meiner Reise nach Gibraltar schon bekannt gemacht habe, und betrachtete die Gegenstände, die ich nun um mich hatte. – Denn, im Vorbeigehen gesagt, ich halte es immer für gut, sich von Zeit zu Zeit einmal umzusehen, vorzüglich auf Reisen. – Ungefähr eine halbe Meile von uns schwamm ein Eisgebirge, das weit höher als unsere Maste war, und auf demselben sah ich zwei weiße Bären, die meiner Meinung nach in einem hitzigen Zweikampfe begriffen waren. Ich hing sogleich mein Gewehr um und machte mich zu dem Eise hin, fand aber, als ich erst auf den Gipfel desselben gekommen war, einen unaussprechlich mühsamen und gefahrvollen Weg. Oft musste ich über schreckliche Abgründe springen; und an andern Stellen war die Oberfläche so glatt wie ein Spiegel, so dass meine Bewegung ein ständiges Fallen und Aufstehen war. Doch endlich kam ich so weit, dass ich die Bären erreichen konnte, und zugleich sah ich auch, dass sie nicht miteinander kämpften, sondern nur spielten. Ich überrechnete schon den Wert ihrer Felle – denn jeder war wenigstens so groß als ein gut gemästeter Ochse —; allein indem ich eben mein Gewehr anlegen wollte, glitschte ich mit dem rechten Fuße aus, fiel rückwärts nieder und verlor durch die Heftigkeit des Schlages, den ich tat, auf eine kleine halbe Stunde alles Bewußtsein. Stellen Sie sich mein Erstaunen vor, als ich erwachte und fand, dass eines von den ebengenannten Ungeheuern mich herum auf mein Gesicht gedrehet hatte und gerade den Bund meiner neuen ledernen Hose packte. Der obere Teil meines Leibes steckte unter seinem Bauche, und meine Beine standen voraus. Gott weiß, wohin mich die Bestie geschleppt hätte; aber ich kriegte mein Taschenmesser heraus – dasselbe, was Sie hier sehen —, hackte in seinen linken Hinterfuß und schnitt ihm drei von seinen Zehen ab. Nun ließ er mich sogleich fallen und brüllte fürchterlich. Ich nahm mein Gewehr auf, feuerte auf ihn, sowie er weglief, und plötzlich fiel er nieder. Mein Schuß hatte nun zwar eines von diesen blutdürstigen Tieren auf ewig eingeschläfert, aber mehrere Tausende, die in dem Umkreis von einer halben Meile auf dem Eise lagen und schliefen, aufgeweckt. Alle miteinander kamen spornstreichs angelaufen. Zeit war nicht zu verlieren. Ich aber war verloren, oder ein schneller Einfall musste mich retten. – Er kam. – Etwa in der Hälfte der Zeit, die ein geübter Jäger braucht, um einem Hasen den Balg abzustreifen, zog ich dem toten Bären seinen Rock aus, wickelte mich darein und steckte meinen Kopf gerade unter den seinigen. Kaum war ich fertig, so versammelte sich die ganze Herde um mich herum. Mir wurde heiß und kalt unter meinem Pelze. Indes meine List gelang mir vortrefflich. Sie kamen, einer nach dem andern, berochen mich und hielten mich augenscheinlich für einen Bruder Petz. Es fehlte mir auch nichts als die Größe, um ihnen vollkommen gleich zu sehen; und verschiedene Junge unter ihnen waren nicht viel größer als ich. Als sie alle mich und den Leichnam ihres verschiedenen Gefährten berochen hatten, schienen wir sehr gesellig zu werden; auch konnte ich alle ihre Handlungen so ziemlich nachmachen; nur im Brummen, Brüllen und Balgen waren sie meine Meister. Sosehr ich aber wie ein Bär aussah, so war ich doch noch Mensch: – ich fing an zu überlegen, wie ich die Vertraulichkeit, die zwischen mir und diesen Tieren sich erzeugt hatte, wohl auf das vorteilhafteste nützen könnte.
Ich hatte ehedem von einem alten Feldscher gehört, dass eine Wunde im Rückgrat augenblicklich tödlich sei. Hierüber beschloß ich nun einen Versuch anzustellen. Ich nahm mein Messer wieder zur Hand und stieß es dem größten Bären nahe bei den Schultern in den Nacken. Allerdings war dies ein sehr gewagter Streich, und es war mir auch nicht wenig bange. Denn das war ausgemacht: überlebte die Bestie den Stoß, so war ich in Stücken zerrissen. Allein mein Versuch gelang glücklich; der Bär fiel tot zu meinen Füßen nieder, ohne einmal zu mucksen. Nun nahm ich mir vor, allen übrigen auf ebendie Art den Rest zu geben, und dies wurde mir auch gar nicht schwer; denn ob sie gleich ihre Brüder zur Rechten und zur Linken fallen sahen, so hatten sie doch kein Arg daraus. Sie dachten weder an die Ursache noch an die Wirkung des Niedersinkens; und das war ein Glück für sie und für mich. – Als ich sie alle tot vor mir liegen sah, kam ich mir vor wie Simson, als er die Tausende geschlagen hatte.
Die Sache kurz zu machen, ich ging nach dem Schiffe zurück und bat mir drei Teile des Volkes aus, die mir helfen mussten, die Felle abzustreifen und die Schinken an Bord zu tragen. Wir waren in wenigen Stunden damit fertig und beluden das ganze Schiff damit. Was übrigblieb, wurde in das Wasser geworfen, ungeachtet ich nicht zweifele, dass es, gehörig eingesalzen, ebenso gut schmecken würde als die Keulen.
Sobald wir zurückkamen, schickte ich einige Schinken im Namen des Kapitäns an die Lords von der Admiralität, andere an die Lords von der Schatzkammer, etliche an den Lordmayor und den Stadtrat von London, einige wenige an die Handlungsgesellschaften und die übrigen an meine besondern Freunde. Von allen Orten bezeugte man mir den wärmsten Dank; die City aber erwiderte mein Geschenk auf eine sehr nachdrückliche Art, nämlich durch eine Einladung, jährlich an dem Wahltage des Lordmayor auf dem Rathause zu speisen.
Die Bärenfelle schickte ich an die Kaiserin von Russland als Winterpelze für Ihre Majestät und ihren Hof. Sie dankte mir dafür in einem eigenhändigen Briefe, den sie mir durch einen außerordentlichen Gesandten überschickte und worin sie mir anbot, mit ihr die Ehre ihres Bettes und ihrer Krone zu teilen. Allein da michs eben nie sehr nach königlicher Würde gelüstet hat, so lehnte ich Ihrer Majestät Gnade in den feinsten Ausdrücken ab. Ebenderselbe Ambassadeur, der mir das kaiserliche Schreiben brachte, hatte auch den Auftrag, zu warten und Ihrer Majestät meine Antwort persönlich zurückzubringen. Ein zweiter Brief, den ich bald nachher von der Kaiserin erhielt, überzeugte mich von der Stärke ihrer Leidenschaft und der Erhabenheit ihres Geistes. – Ihre letzte Krankheit kam, wie sie – die zärtliche Seele! – sich in einer Unterredung mit dem Fürsten Dolgorucki zu erklären geruhte – allein von meiner Grausamkeit her. Ich weiß nicht, was die Damen an mir finden; aber die Kaiserin ist nicht die einzige ihres Geschlechtes, die mir vom Throne ihre Hand anbot.
Einige Leute haben die Verleumdung ausgestreuet, Kapitän Phipps sei auf seiner Reise nicht so weit gegangen, als er wohl hätte tun können. Allein hier ist es meine Schuldigkeit, ihn zu verteidigen. Unser Schiff war auf einem recht guten Wege, bis ich es mit einer solchen ungeheuren Menge von Bärenfellen und Schinken belud, dass es Tollheit gewesen sein würde, einen Versuch zu machen weiter zu gehen, da wir nun kaum imstande waren, nur gegen einen etwas frischen Wind zu segeln, geschweige gegen jene Gebirge von Eis, die in den höheren Breiten liegen.
Der Kapitän hat seitdem oft erklärt, wie unzufrieden er sei, dass er keinen Anteil an dem Ruhme dieses Tages habe, den er sehr emphatisch den Bärenfelltag nennt. Dabei beneidet er mich nicht wenig wegen der Ehre dieses Sieges und sucht auf alle Art und Weise dieselbe zu schmälern. Wir haben uns schon öfter hierüber gezankt und sind auch jetzt noch über den Fuß gespannt. Unter andern behauptet er geradezu, ich dürfe mir das nicht zum Verdienst anrechnen, dass ich die Bären betrogen habe, da ich mit einem ihrer Felle bedeckt gewesen sei; er hätte ohne Maske unter sie gehen wollen, und sie hätten ihn doch für einen Bären halten sollen.
Dies ist nun freilich ein Punkt, den ich für allzu zart und spitz halte, als dass ein Mann, der auf gefällige Sitten Anspruch macht, mit irgend jemand, am allerwenigsten mit einem edlen Pair darüber streiten darf.
Neuntes Seeabenteuer
Eine andere Seereise machte ich von England aus mit dem Kapitän Hamilton. Wir gingen nach Ostindien. Ich hatte einen Hühnerhund bei mir, der, wie ich im eigentlichsten Sinne behaupten konnte, nicht mit Gold aufzuwiegen war; denn er betrog mich nie. Eines Tages, da wir, nach den besten Beobachtungen, die wir machen konnten, wenigstens noch dreihundert Meilen vom Lande entfernt waren, markierte mein Hund. Ich sah ihn fast eine volle Stunde mit Erstaunen an und sagte den Umstand dem Kapitän und jedem Offizier am Bord und behauptete, wir müssten dem Lande nahe sein, denn mein Hund witterte Wild. Dies verursachte ein allgemeines Gelächter, durch das ich mich aber in der guten Meinung von meinem Hunde gar nicht irremachen ließ.
Nach vielem Streiten für und wider die Sache erklärte ich endlich dem Kapitän mit der größten Festigkeit, dass ich zu der Nase meines Tray mehr Zutrauen habe als zu den Augen aller Seeleute am Bord, und schlug ihm daher kühn eine Wette von hundert Guineen vor – der Summe, die ich für diese Reise akkordiert hatte —, wir würden in der ersten halben Stunde Wild finden.
Der Kapitän – ein herzensguter Mann – fing wieder an zu lachen und ersuchte Herrn Crawford, unsern Schiffschirurgus, mir den Puls zu fühlen. Er tat es und berichtete, ich wäre vollkommen gesund. Darauf entstand ein Geflüster zwischen beiden, wovon ich indes das meiste deutlich genug verstand.
«Er ist nicht recht bei Sinnen, «sagte der Kapitän;»ich kann mit Ehre die Wette nicht annehmen.»
«Ich bin ganz der entgegengesetzten Meinung«, erwiderte der Chirurgus.»Es fehlt ihm nicht das mindeste. Nur er verläßt sich mehr auf den Geruch seines Hundes als auf den Verstand jedes Offiziers am Bord. – Verlieren wird er auf alle Fälle; aber er verdient es auch.»
«So eine Wette«, fuhr der Kapitän fort,»kann von meiner Seite niemals so ganz redlich sein. Indes, es wird desto rühmlicher für mich sein, wenn ich ihm nachher das Geld wieder zurückgebe.»
Während dieser Unterredung blieb Tray immer in derselben Stellung und bestätigte mich noch mehr in meiner Meinung. Ich schlug die Wette zum zweiten Male vor; und sie wurde angenommen.
Kaum war topp und topp auf beiden Seiten gesagt, als einige Matrosen, die in dem langen Boote, das an das Hinterteil des Schiffes befestigt war, fischten, einen außerordentlich großen Hai erlegten, den sie auch sogleich an Bord brachten. Sie fingen an, den Fisch aufzuschneiden, und – siehe! – da fanden wir nicht weniger als sechs Paar lebendige Rebhühner in dem Magen des Tieres.
Diese armen Geschöpfe waren schon so lange in dieser Lage gewesen, dass eine von den Hennen auf fünf Eiern saß, wovon eines gerade ausgebrütet war, als der Hai geöffnet wurde.
Diesen jungen Vogel zogen wir mit einem Wurfe kleiner Katzen auf, die wenige Minuten vorher zur Welt gekommen waren. Die alte Katze hatte ihn so lieb als eines ihrer vierbeinigen Kinder und tat immer erstaunend übel, wenn das Huhn etwas zu weit wegflog und nicht gleich wieder zurückkommen wollte. – Unter den übrigen Rebhühnern hatten wir vier Hennen, von denen immer eine oder mehrere saßen, so dass wir während unserer ganzen Reise beständig einen Überfluß von Wildbret auf des Kapitäns Tafel hatten. – Dem armen Tray ließ ich, zum Danke für die hundert Guineen, die ich durch ihn gewonnen hatte, täglich die Knochen geben und bisweilen auch einen ganzen Vogel.