An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang mitten unter seine tollgewordenen Gäste. »Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder?« rief er, indem er die Betenden vom Boden emporriß. »Wehe, wenn euch jemand anderes zusähe als Zarathustra:
Jeder würde urteilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten Gotteslästerer oder die törichtsten aller alten Weiblein!
Und du selber, du alter Papst, wie stimmt das mit dir selber zusammen, daß du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?« —
»O Zarathustra«, antwortete der Papst, »vergib mir, aber in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Und so ist’s billig.
Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du errätst geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit.
Der, welcher sprach ›Gott ist ein Geist‹ – der machte bisher auf Erden den größten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden nicht leicht wieder gutzumachen!
Mein altes Herz springt und hüpft darob, daß es auf Erden noch etwas anzubeten gibt. Vergib das, o Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen! —«
– »Und du«, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, »du nennst und wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- und Pfaffendienst?
Schlimmer, wahrlich, treibst du’s hier noch als bei deinen schlimmen braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!«
»Schlimm genug«, antwortete der Wanderer und Schatten, »du hast recht: aber was kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, o Zarathustra, du magst reden, was du willst.
Der häßlichste Mensch ist an allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und wenn er sagt, daß er ihn einst getötet habe: Tod ist bei Göttern immer nur ein Vorurteil.«
– »Und du«, sprach Zarathustra, »du schlimmer alter Zauberer, was tatest du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn du an solche Götter-Eseleien glaubst?
Es war eine Dummheit, was du tatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche Dummheit tun!«
»O Zarathustra«, antwortete der kluge Zauberer, »du hast recht, es war eine Dummheit – sie ist mir auch schwer genug geworden.«
– »Und du gar«, sagte Zarathustra zu dem Gewissenhaften des Geistes, »erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn nichts wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für dies Beten und den Dunst dieser Betbrüder?«
»Es ist etwas daran«, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die Nase, »es ist etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohltut. Vielleicht, daß ich an Gott nicht glauben darf: gewiß aber ist, daß Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt.
Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel Zeit hat, läßt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: damit kann ein solcher es doch sehr weit bringen.
Und wer des Geistes zuviel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- und Narrheit selber vernarren. Denke über dich selber nach, o Zarathustra!
Du selber – wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluß und Weisheit zu einem Esel werden.
Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der Augenschein lehrt es, o Zarathustra – dein Augenschein!«
»Und du selber zuletzt«, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den häßlichsten Menschen der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht!
Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen liegt um deine Häßlichkeit: was tatest du?
Ist es denn wahr, was jene sagen, daß du ihn wieder auferwecktest? Und wozu? War er nicht mit Grund abgetötet und abgetan?
Du selber dünkst mich aufgeweckt: was tatest du? was kehrtest du um? Was bekehrtest du dich? Sprich, du Unaussprechlicher!«
»O Zarathustra«, antwortete der häßlichste Mensch, »du bist ein Schelm!
Ob der noch lebt oder wieder lebt oder gründlich tot ist – wer von uns beiden weiß das am besten? Ich frage dich.
Eins aber weiß ich – von dir selber lernte ich’s einst, o Zarathustra: wer am gründlichsten töten will, der lacht.
›Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man‹ – so sprachst du einst. O Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefährlicher Heiliger – du bist ein Schelm!«
Da aber geschah es, daß Zarathustra, verwundert über lauter solche Schelmen-Antworten, zur Tür seiner Höhle zurücksprang und, gegen alle seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie:
»O ihr Schalks-Narren allesamt, ihr Possenreißer! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir!
Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, daß ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm —
– daß ihr endlich wieder tatet, wie Kinder tun, nämlich betetet, händefaltetet und ›lieber Gott‹ sagtet!
Aber nun laßt mir diese Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draußen euren heißen Kinder-Übermut und Herzenslärm ab!
Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in das Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach oben.)
Aber wir wollen auch gar nicht ins Himmelreich: Männer sind wir worden – so wollen wir das Erdenreich.«
Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. »O meine neuen Freunde«, sprach er – »ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun —
– seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich alle aufgeblüht: mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, tun neue Feste not,
– ein kleiner tapferer Unsinn, irgendein Gottesdienst und Eselsfest, irgendein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell bläst.
Vergeßt diese Nacht und dieses Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! Das erfandet ihr bei mir, das nehme ich als gutes Wahrzeichen – solcherlei erfinden nur Genesende!
Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, tut’s euch zuliebe, tut’s auch mir zuliebe! Und zu meinem Gedächtnis!«
Also sprach Zarathustra.
Inzwischen aber war einer nach dem andern hinausgetreten ins Freie und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte den häßlichsten Menschen an der Hand, daß er ihm seine Nacht-Welt und den großen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle zeige. Da standen sie endlich still beieinander, lauter alte Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, daß es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen näher und näher ans Herz. Und von neuem dachte Zarathustra bei sich: »O wie gut sie mir nun gefallen, diese höheren Menschen!« – aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück und ihr Stillschweigen. —
Da aber geschah das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste war: der häßlichste Mensch begann noch einmal und zum letztenmal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche allen, die ihm zuhörten, das Herz im Leibe bewegte.
»Meine Freunde insgesamt«, sprach der häßlichste Mensch, »was dünket euch? Um dieses Tags willen – ich bin’s zum ersten Male zufrieden, daß ich das ganze Leben lebte.
Und daß ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der Erde zu leben: ein Tag, ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben.
›War das – das Leben?‹ will ich zum Tode sprechen. ›Wohlan! Noch einmal!‹
Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: War das – das Leben? Um Zarathustras willen, wohlan! Noch einmal!« – —
Also sprach der häßlichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, daß damals sich zutrug? Sobald die höheren Menschen seine Frage hörten, wurden sie sich mit einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewußt, und wer ihnen dieselbe gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines jeden eigen war: also daß einige lachten, einige weinten. Der alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, damals voll süßen Weines war, so war er gewißlich noch voller des süßen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es gibt sogar solche, die erzählen, daß damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst nämlich habe ihm der häßlichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Dies mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals größere und seltsamere Wunderdinge, als es das Tanzen eines Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustras lautet: »Was liegt daran!«
Zarathustra aber, als sich dies mit dem häßlichsten Menschen zutrug, stand da wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Füße schwankten. Und wer möchte auch erraten, welche Gedanken dabei über Zarathustras Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam »auf hohem Joche«, wie geschrieben steht, »zwischen zwei Meeren,
– zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd«. Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien etwas zu hören: da legte er den Finger an den Mund und sprach: »Kommt!«
Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte danach, gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: »Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!« – und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und alles horchte, auch der Esel, und Zarathustras Ehrentiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle Zarathustras und der große kühle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach:
Kommt! Kommt! Kommt! Laßt uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: laßt uns in die Nacht wandeln!
Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch etwas in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir ins Ohr sagt —
– so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als ein Mensch:
– welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte – ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!
Still! Still! Da hört sich manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille ward —
– nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!
– hörst du’s nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht?
O Mensch, gib acht!
Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schläft —
Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt.
Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! Der Tau fällt, die Stunde kommt —
– die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: »Wer hat Herz genug dazu?
– wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr großen und kleinen Ströme!«
die Stunde naht: o Mensch, du höherer Mensch, gib acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren – was spricht die tiefe Mitternacht?
Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?
Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel.
Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei: Wein ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.
Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber:
»Erlöst doch die Toten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?«
Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde —
– es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief!
Süße Leier! Süße Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! – wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!
Du alte Glocke, du süße Leier! Jeder Schmerz riß dir ins Herz, Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz; deine Rede wurde reif —
– reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen – nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube bräunt,
– nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht ihr’s nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf,
– ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glücke,
– von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht!
Laß mich! Laß mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben vollkommen?
Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Laß mich, du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller?
Die Reinsten sollen der Erde Herr sein, die Unerkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag.
O Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer?
O Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump —
– habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, greift nach irgendeinem Gotte, greift nicht nach mir:
– mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh.
Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süße Leier —
eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die niemand versteht, aber welche reden muß, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!
Dahin! Dahin! O Jugend! O Mittag! O Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht – der Hund heult, der Wind:
– ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht!
Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrank wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück?
– ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.
Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest —: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit?
»Was vollkommen ward, alles Reife – will sterben!« so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe!
Weh spricht: »Vergeh! Weg, du Wehe!« Aber alles, was leidet, will leben, daß es reif werde und lustig und sehnsüchtig,
– sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. »Ich will Erben«, so spricht alles, was leidet, »ich will Kinder, ich will nicht mich« —
Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder – Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Allessichewig-gleich.
Weh spricht: »Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!« Wohlan! Wohlauf! O mein altes Herz: Weh spricht: »Vergeh!«
Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke?
Ein Tropfen Taus? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr’s nicht? Riecht ihr’s nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag —
Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne – geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
Sagtet ihr jemals ja zu einer Lust? O meine Freunde, so sagtet ihr ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt —
– wolltet ihr jemals einmal zweimal, spracht ihr jemals »Du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!« so wolltet ihr alles zurück!
– Alles von neuem, alles ewig, alles verkettet, verfädelt, verliebt, o so liebtet ihr die Welt —
– ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will – Ewigkeit!
Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Tränen-Trost, will vergüldetes Abendrot —
– was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will sich, sie beißt in sich, des Ringes Wille ringt in ihr – – sie will Liebe, sie will Haß, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, bettelt, daß einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehaßt sein —
– so reich ist Lust, daß sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Haß, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt – denn diese Welt, o ihr kennt sie ja!
Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, selige – nach eurem Weh, ihr Mißratenen! Nach Mißratenem sehnt sich alle ewige Lust.
Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! O Glück, o Schmerz! O brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,
– Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Lerntet ihr nun mein Lied? Errietet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang!
Singt mir nun selber das Lied, des Name ist »Noch einmal«, des Sinn ist »In alle Ewigkeit!« – singt, ihr höheren Menschen, Zarathustras Rundgesang!
O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief —
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: —
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh —
Lust— tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit —
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«