Mit solchen Rätseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz überwunden —: siegreich und mit festen Füßen stand er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen:
Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich.
Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags auch zum anderen Male zur Stunde, da alles Licht stiller wird.
Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: vor Glück ist alles Licht jetzt stiller worden.
O Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch mein Glück zu Tale, daß es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen.
O Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, daß ich eins hätte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und dies Morgenlicht meiner höchsten Hoffnung.
Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder seiner Hoffnung: und siehe, es fand sich, daß er sie nicht finden könne, es sei denn, er schaffe sie selber erst.
Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muß Zarathustra sich selbst vollenden.
Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo große Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich’s.
Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe beieinander stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume meines Gartens und besten Erdreichs.
Und wahrlich! Wo solche Bäume beieinanderstehn, da sind glückselige Inseln!
Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein stellen: daß er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht.
Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere dastehn, ein lebendiger Leuchtturm unbesiegbaren Lebens.
Dort, wo die Stürme hinab ins Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu seiner Prüfung und Erkenntnis.
Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft ist – ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, und nachgebend also, daß er im Geben nimmt: —
– daß er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustras —: ein solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung.
Und um seinetwillen und seinesgleichen muß ich selber mich vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich allem Unglücke an – zu meiner letzten Prüfung und Erkenntnis.
Und wahrlich, Zeit war’s, daß ich ging; und des Wanderers Schatten und die längste Weile und die stillste Stun-de – – alle redeten mir zu: »Es ist höchste Zeit!«
Der Wind blies mir durchs Schlüsselloch und sagte: »Komm!« Die Tür sprang mir listig auf und sagte »Geh!«
Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, daß ich meiner Kinder Beute würde und mich an sie verlöre.
Begehren – das heißt mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine Kinder! In diesem Haben soll alles Sicherheit und nichts Begehren sein.
Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte Zarathustra – da flogen Schatten und Zweifel über mich weg.
Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: »O daß Frost und Winter mich wieder knacken und knirschen machten!« seufzte ich: – da stiegen eisige Nebel aus mir auf.
Meine Vergangenheit brach ihre Gräber, manch lebendig begrabner Schmerz wachte auf —: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-Gewänder.
Also rief mir alles in Zeichen zu: »Es ist Zeit!« Aber ich – hörte nicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich biß.
Ach, abgründlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann finde ich die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern?
Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! Dein Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender!
Noch wagte ich niemals, dich herauf zu rufen: genug schon, daß ich dich mit mir – trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten Löwen-Übermute und -Mutwillen.
Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich heraufruft!
Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch des Größeren noch überwinden; und ein Sieg soll meiner Vollendung Siegel sein! —
Inzwischen treibe ich noch auf Ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich – noch schaue ich kein Ende.
Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht – oder kommt sie mir wohl eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings Meer und Leben an!
O Nachmittag meines Lebens! O Glück vor Abend! O Hafen auf hoher See! O Friede im Ungewissen! Wie mißtraue ich euch allen!
Wahrlich, mißtrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit ! Dem Liebenden gleiche ich, der allzu samtenem Lächeln mißtraut.
Wie er die Geliebteste vor sich her stößt, zärtlich noch in seiner Härte, der Eifersüchtige – also stoße ich diese selige Stunde vor mir her.
Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: – zur Unzeit kamst du!
Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort – bei meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit meinem Glücke!
Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin – mein Glück! —
Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: »Das Glück läuft mir nach. Das kommt davon, daß ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück aber ist ein Weib.«
O Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor göttlichen Begierden.
In deine Höhe mich zu werfen – das ist meine Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen – das ist meine Unschuld!
Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest nicht: so kündest du mir deine Weisheit.
Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele.
Daß du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, daß du stumm zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit:
O wie erriete ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten.
Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam.
Wir reden nicht zueinander, weil wir zu vieles wissen – : wir schweigen uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu.
Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die Schwester-Seele zu meiner Einsicht?
Zusammen lernten wir alles; zusammen lernten wir über uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos lächeln: —
– wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen.
Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele in Nächten und Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen?
Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Not war’s nur und ein Behelf des Unbeholfenen: – fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein fliegen!
Und wen haßte ich mehr als ziehende Wolken und alles, was dich befleckt? Und meinen eignen Haß haßte ich noch, weil er dich befleckte!
Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist – das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amensagen.
Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb-und-Halben, welche weder segnen lernten noch von Grund aus fluchen.
Lieber will ich noch unter verschloßnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt sehn!
Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten festzuheften, daß ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schlüge: —
– ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! – weil sie dir mein ]a! und Amen! rauben.
Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese bedächtige zweifelnde Katzen Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten alle Leisetreter und Halb-und-Halben und zweifelnde, zögernde Zieh-Wolken.
Und »wer nicht segnen kann, der soll fluchen lernen!« – diese helle Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen Nächten an meinem Himmel.
Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-Sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! – in alle Abgründe trage ich da noch mein segnendes Ja-Sagen.
Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-Sagenden: und dazu rang ich lange und war ein Ringer, daß ich einst die Hände frei bekäme zum Segnen.
Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer also segnet!
Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Trübsale und Zieh-Wolken.
Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: »Über allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der Himmel Übermut.«
»Von Ohngefähr« – das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.
Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, daß über ihnen und durch sie kein »ewiger Wille« —will.
Diesen Übermut und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: »Bei allem ist eins unmöglich – Vernünftigkeit!«
Ein wenig Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu Stern – dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt!
Ein wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: daß sie lieber noch auf den Füßen des Zufalls – tanzen.
O Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, daß es keine ewige Vernunft-Spinne undSpinnennetze gibt: —
– daß du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, daß du mir ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! —
Doch du errötest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?
Oder ist es die Scham zu zweien, welche dich erröten machte? – Heißest du mich gehn und schweigen, weil nun – der Tag kommt?
Die Welt ist tief —: und tiefer, als je der Tag gedacht hat. Nicht alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun!
O Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! O du mein Glück vor Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! —
Also sprach Zarathustra.