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Heinrich Böll wurde am 21.12.1917 in Köln als Sohn eines Tischlermeisters und Bildhauers geboren. Während der Kindheits- und Jugendjahre wechselte die Familie mehrfach die Wohnung innerhalb des Kölner Stadtgebiets, wodurch Böll intensiv mit Geschichte, Tradition und sozialem Klima der rheinischen Metropole in Berührung kam. Zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern erlebte er zunächst 1930 die Weltwirtschaftskrise, die seinen Vater, wie auch viele andere Selbstständige, ruiniert hatte. Drei Jahre später wurde er Zeitzeuge der Übernahme der Macht in Deutschland durch die Nationalsozialisten.
Böll fing nach eigenen Zeugnissen sehr früh an zu lesen, besonders die erzählerischen Gesellschaftspanoramen der Weltliteratur des 19. Jahrhunderts: die Romane Balzacs, Dickens und Dostojewskis, die sicher nicht ohne Einfluss auf Bölls eigene erzählerische Familien- und Gruppen-„Bilder“ bis hin zum Spätwerk blieben. Hinzu trat das Kennenlernen des französischen renouveau catholique, der Kritik am kirchlichen verhärteten Christentum bei Leon Bloy, Georges Bernanos und Charles Peguy. Böll selbst verwies immer wieder auf deutsche Autoren, die ihm wichtig wurden: Kleist, Hölderlin, Hebel, Kafka. Mit 17 begann er zu schreiben. Doch seine frühen Werke verbrannten bei einem Kölner Luftangriff.
Nach dem Abitur (1937) begann Böll eine Lehre im Buchhandel der Firma Matthias Lempertz in Bonn, die drei Jahre dauerte. Im Herbst 1938 bis zum Frühjahr 1939 musste Böll den Reichsarbeitsdienst als Vorbedingung für das Universitätsstudium ableisten. Zum Sommersemester desselben Jahres immatrikulierte sich Böll an der Universität zu Köln und belegte die Fächer Germanistik und klassische Philologie. Doch schon im Juni 1939 wurde er zur Armee eingezogen. Er erlitt den Krieg an westlichen und östlichen Fronten und zunehmend in Deutschland selbst. Böll registrierte den Krieg und lernte ihn hassen als ein enthumanisierendes Chaos aus Egoismus, lächerlichem Herrenwahn, Profitgier, Tränen, Schrecken, Dreck, Langeweile und sinnlosem Leid.
Im Mai 1940 musste er in eine Garnison nach Polen. Ende Juni desselben Jahres kam er als Infanterist nach Frankreich. 1942 heiratete Böll Annemarie Cech und arbeitete schließlich als Dolmetscher bei der Ortskommandatur in einem französischen Badeort. Im Sommer 1943 fuhr Böll als Soldat nach Russland. Der Zug, mit dem er fuhr, explodierte und Böll wurde an der rechten Hand verletzt. Er wurde ins Lazarett nach Deutschland gebracht, nach 14 Tagen musste er aber bereits wieder nach Russland. Inzwischen arbeitete Annemarie als Lehrerin an einer Mittelschule. Im Dezember 1943 traff ein Granatsplitter Böll am Kopf, woraufhin er bis Mai 1944 im Lazarett in Odessa lag. Im August 1944 fälschte Böll nach einer Rückenverletzung durch eine Handgranate einen Befehl, wodurch er schließlich nach Metz geschickt wurde, was jedoch niemand bemerkte. Nach einem kurzen Urlaub musste er weiter an der Ostfront dienen. Im April 1945 wurde er von den Amerikanern gefangengenommen. Am 8.5.1945 kapitulierte Deutschland, Böll und die übrigen Gefangenen wurden freigelassen.
Im November 1945 kehrte Böll aus der Kriegsgefangenschaft nach Köln heim. Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren für Böll eine harte Zeit. Auf der einen Seite musste er Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren, die sich schnell vergrößerte: Zwischen 1947 und 1950 wurden seine drei Söhne Raimund, René und Vincent geboren. Auf der anderen Seite wollte er seinen Traum vom Schreiben als Lebensinhalt nicht aufgeben. Um Lebensmittelkarten zu erhalten, immatrikulierte er sich an der Universität, arbeitete zeitweise in der von einem seiner Brüder fortgeführten Schreinerei, während Annemarie Böll als Lehrerin unterrichtete.
Seine erste publizierte Erzählung, Aus der „Vorzeit“, erschien am 3. Mai 1947 im Rheinischen Merkur, gekürzt von achtzehn Manuskriptseiten auf eineinhalb. 1949 veröffentlichte er den Roman Der Zug war pünktlich, der ebenso wie Wo warst du, Adam? (1951) das Erlebnis des Krieges behandelte. Im Mittelpunkt der beiden folgenden Romane – Und sagte kein einziges Wort (1953) und Haus ohne Hüter (1954) – stand das durch unzulängliche Lebensbedingungen gefährdete Familienleben.
Im Mai 1951 wurde er zur 8.Tagung der berühmten Gruppe 47 eingeladen. Er las „Die schwarzen Schafe“ und gewann 1000 DM. Fortan lebte Böll als freier Schriftsteller. 1952 wurde er Dritter beim Erzählerpreis des Süddeutschen Rundfunks, gewann den Deutschen Kritikerpreis 1953, die Ehrengabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie 1954, den Preis der „Tribune de Paris“ 1955 und wurde 1953 zum Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt.
Betrachtet man sein Leben in den folgenden Jahrzehnten, dann stellt man einige auffällige Momente und Wesenszüge im Leben von Heinrich Böll fest. Da ist zuerst und vor allem seine geradezu unwahrscheinlich anmutende Produktivität. Der Erzähler Böll hat nicht nur viel auf dem Herzen; er erlebt auch die sich verändernde Welt, indem er schreibt. Da sind seine weit über hundert Kurzgeschichten, Satiren, viele kleinere und bis zu romanhafter Länge reichende große Erzählungen. Da sind seine Romane Billard um halb zehn (1959), Ansichten eines Clowns (1963), Dr.Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satiren (1958), die Erzählung Ende einer Dienstfahrt (1966), Gruppenbild mit Dame (1971), Fürsorgliche Belagerung (1979) sowie der kurz nach seinem Tod erschienene Roman Frauen vor Flußlandschaft. Darüber hinaus schrieb er sein viel gelesenes Irisches Tagebuch (1957) (er ging für ein dreiviertel Jahr nach Irland, seine Familie nahm er wie gewöhnlich mit), unzählige Essays, Artikel und Rezensionen. Nicht vergessen darf man seine Hörspiele und Hörbilder sowie die Übersetzungen, die er oft gemeinsam mit seiner Frau erarbeitete. Auch auf dem Gebiet des Theaters versuchte er sich, wovon zum Beispiel das im Dezember 1961 uraufgeführte Stück Ein Schluck Erde zeugt. Viele seiner Arbeiten, wie zum Beispiel Das Brot der frühen Jahre, Ansichten eines Clowns, Ende einer Dienstfahrt oder Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurden sowohl inszeniert als auch verfilmt.
Ende der sechziger Jahre erkrankte Böll. Häufige Sanatorien – Aufenthalte in der Schweiz, die er seit 1976 unternahm, brachten keine endgültige Besserung. Als er Ende 1979 mit seiner Frau zu seinem Sohn Vincent nach Quito in Ecuador reiste, kam es zum Zusammenbruch. Er musste sich einer komplizierten Operation unterziehen. Nach seiner Rückkehr 1980 nach Deutschland kam es zu der zweiten schweren Operation mit mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt. Als er 1985 erneut operiert werden musste, starb er nur einen Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus – am 16. Juli 1985 – in seinem Haus in Langenbroich. Beigesetzt wurde Heinrich Böll auf dem Friedhof von Bornheim-Merten.
Im Jahre 1958 schrieb Heinrich Böll den kleinen Aufsatz „Über mich selbst“, der die geistigen und sozialen Wurzeln seiner Existenz sichtbar macht:
„Geboren bin ich in Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit überdrüssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee zufließt; wo weltliche Macht nie so recht ernst genommen worden ist, geistliche Macht weniger ernst, als man gemeinhin in deutschen Landen glaubt; wo man Hitler mit Blumentöpfen bewarf, Göring öffentlich verlachte, den blutrünstigen Gecken, der es fertigbrachte, sich innerhalb einer Stunde in drei verschiedenen Uniformen zu präsentieren; ich stand, zusammen mit Tausenden Kölner Schulkindern Spalier, als er in der dritten Uniform, einer weißen, durch die Stadt fuhr; ich ahnte, dass der bürgerliche Unernst der Stadt gegen die neu heraufziehende Mechanik des Unheils nichts ausrichten würde; geboren in Köln, das seines gotischen Domes wegen berühmt ist, es aber mehr seiner romanischen Kirchen wegen sein müsste; das die älteste Judengemeinde Deutschlands beherbergte und sie preisgab; Bürgersinn und Humor richteten gegen das Unheil nichts aus, jener Humor, so berühmt wie der Dom, in seiner offiziellen Erscheinungsform schreckenerregend, auf der Straße manchmal von Größe und Weisheit.
Geboren in Köln, am 21. Dezember 1917, während mein Vater als Landsturmmann Brückenwache schob; im schlimmsten Hungerjahr des Weltkrieges wurde ihm das achte Kind geboren; zwei hatte er schon früh beerdigen müssen; während mein Vater den Krieg verfluchte und den kaiserlichen Narren, den er mir später als Denkmal zeigte. „Dort oben“, sagte er, „reitet er immer noch auf seinem Bronzegaul westwärts, während er doch schon so lange in Doorn Holz hackt“; immer noch reitet er auf seinem Bronzegaul westwärts. Meine väterlichen Vorfahren kamen vor Jahrhunderten von den Britischen Inseln, Katholiken, die der Staatsreligion Heinrichs VIII. die Emigration vorzogen. Sie waren Schiffszimmerleute, zogen von Holland herauf rheinaufwärts, lebten immer lieber in Städten als auf dem Land, wurden, so weit von der See entfernt, Tischler. Die Vorfahren mütterlicherseits waren Bauern und Bierbrauer; eine Generation war wohlhabend und tüchtig, dann brachte die nächste den Verschwender hervor, war die übernächste arm, brachte wieder den Tüchtigen hervor, bis sich im letzten Zweig, aus dem meine Mutter stammte, alle Weltverachtung sammelte und der Name erlosch.
Meine erste Erinnerung: Hindenburgs heimkehrende Armee, grau, ordentlich, trostlos zog sie mit Pferden und Kanonen an unserem Fenster vorüber; vom Arm meiner Mutter aus blickte ich auf die Straße, wo die endlosen Kolonnen auf die Rheinbrücken zumarschierten; später: die Werkstatt meines Vaters: Holzgeruch, der Geruch von Leim, Schellack und Beize; der Anblick frischgehobelter Bretter, das Hinterhaus einer Mietskaserne, in der die Werkstatt lag; mehr Menschen, als in manchem Dorf leben, lebten dort, sangen, schimpften, hängten ihre Wäsche auf die Recks; noch später: die klangvollen germanischen Namen der Straßen, in denen ich spielte: Teutoburger -, Eburonen -, Veledastraße, und die Erinnerung an Umzüge, wie mein Vater sie liebte, Möbelwagen, biertrinkende Packer, das Kopfschütteln meiner Mutter, die ihren Herd liebte, auf dem sie das Kaffeewasser immer kurz vor dem Siedepunkt zu halten verstand. Nie wohnten wir weit vom Rhein entfernt, spielten auf Flößen, in alten Festungsgräben, in Parks, deren Gärtner streikten; Erinnerung an das erste Geld, das ich in die Hand bekam, es war ein Schein, der eine Ziffer trug, die Rockefellers Konto Ehre gemacht hätte: 1 Billion Mark; ich bekam eine Zuckerstange dafür; mein Vater holte die Lohngelder für seine Gehilfen in einem Leiterwagen von der Bank; wenige Jahre später waren die Pfennige der stabilisierten Mark schon knapp, Schulkameraden bettelten mich in der Pause um ein Stück Brot an; ihre Väter waren arbeitslos; Unruhen, Streiks, rote Fahnen, wenn ich durch die am dichtesten besiedelten Viertel Kölns mit dem Fahrrad in die Schule fuhr; wieder einige Jahre später waren die Arbeitslosen untergebracht, sie wurden Polizisten, Soldaten, Henker, Rüstungsarbeiter – der Rest zog in die Konzentrationslager; die Statistik stimmte, die Reichsmark floß in Strömen; bezahlt wurden die Rechnungen später, von uns, als wir, inzwischen unversehens Männer geworden, das Unheil zu entziffern versuchten und die Formel nicht fanden; die Summe des Leidens war zu groß für die wenigen, die eindeutig als schuldig zu erkennen waren; es blieb ein Rest, der bis heute nicht verteilt ist.
Schreiben wollte ich immer, versuchte es schon früh, fand aber die Worte erst später.“