Wie Fürst Barsanuph Leipziger Lerchen und Danziger Goldwasser frühstückte, einen Butterfleck auf die Kasimirhose bekam und den Geheimen Sekretär Zinnober zum Geheimen Spezialrat erhob. – Die Bilderbücher des Doktors Prosper Alpanus. – Wie ein Portier den Studenten Fabian in den Finger biss, dieser ein Schleppkleid trug und deshalb verhöhnt wurde. – Balthasars Flucht.
Es ist nicht länger zu verhehlen, dass der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, bei dem Herr Zinnober als Geheimer Expedient angenommen, ein Abkömmling jenes Barons Prätextatus von Mondschein war, der den Stammbaum der Fee Rosabelverde in den Turnierbüchern und Chroniken vergebens suchte. Er hieß wie sein Ahnherr Prätextatus von Mondschein, war von der feinsten Bildung, den angenehmsten Sitten, verwechselte niemals das Mich und Mir, das Ihnen und Sie, schrieb seinen Namen mit französischen Lettern sowie überhaupt eine leserliche Hand und arbeitete sogar zuweilen selbst, vorzüglich wenn das Wetter schlecht war. Fürst Barsanuph, ein Nachfolger des großen Paphnutz, liebte ihn zärtlich, denn er hatte auf jede Frage eine Antwort, spielte in den Erholungsstunden mit dem Fürsten Kegel, verstand sich herrlich aufs Geld-Negoz und suchte in der Gavotte seinesgleichen.
Es gab sich, dass der Baron Prätextatus von Mondschein den Fürsten eingeladen hatte zum Frühstück auf Leipziger Lerchen und ein Gläschen Danziger Goldwasser. Als er nun hinkam in Mondscheins Haus, fand er im Vorsaal unter mehreren angenehmen diplomatischen Herren den kleinen Zinnober, der, auf seinem Stock gestemmt, ihn mit seinen Äugelein anfunkelte und, ohne sich weiter an ihn zu kehren, eine gebratene Lerche ins Maul steckte, die er soeben vom Tische gemaust. Sowie der Fürst den Kleinen erblickte, lächelte er ihn gnädig an und sprach zum Minister: «Mondschein! was haben Sie da für einen kleinen, hübschen, verständigen Mann in Ihrem Hause? – Es ist gewisss derselbe, der die wohl stilisierten und schön geschriebenen Berichte verfertigt, die ich seit einiger Zeit von Ihnen erhalte?» «Allerdings, gnädigster Herr,» erwiderte Mondschein. «Mir hat das Geschick ihn zugeführt als den geistreichsten, geschicktesten Arbeiter in meinem Bureau. Er nennt sich Zinnober, und ich empfehle den jungen herrlichen Mann ganz vorzüglich Ihrer Huld und Gnade, mein bester Fürst! – Erst seit wenigen Tagen ist er bei mir.» «Und ebendeshalb,» sprach ein junger hübscher Mann, der sich indessen genähert, «und ebendeshalb hat, wie Ew. Exzellenz zu bemerken erlauben werden, mein kleiner Kollege noch gar nichts expediert. Die Berichte, die das Glück hatten, von Ihnen, mein durchlauchtigster Fürst, mit Wohlgefallen bemerkt zu werden, sind von mir verfasst.» Was wollen Sie!» fuhr der Fürst ihn zornig an. – Zinnober hatte sich dicht an den Fürsten geschoben und schmatzte, die Lerche verzehrend, vor Gier und Appetit. – Der junge Mensch war es wirklich, der jene Berichte verfasst, aber: «Was wollen Sie,» rief der Fürst, «Sie haben ja noch gar nicht die Feder angerührt? – Und dass Sie dicht bei mir gebratene Lerchen verzehren, so dass, wie ich zu meinem großen Ärger bemerken muss, meine neue Kasimirhose bereits einen Butterfleck bekommen, dass Sie dabei so unbillig schmatzen, ja! – alles das beweiset hinlänglich Ihre völlige Untauglichkeit zu jeder diplomatischen Laufbahn! – Gehen Sie fein nach Hause und lassen Sie sich nicht wieder vor mir sehen, es sei denn, Sie brächten mir eine nützliche Fleckkugel für meine Kasimirhose. – Vielleicht wird mir dann wieder gnädig zumute!» Dann zum Zinnober: «Solche Jünglinge, wie Sie, werter Zinnober, sind eine Zierde des Staats und verdienen ehrenvoll ausgezeichnet zu werden! – Sie sind Geheimer Spezialrat, mein Bester!» – «Danke schönstens,» schnarrte Zinnober, indem er den letzten Bissen hinunterschluckte und sich das Maul wischte mit beiden Händchen, «danke schönstens, ich werd’ das Ding schon machen, wie es mir zukommt.»
«Wackres Selbstvertrauen,» sprach der Fürst mit erhobener Stimme, «wackres Selbstvertrauen zeugt von der innern Kraft, die dem würdigen Staatsmann inwohnen muss!» – Und auf diesen Spruch nahm der Fürst ein Schnäpschen Goldwasser, welches der Minister selbst ihm darreichte und das ihm sehr wohl bekam. – Der neue Rat musste Platz nehmen zwischen dem Fürsten und Minister. Er verzehrte unglaublich viel Lerchen und trank Malaga und Goldwasser durcheinander und schnarrte und brummte zwischen den Zähnen und hantierte, da er kaum mit der spitzen Nase über den Tisch reichen konnte, gewaltig mit den Händchen und Beinchen.
Als das Frühstück beendigt, riefen beide, der Fürst und der Minister: «Er ist ein englischer Mensch, dieser Geheime Spezialrat!» – «Du siehst,» sprach Fabian zu seinem Freunde Balthasar, «du siehst so fröhlich aus, deine Blicke leuchten in besonderen Feuer. – Du fühlst dich glücklich? – Ach, Balthasar, du träumst vielleicht einen schönen Traum, aber ich muss dich daraus erweckendes ist Freundes Pflicht!»
«Was hast du, was ist geschehen?» fragte Balthasar bestürzt.
«Ja,» fuhr Fabian fort, «ja! – ich muss es dir sagen! Fasse dich nur, mein Freund! – Bedenke, dass vielleicht kein Unfall in der Welt schmerzlicher trift und doch leichter zu verwinden ist, als eben dieser! – Candida»
«Um Gott,» schrie Balthasar entsetzt, «Candida! – was ist mit Candida? – ist sie hin – ist sie tot?»
«Ruhig,» sprach Fabian weiter, «ruhig, mein Freund! – nicht tot ist Candida, aber so gut als tot für dich! – Wisse, dass der kleine Zinnober Geheimer Spezialrat geworden und so gut als versprochen ist mit der schönen Candida, die, Gott weiß wie, in ihn ganz vernarrt sein soll.»
Fabian glaubte, dass Baltasar nun losbrechen werde in ungestüme, verzweiflungsvolle Klagen und Verwünschungen. Statt dessen sprach er mit ruhigem Lächeln: «Ist es nichts weiter als das, so gibt es keinen Unfall, der mich betrüben könnte.»
«Du liebst Candida nicht mehr?» fragte Fabian voll Erstaunen.
«Ich liebe,» erwiderte Balthasar, «ich liebe das Himmelskind, das herrliche Mädchen mit aller Inbrunst, mit aller Schwärmerei, die nur in eines Jünglings Brust sich entzünden kann! Und ich weiß – ach ich weiß es, dass Candida mich wieder liebt, dass nur ein verruchter Zauber sie umstrickt hält, aber bald löse ich die Bande dieses Hexenwesens, bald vernichte ich den Unhold, der die Arme betört.»
Balthasar erzählte nun dem Freunde ausführlich von dem wunderbaren Mann, dem er in dem seltsamsten Fuhrwerk im Walde begegnet. Er schloss damit, dass, sowie aus dem Stockknopf des zauberischen Wesens ein Strahl in seine Brust gefunkelt, der feste Gedanken in ihm aufgegangen, dass Zinnober nichts sei als ein Hexenmännlein, dessen Macht jener Mann vernichten werde.
«Aber,» rief Fabian, als der Freund geendet, «aber Balthasar, wie kannst du nur auf solches tolles, wunderliches Zeug verfallen? – Der Mann, den du für einen Zauberer hältst, ist niemand anders als der Doktor Prosper Alpanus, der unfern der Stadt auf seinem Landhause wohnt. Wahr ist es, dass die wunderlichsten Gerüchte von ihm verbreitet werden, so dass man ihn beinahe für einen zweiten Cagliostro halten möchte; aber daran ist er selbst schuld. Er liebt es, sich in mystisches Dunkel zu hüllen, den Schein eines mit den tiefsten Geheimnissen der Natur vertrauten Mannes anzunehmen, der unbekannten Kräften gebietet, und dabei hat er die bizarrsten Einfälle. So ist zum Beispiel sein Fuhrwerk so seltsam beschaffen, dass ein Mensch, der von lebhafter feuriger Fantasie ist, wie du, mein Freund, wohl dahin gebracht werden kann, alles für eine Erscheinung aus irgendeinem tollen Märchen zu halten. Höre also! – Sein Kabriolett hat die Form einer Muschel und ist über und über versilbert, zwischen den Rädern ist eine Drehorgel angebracht, welche, sowie der Wagen fährt, von selbst spielt. Das, was du für einen Silberfasan hieltest, war gewiss sein kleiner weißgekleideter Jockey, so wie du gewiss die Blätter des ausgespreiteten Sonnenschirms für die Flügeldecken eines Goldkäfers hieltest. Seinen beiden weißen Pferdchen lässt er große Hörner anschrauben, damit es nur recht fabelhaft aussehn soll. Übrigens ist es richtig, dass der Doktor Alpanus ein schönes spanisches Rohr trägt mit einem herrlich funkelnden Kristall, der oben darauf sitzt als Knopf und von dessen wunderlicher Wirkung man viel Fabelhaftes erzählt oder vielmehr lügt. Den Strahl dieses Kristalls soll nämlich kaum ein Auge ertragen. Verhüllt ihn der Doktor mit einem dünnen Schleier und richtet man nun den festen Blick darauf, so soll das Bild der Person, das man in dem innersten Gedanken trägt, außerhalb wie in einem Hohlspiegel erscheinen.» «In der Tat,» fiel Balthasar dem Freunde ins Wort, «in der Tat? Erzählt man das? – Was spricht man denn wohl noch weiter von dem Herrn Doktor Prosper Alpanus?»
«Ach,» erwiderte Fabian, «verlange doch nur nicht, dass ich von den tollen Fratzen und Possen viel reden soll. Du weißt ja, dass es noch bis jetzt abenteuerliche Leute gibt, die der gesunden Vernunft entgegen an alle sogenannte Wunder alberner Ammenmärchen glauben.»
«Ich will dir gestehen,» fuhr Balthasar fort, «dass ich genötigt bin, mich selbst zu der Partie dieser abenteuerlichen Leute ohne gesunde Vernunft zu schlagen. Versilbertes Holz ist kein glänzendes durchsichtiges Kristall, eine Drehorgel tönt nicht wie eine Harmonika, ein Silberfasan ist kein Jockey und ein Sonnenschirm kein Goldkäfer. Entweder war der wunderbare Mann, dem ich begegnete, nicht der Doktor Prosper Alpanus, von dem du sprichst, oder der Doktor herrscht wirklich über die außerordentlichsten Geheimnisse.»
«Um», sprach Fabian, «um dich ganz von deinen seltsamen Träumereien zu heilen, ist es am besten, dass ich dich geradezu hinführe zu dem Doktor Prosper Alpanus. Dann wirst du es selbst verspüren, dass der Herr Doktor ein ganz gewöhnlicher Arzt ist und keineswegs spazieren fährt mit Einhörnern, Silberfasanen und Goldkäfern.»
«Du sprichst,» erwiderte Balthasar, indem ihm die Augen hell auffunkelten, «du sprichst, mein Freund, den innigsten Wunsch meiner Seele aus. – Wir wollen uns nur gleich auf den Weg machen.»
Bald standen sie vor dem verschlossenen Gattertor des Parks, in dessen Mitte das Landhaus des Doktor Alpanus lag. «Wie kommen wir nur hinein?» sprach Fabian. «Ich denke, wir klopfen,» erwiderte Balthasar und fasste den metallenen Klöpfel, der dicht beim Schlosse angebracht war.
Sowie er den Klöpfel aufhob, begann ein unterirdisches Murmeln wie ein ferner Donner und schien zu verhallen in der tiefsten Tiefe. Das Gattertor drehte sich langsam auf, sie traten ein und wanderten fort durch einen langen, breiten Baumgang, durch den sie das Landhaus erblickten. «Spürst du,» sprach Fabian, «hier etwas Außerordentliches, Zauberisches?» «Ich dächte,» erwiderte Balthasar, «die Art, wie sich das Gattertor öffnete, wäre doch nicht so ganz gewöhnlich gewesen, und dann weiß ich nicht, wie mich hier alles so wunderbar, so magisch anspricht. – Gibt es denn wohl auf weit und breit solche herrliche Bäume als eben hier in diesem Park? – Ja, mancher Baum, manches Gebüsch scheint ja mit seinen glänzenden Stämmen und smaragdenen Blättern einem fremden unbekannten Lande anzugehören.»
Fabian bemerkte zwei Frösche von ungewöhnlicher Größe, die schon von dem Gattertor an zu beiden Seiten der Wandelnden mitgehüpft waren. «Schöner Park», rief Fabian, «in dem es solch Ungeziefer gibt!» und bückte sich nieder, um einen kleinen Stein aufzuheben, mit dem er nach den lustigen Fröschen zu werfen gedachte. Beide sprangen ins Gebüsch und guckten ihn mit glänzenden menschlichen Augen an. «Wartet, wartet!» rief Fabian, zielte nach dem einen und warf. In dem Augenblick quäkte aber ein kleines hässliches Weib, das am Wege saß: «Grobian! schmeiß’ Er nicht ehrliche Leute, die hier im Garten mit saurer Arbeit ihr bisschen Brot verdienen müssen.» – «Komm nur, komm,» murmelte Balthasar entsetzt, denn er merkte wohl, dass der Frosch sich gestaltet zum alten Weibe. Ein Blick ins Gebüsch überzeugte ihn, dass der andere Frosch, jetzt ein kleines Männlein geworden, sich mit Ausjäten des Unkrauts beschäftigte.
Vor dem Landhause befand sich ein großer schöner Rasenplatz, auf dem die beiden Einhörner weideten, während die herrlichsten Akkorde in den Lüften erklangen.
«Siehst du wohl, hörst du wohl?» sprach Balthasar.
«Ich sehe nichts weiter,» erwiderte Fabian, «als zwei kleine Schimmel, die Gras fressen, und was so in den Lüften tönt, sind wahrscheinlich aufgehängte Äolsharfen.»
Die herrliche einfache Architektur des mäßig großen, einstöckigen Landhauses entzückte den Balthasar. Er zog an der Klingelschnur, sogleich ging die Türe auf, und ein großer straußartiger, ganz goldgelb gleißender Vogel stand als Portier vor den Freunden.
«Nun seh’,» sprach Fabian zu Balthasar, «nun seh’ einmal einer die tolle Livree! – Will man auch nachher dem Kerl ein Trinkgeld geben, hat er wohl eine Hand, es in die Westentasche zu schieben?»
Und damit wandte er sich zu dem Strauß, packte ihn bei den glänzenden Flaumfedern, die unter dem Schnabel an der Kehle wie ein reiches Jabot sich aufplusterten, und sprach: «Meld’ Er uns bei dem Herrn Doktor, mein scharmanter Freund!» – Der Strauß sagte aber nichts als: «Quirrrr» – und biss den Fabian in den Finger. «Tausend Sapperment,» schrie Fabian, «der Kerl ist doch wohl am Ende ein verfluchter Vogel!»
In demselben Augenblick ging eine innere Türe auf, und der Doktor selbst trat den Freunden entgegen. – Ein kleiner dünner, blasser Mann! – Er trug ein kleines samtnes Mützchen auf dem Haupte, unter dem schönes Haar in langen Locken hervorströmte, ein langes erdgelbes indisches Gewand und kleine rote Schnürstiefelchen, ob mit buntem Pelz oder dem glänzenden Federbalg eines Vogels besetzt, war nicht zu unterscheiden. Auf seinem Antlitz lag die Ruhe, die Gutmütigkeit selbst, nur schien es seltsam, dass, wenn man ihn recht nahe, recht scharf anblickte, es war, als schaue aus dem Gesicht noch ein kleineres Gesichtchen wie aus einem gläsernen Gehäuse heraus.
«Ich erblickte,» sprach nun leise und etwas gedehnt mit anmutigem Lächeln Prosper Alpanus, «ich erblickte Sie, meine Herrn, aus dem Fenster, ich wusste auch wohl schon früher, wenigstens was Sie betrift, lieber Herr Balthasar, dass Sie zu mir kommen würden. Folgen Sie mir gefälligst!»
Prosper Alpanus führte sie in ein hohes rundes Zimmer, rings umher mit himmelblauen Gardinen behängt. Das Licht fiel durch ein oben in der Kuppel angebrachtes Fenster herab und warf seine Strahlen auf den glänzend polierten, von einer Sphinx getragenen Marmortisch, der mitten im Zimmer stand. Sonst war durchaus nichts Außerordentliches in dem Gemach zu bemerken.
«Worin kann ich Ihnen dienen?» fragte Prosper Alpanus.
Da fasste sich Balthasar zusammen, erzählte, was sich mit dem kleinen Zinnober begeben von seinem ersten Erscheinen in Kerepes an, und schloss mit der Versicherung, wie in ihm der feste Gedanke aufgegangen, dass er, Prosper Alpanus, der wohltätige Magus sei, der Zinnobers verworfenem, abscheulichem Zauberwerk Einhalt tun werde.
Prosper Alpanus blieb schweigend in tiefen Gedanken stehen. Endlich, nachdem wohl ein paar Minuten vergangen, begann er mit ernster Miene und tiefem Ton: «Nach allem, was Sie mir erzählt, Balthasar, unterliegt es gar keinem Zweifel, dass es mit dem kleinen Zinnober eine besondere geheimnisvolle Bewandtnis hat. – Aber man muss fürs erste den Feind kennen, den man bekämpfen, die Ursache wissen, deren Wirkung man zerstören will. – Es steht zu vermuten, dass der kleine Zinnober nichts anders ist, als ein Wurzelmännlein. Wir wollen doch gleich nachsehen.»
Damit zog Prosper Alpanus an einer von den seidenen Schnüren, die rund umher an der Decke des Zimmers herabhingen. Eine Gardine rauschte auseinander, große Folianten in ganz vergoldeten Einbänden wurden sichtbar, und eine zierliche, luftig leichte Treppe von Zedernholz rollte hinab. Prosper Alpanus stieg diese Treppe heran und holte aus der obersten Reihe einen Folianten, den er auf den Marmortisch legte, nachdem er ihn mit einem großen Büschel blinkender Pfauenfedern sorgfältig abgestaubt. «Dies Werk,» sprach er dann, «handelt von den Wurzelmännern, die sämtlich darin abgebildet; vielleicht finden Sie Ihren feindlichen Zinnober darunter, und dann ist er in unsere Hände geliefert.»
Als Prosper Alpanus das Buch aufschlug, erblickten die Freunde eine Menge sauber illuminierter Kupfertafeln, die die allerverwunderlichsten missgestaltetsten Männlein mit den tollsten Fratzengesichtern darstellten, die man nur sehen konnte. Aber sowie Prosper eins dieser Männlein auf dem Blatt berührte, wurd’ es lebendig, sprang heraus und gaukelte und hüpfte auf dem Marmortisch gar possierlich umher und schnappte mit den Fingerchen und machte mit den krummen Beinchen die allerschönsten Pirouetten und Entrechats und sang dazu Quirr, Quapp, Pirr, Papp, bis es Prosper bei dem Kopfe ergriff und wieder ins Buch legte, wo es sich alsbald ausglättete und ausplättete zum bunten Bilde.
Auf dieselbe Weise wurden alle Bilder des Buchs durchgesehen, aber so oft schon Balthasar rufen wollte: «Dies ist er, dies ist Zinnober!» so mußte er doch, genauer hinblickend, zu seinem Leidwesen wahrnehmen, dass das Männlein keinesweges Zinnober war.
«Das ist doch wunderlich genug,» sprach Prosper Alpanus, als das Buch zu Ende. – «Doch,» fuhr er fort, «mag Zinnober vielleicht gar ein Erdgeist sein. Sehen wir nach.»
Damit hüpfte er mit seltener Behendigkeit abermals die Zederntreppe herauf, holte einen andern Folianten, stäubte ihn säuberlich ab, legte ihn auf den Marmortisch und schlug ihn auf, sprechend: «Dies Werk handelt von den Erdgeistern, vielleicht haschen wir den Zinnober in diesem Buche.» Die Freunde erblickten wiederum eine Menge sauber illuminierter Kupfertafeln, die abscheulich hässliche braungelbe Unholde darstellten. Und wie sie Prosper Alpanus berührte, erhoben sie weinerlich quäkende Klagen und krochen endlich schwerfällig heraus und wälzten sich knurrend und ächzend auf dem Marmortische herum, bis der Doktor sie wieder hineindrückte ins Buch.
Auch unter diesen hatte Balthasar den Zinnober nicht gefunden.
«Wunderlich, höchst wunderlich,» sprach der Doktor und versank in stummes Nachdenken.
«Der Käferkönig,» fuhr er dann fort, «der Käferkönig kann es nicht sein, denn der ist, wie ich gewiss weiß, eben jetzt anderswo beschäftigt; Spinnenmarschall auch nicht, denn Spinnenmarschall ist zwar hässlich, aber verständig und geschickt, lebt auch von seiner Hände Arbeit, ohne sich andrer Taten anzumaßen. – Wunderlich – sehr wunderlich.»
Er schwieg wieder einige Minuten, so dass man allerlei wunderbare Stimmen, die bald in einzelnen Lauten, bald in vollen anschwellenden Akkorden ringsumher ertönten, deutlich vernahm. «Sie haben überall und immerfort recht artige Musik, lieber Herr Doktor,» sprach Fabian. Prosper Alpanus schien gar nicht auf Fabian zu achten, er fasste nur den Balthasar ins Auge, indem er erst beide Arme nach ihm ausstreckte und dann die Fingerspitzen gegen ihn hin bewegte, als besprenge er ihn mit unsichtbaren Tropfen.
Endlich fasste der Doktor Balthasars beide Hände und sprach mit freundlichem Ernst: «Nur die reinste Konsonanz des psychischen Prinzips im Gesetz des Dualismus begünstigt die Operation, die ich jetzt unternehmen werde. Folgen Sie mir!»
Die Freunde folgten dem Doktor durch mehrere Zimmer, die außer einigen seltsamen Tieren, die sich mit Lesen – Schreiben – Malen – Tanzen beschäftigten, eben nichts Merkwürdiges enthielten, bis sich zwei Flügeltüren öffneten, und die Freunde vor einen dichten Vorhang traten, hinter den Prosper Alpanus verschwand und sie in dicker Finsternis ließ. Der Vorhang rauschte auseinander, und die Freunde befanden sich in einem, wie es schien, eirunden Saal, in dem ein magisches Helldunkel verbreitet. Es war, betrachtete man die Wände, als verlöre sich der Blick in unabsehbare grüne Haine und Blumenauen mit plätschernden Quellen und Bächen. Der geheimnisvolle Duft eines unbekannten Aroma wallte auf und nieder und schien die süßen Töne der Harmonika hin und her zu tragen. Prosper Alpanus erschien ganz weißgekleidet wie ein Brahmin und stellte in die Mitte des Saals einen großen runden Kristallspiegel, über den er einen Flor warf.
«Treten Sie,» sprach er dumpf und feierlich, «treten Sie vor diesen Spiegel, Balthasar, richten Sie Ihre festen Gedanken auf Candida – wollen Sie mit ganzer Seele, dass sie sich Ihnen zeige in dem Moment, der jetzt existiert in Raum und Zeit.»
Balthasar tat, wie ihm geheißen, indem Prosper Alpanus sich hinter ihn stellte und mit beiden Händen Kreise um ihn beschrieb.
Wenige Sekunden hatte es gedauert, als ein bläulicher Duft aus dem Spiegel wallte. Candida, die holde Candida erschien in ihrer lieblichen Gestalt mit aller Fülle des Lebens! Aber neben ihr, dicht neben ihr saß der abscheuliche Zinnober und drückte ihr die Hände, küsste sie – Und Candida hielt den Unhold mit einem Arm umschlungen und liebkoste ihn! – Balthasar wollte laut aufschreien, aber Prosper Alpanus fasste ihn bei beiden Schultern hart an, und der Schrei erstickte in der Brust. «Ruhig,» sprach Prosper leise, «ruhig Balthasar! – Nehmen Sie dies Rohr und führen Sie Streiche gegen den Kleinen, doch ohne sich von der Stelle zu rühren.» Balthasar tat es und gewahrte zu seiner Lust, wie der Kleine sich krümmte, umstülpte, sich auf der Erde wälzte! – In der Wut sprang er vorwärts, da zerrann das Bild in Dunst und Nebel, und Prosper Alpanus riss den tollen Balthasar mit Gewalt zurück, laut rufend: «Halten Sie ein! – zerschlagen Sie den magischen Spiegel, so sind wir alle verloren! – Wir wollen in das Helle zurück.» – Die Freunde verließen auf des Doktors Geheiß den Saal und traten in ein anstoßendes helles Zimmer.
«Dem Himmel,» rief Fabian, tief Atem schöpfend, «dem Himmel sei gedankt, dass wir aus dem verwünschten Saal heraus sind. Die schwüle Luft hat mir beinahe das Herz abgedrückt, und dann die albernen Taschenspielereien dazu, die mir in tiefer Seele zuwider sind.»
Balthasar wollte antworten, als Prosper Alpanus eintrat. «Es ist,» sprach er, «es ist nunmehr gewiss, dass der missgestaltete Zinnober weder ein Wurzelmann noch ein Erdgeist ist, sondern ein gewöhnlicher Mensch. Aber es ist eine geheime zauberische Macht im Spiele, die zu erkennen mir bis jetzt noch nicht gelungen, und ebendeshalb kann ich auch noch nicht helfen. – Besuchen Sie mich bald wieder, Balthasar, wir wollen dann sehen, was weiter zu beginnen. Auf Wiedersehn!»
«Also,» sprach Fabian, dicht an den Doktor hinantretend, «also ein Zauberer sind Sie, Herr Doktor, und können mit all Ihrer Zauberkunst nicht einmal dem kleinen erbärmlichen Zinnober zu Leibe? – Wissen Sie wohl, dass ich Sie mitsamt Ihren bunten Bildern, Püppchen, magischen Spiegeln, mit all Ihrem fratzenhaften Kram für einen rechten ausgemachten Charlatan halte? – Der Balthasar, der ist verliebt und macht Verse, dem können Sie allerlei Zeug einreden, aber bei mir kommen Sie schlecht an! – Ich bin ein aufgeklärter Mensch und statuiere durchaus keine Wunder!»
«Halten Sie,» erwiderte Prosper Alpanus, indem er stärker und herzlicher lachte, als man es ihm nach seinem ganzen Wesen wohl zutrauen konnte, «halten Sie das, wie Sie wollen. Aber – bin ich gleich nicht eben ein Zauberer, so gebiete ich doch über hübsche Kunststückchen.»
«Aus Wieglebs „Magie“ wohl oder sonst!» – rief Fabian. «Nun da finden Sie an unserm Professor Mosch Terpin Ihren Meister und dürfen sich mit ihm nicht vergleichen, denn der ehrliche Mann zeigt uns immer, dass alles natürlich zugeht und umgibt sich gar nicht mit solcher geheimnisvoller Wirtschaft, als Sie, mein Herr Doktor. – Nun, ich empfehle mich Ihnen gehorsamst!»
«Ei,» sprach der Doktor, «sie werden doch nicht so im Zorn von mir scheiden?»
Und damit strich er dem Fabian an beiden Armen einige Mal leise herab von der Schulter bis zum Handgelenk, dass diesem ganz besonders zumute wurde und er beklommen rief: «Was machen Sie denn, Herr Doktor!» – «Gehen Sie, meine Herrn,» sprach der Doktor, «Sie, Herr Balthasar, hoffe ich recht bald wiederzusehen. – Bald wird die Hülfe gefunden sein!»
«Er bekommt doch kein Trinkgeld, mein Freund,» rief Fabian im Herausgehen dem goldgelben Portier zu und fasste ihm nach dem Jabot. Der Portier sagte aber wieder nichts als «Quirrr» und biss abermal den Fabian in den Finger.
«Bestie!» rief Fabian und rannte von dannen.
Die beiden Frösche ermangelten nicht, die beiden Freunde höflich zu geleiten bis ans Gattertor, das sich mit einem dumpfen Donner öffnete und schloss. – «Ich weiß,» sprach Balthasar, als er auf der Landstraße hinter dem Fabian herwandelte, «ich weiß gar nicht, Bruder, was du heute für einen seltsamen Rock angezogen hast mit solch entsetzlich langen Schößen und solch kurzen Ärmeln.»
Fabian gewahrte zu seinem Erstaunen, dass sein kurzes Röckchen hinterwärts bis zur Erde herabgewachsen, dass dagegen die sonst über die Gnüge langen Ärmel hinaufgeschrumpft waren bis an den Ellbogen.
«Tausend Donner, was ist das!» rief er und zog und zupfte an den Ärmeln und rückte die Schultern. Das schien auch zu helfen, aber wie sie nun durchs Stadttor gingen, so schrumpften die Ärmel herauf, so wuchsen die Rockschöße, dass alles Ziehens und Zupfens und Rückens ungeachtet die Ärmel bald hoch oben an der Schulter saßen, Fabians nackte Arme preisgebend, dass bald sich ihm eine Schleppe nachwälzte, länger und länger sich dehnend. Alle Leute standen still und lachten aus vollem Halse, die Straßenbuben rannten dutzendweise jubelnd und jauchzend über den langen Talar und rissen Fabian um, und wie er sich wieder aufrafte, fehlte kein Stückchen von der Schleppe, nein! – sie war noch länger geworden. Und immer toller und toller wurde Gelächter, Jubel und Geschrei, bis sich endlich Fabian, halb wahnsinnig, in ein offnes Haus stürzte. – Sogleich war auch die Schleppe verschwunden.
Balthasar hatte gar nicht Zeit, sich über Fabians seltsame Verzauberung viel zu verwundern; denn der Referendarius Pulcher fasste ihn, riss ihn fort in eine abgelegene Straße und sprach: «Wie ist es möglich, dass du nicht schon fort bist, dass du dich hier noch sehen lassen kannst, da der Pedell mit dem Verhaftsbefehl dich schon verfolgt.» – «Was ist das, wovon sprichst du?» fragte Balthasar voll Erstaunen. «So weit,» fuhr der Referendarius fort, «so weit riss dich der Wahnsinn der Eifersucht hin, dass du das Hausrecht verletztest, feindlich einbrechend in Mosch Terpins Haus, dass du den Zinnober überfielst bei seiner Braut, dass du den missgestalteten Däumling halb tot prügeltest!» – «Ich bitte dich,» schrie Balthasar, «den ganzen Tag war ich ja nicht in Kerepes, schändliche Lügen.» – «O still, still,» fiel ihm Pulcher ins Wort, «Fabians toller unsinniger Einfall, ein Schleppkleid anzuziehen, rettet dich. Niemand achtet jetzt deiner! – Entziehe dich nur der schimpflichen Verhaftung, das übrige wollen wir denn schon ausfechten. Du darfst nicht mehr in deine Wohnung! – Gib mir die Schlüssel, ich schicke dir alles nach. – Fort nach Hoch-Jakobsheim!»
Und damit riss der Referendarius den Balthasar fort durch entlegene Gassen, durchs Tor hin nach dem Dorfe Hoch-Jakobsheim, wo der berühmte Gelehrte Ptolomäus Philadelphus sein merkwürdiges Buch über die unbekannte Völkerschaft der Studenten schrieb.